Günther Dümler

Mords-Zinken


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auch? Es gab immer viel zu viel und viel zu kalorienreiches Essen. Doch im neuen Jahr wollte er unbedingt spürbar abnehmen. Aus diesem Grund hatte er für die laufende Fastenzeit einen besonderen Vorsatz gefasst. Anstelle des traditionellen Fastens, das im Hause Kleinlein ohnehin noch nie wirklich funktioniert hatte, wollte er es dieses Jahr mit einem für ihn viel schwieriger einzuhaltenden Verzicht versuchen, noch dazu einem, bei dem er nicht auf Margas Mithilfe angewiesen war. Die wurde zwar nicht müde, ihm immer wieder zu erklären, dass seine mittlerweile deutlich sichtbare Wampe alles andere als gesund wäre, stellte ihm aber trotz ihrer täglichen Ermahnungen eine Riesenportion nach der anderen hin. Er musste also einen Weg finden, wie er trotzdem einige Kilos abnehmen konnte, eine Methode, die er ganz alleine im Griff haben würde. Seit dem Aschermittwoch trank er daher schon keinen Tropfen Bier mehr, überhaupt keinen Alkohol. Freilich wurde diese heroische Entscheidung maßgeblich durch einen permanent zu engen Hosenbund und durch ständige Ermahnungen seitens seiner fürsorglichen Ehefrau beeinflusst. Im ersten Fall stumm, im zweiten sehr wortgewandt.

      Das Weglassen seines gewohnten Feierabendbiers machte ihm dabei erstaunlicherweise doch mächtig zu schaffen. Eigentlich war der Begriff Feierabendbier seit seinem Eintritt in den Ruhestand vor nunmehr sieben Jahren nicht mehr wirklich zutreffend. Feierabend, das war jetzt die Zeit nach den Abendnachrichten, wenn das bequeme Sofa eindringlich und unüberhörbar nach ihm rief. Mit dem Verzicht auf Schnaps hatte er dagegen kein Problem. Den hatte er sowieso noch nie so recht gemocht und höchstens einmal anstandshalber ein Glas in Gesellschaft mitgetrunken. Zudem vertrug er ihn, was leider auch auf Wein zutraf, mit seinem säureempfindlichen Magen ohnehin sehr schlecht. So fiel der Verzicht leicht. Wenn halt nur das fränkische Landbier nicht so gut wäre.

      Bisher hatte er es geschafft, sein Vorhaben konsequent durchzuziehen, auch wenn Besuch kam. Und das war nicht so ganz einfach, denn sein Freund Simon hatte für derartige Kasteiungen keinerlei Sinn und tat sich auch in Peters Gegenwart keinen Zwang an. Im Gegenteil, er zog ihn höchstens noch auf wegen seines Verzichts. Als Metzgermeister mit Leib und Seele konnte er sich ein Leben ohne Wurst und Braten auch bei größtem Bemühen nicht vorstellen und dazu passte eben nur Bier. Jedenfalls in der Welt von Simon Bräunlein. So fiel der Verzicht gleich noch schwerer. Bis jetzt hatte Peter aber immerhin schon 31 Tage durchgehalten, nicht weil er so übermäßig religiös gewesen wäre. Nein, sondern weil er sich selbst beweisen wollte, dass er dazu in der Lage wäre und weil er den dringenden Wunsch hegte seine überflüssigen Pfunde loszuwerden. Und nicht nur er, noch mehr hegten diesen Wunsch seine Marga und der Herr Doktor Eichberger, sein Hausarzt. So an die zehn Kilo weniger würden auch seinen Knien gut tun. Er würde den Unterschied schon merken, wenn es am Karfreitag wieder heißen würde: „beuget die Knie, erhebet euch!“, so hatte der, selbst auch nicht der Schlankeste, scherzhaft bemerkt.

      *

      Es war Mitte März und schon einigermaßen warm. Einzelne Bäume und Sträucher begannen bereits vorsichtig, fast zaghaft ihre frischen Knospen zu öffnen. Die beiden Röthenbacher oder besser Rödnbacher, wie sie den Namen ihres Wohnorts als Alteingesessene aussprechen würden, freuten sich an der sich täglich mehr erwärmenden Frühlingsluft. Der Winter hatte sich diesmal sehr kalt und äußerst unwirtlich gebärdet und alle warteten schon sehnsüchtig auf die ersten schönen Tage.

      Sie waren mittlerweile gemächlichen Schrittes am Dorfweiher vorbei in Richtung der brach liegenden Äcker und freien Felder gekommen, als sie völlig unerwartet, etwa auf Höhe des so genannten Espan, eine Holzkonstruktion erblickten, die wie ein unerwünschter Fremdkörper inmitten einer freien Fläche stand. Zwei massive Balken waren dort, gleichsam über Nacht, in den Boden gerammt worden, mit einer bemalten Holztafel darauf, ein Baustellenschild offenbar. Die beiden stellten sich davor und lasen interessiert die Aufschrift. „Hier entsteht für sie ein moderner Supermarkt mit fünfzig Parkplätzen“, war da neben einem Bild des Bauvorhabens, sowie den jeweiligen Namen der Baufirma und des Bauherrn zu lesen. Die Baufirma stammte nicht aus der Gegend, zumindest hatten die beiden Spaziergänger noch nie von ihr gehört. Der Bauherr dagegen war die deutschlandweit bekannte Supermarktkette BIGMA, eine Abkürzung für Billig-und-Gut-Markt.

      „Hosd du dou scho amal woss dervo ghörd?“, fragte Peter seine Frau, die im Allgemeinen über alles Wissenswerte aus dem Gemeindeleben frühzeitig informiert war. Er sprach seinen unverfälschten Dialekt. Sie waren ja unter sich und die Marga verstand auch durchaus was er meinte.

      „Naa, überhaubds nedd“, gab sie kopfschüttend zurück, „dou hodd nu kanns woss gsachd. Naja, schoodn däds ja nix, wemmer nedd weecher jedn Drumm immer glei bis nach Erlnbach nüberfahrn müsserd. Mir solls Rechd sei“, lautete ihr abschließendes Urteil.

      „Schau! Baubeginn Frühjahr 2018 steht dou, dess iss ja etzerdla. Dess konn ja jedn Dooch scho losgäih. Na dou binni abber amal neigierich“, meinte Peter und er fügte hinzu: „Dess iss doch a Agger vom Zeldner, odder? Dass der dou nix gsachd hodd, wäi i des letzde Mal bei ihm war weecher die Kardoffln. Scho irgndwie aweng eignardich. Villeichd hodder ja Bedenkn, dass nern dee Gegner von dem Subbermarkd auf die Belle rüggn, wenns erfahrn, dass er dou derfür sein Agger verkaffd hodd. Woss wass mer, woss für komische Leit dass gibd. Abber mir hädders doch wergli soong könner. Mich kennd er ja.“

      Damit ließen die Beiden es vorläufig bewenden. Aber man würde natürlich den Fortgang ab sofort mit großem Interesse verfolgen.

      *

      Zuhause war es wieder einmal höchste Zeit für einen umfassenden Dekorationswechsel. Ostern stand schließlich in weniger als drei Wochen bevor und die Marga war der Meinung, dass man deshalb schon langsam die Frühjahrsdeko Zug um Zug mit einem eher österlichen Anstrich versehen musste. Häschen unterschiedlichster Machart standen bald einzeln und in Gruppen im Vorgarten, bunt bemalte Eier baumelten von erfrischend gelb blühenden Forsythien und von Palmkätzchenzweigen, welche in mit Sand gefüllten Vasen standen. Auch die Stiefmütterchen in den Blumenkästen am Küchenfenster waren bereits durch Narzissen ersetzt, deren Knospen nur darauf warteten jeden Moment aufzuspringen. Jetzt fehlte nur noch das Bild mit dem Osterlamm, das die Marga jedes Jahr wieder in der Küche aufhängte, aufhängen ließ und das eine rote, mit einem Kreuz versehene Fahne zwischen seinen Vorderbeinen hielt. Ob es an der mangelnden Fähigkeit des Künstlers lag oder ob das Tier bereits etwas von seinem in naher Zukunft bevorstehendem Schicksal als Festbraten ahnte? Nach Peters Ansicht schaute es jedenfalls einfach zu belämmert drein. Über derartige Stilfragen war jedoch mit der Marga kein Handel möglich. Aber auch alle anderen Bilder mussten ausgetauscht werden. Den Altnürnberger Kaufmannszug im Flur wollte Marga wie jedes Jahr durch die betenden Hände von Albrecht Dürer ersetzen und das eher abstrakte New York-Poster im Wohnzimmer musste ebenfalls weichen. Was sie stattdessen aufhängen wollte, das wusste sie selbst noch nicht so Recht. Einesteils war sie natürlich sehr traditionell eingestellt, andererseits sollte es auch nicht jedes Jahr das Gleiche sein. Das wiederum hätte sie als langweilig empfunden. Vielleicht den Gang nach Emmaus, das alte Ölbild mit dem wuchtigen, verschnörkelten Goldrahmen, das Jesus und seine Jünger unterwegs durch einen eher fränkisch anmutenden Wald zeigte und das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Es war nicht wertvoll, aber eines der wenigen Andenken, das sie noch hatte. Und darum hing sie auch so sehr daran. Es hatte immer im elterlichen Schlafzimmer gehangen und gehörte zu Margas Kindheitserinnerungen. Solche Motive waren damals sehr modern. Gott, wie doch die Zeit vergeht!

      Sie hatte so ziemlich alle Schachteln, die nicht explizit mit dem Schriftzug „Weihnachten“ gekennzeichnet waren, aus dem Keller nach oben geholt. Im Wohnzimmer sah es derzeit aus wie auf dem Schlachtfeld von Waterloo. Nach der Schlacht versteht sich. Peter hielt von den ausufernden Dekoorgien, die sich bei Kleinleins das ganze Jahr über hinzogen, im Allgemeinen nicht viel. Er sperrte sich aber auch nicht, wenn er um Mithilfe gebeten wurde. Ab und zu wurde seine Länge von einsneunzig gerne nutzbringend eingesetzt, etwa um einen Reißnagel in die Holzdecke zu drücken. Dann brauchte die Marga nicht auf einen Stuhl steigen und einen häuslichen Unfall zu riskieren. Einen eigenen Antrieb in diesem Zusammenhang verspürte er allerdings nicht.

      *

      Kein Wunder, dass es Peter bei all dem Durcheinander nach draußen zog. Er konnte hier ohnehin nichts richtig machen und die Ankündigung der bevorstehenden Errichtung eines Supermarkts interessierte ihn doch mehr, als er bei seinem Spaziergang mit Marga hatte erkennen