Günther Dümler

Mords-Zinken


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mei Zeid“, sagte Peter als er den Raum betrat.

      „Iss scho aus. Vier-drei für die Franzuusn“, gab der Zeltner zurück, der zusammengesunken auf seinem altmodischen Sofa mehr lag als saß.

      „Dee stelln sie wenigsdns ned su bläid wäi die Unsern“, stellte Peter fachmännisch fest und als der Bauer keine Anstalten machte darauf einzugehen, fügte er noch hinzu: „Zwei Null für Korea! Unglaublich, heier iss abber amal su richdich in Bach nunder ganger!“

      Peter hatte zwar schon nach dem Schwedenspiel mit den Erfolgsaussichten der deutschen Elitekicker abgeschlossen, die Realität hatte ihn dann lediglich bestätigt, aber dass der Zeltner sich das gar so zu Herzen nahm, sogar noch drei Tage später, das war doch erstaunlich. Peter kannte ihn eher als gemütlichen Menschen mit einer Engelsgeduld, als Einen, der normalerweise eine unerschütterliche Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlte. Ein Musterbeispiel des in sich ruhenden Menschen, der mit sich und der Welt im Reinen ist, den nichts und niemand erschüttern kann. Sein gegenwärtiger Zustand passte so gar nicht zu ihm. Es musste schon etwas besonders Schlimmes passiert sein. Mit dem frühzeitigen Ausscheiden bei der Weltmeisterschaft war das aus Peters Sicht kaum zu erklären, aber man konnte ja in niemand hineinschauen. Wer weiß, am Ende war der Zeltner gar ein ganz und gar eingefleischter Anhänger, so dass er auch nach Tagen noch so sehr am Boden zerstört wirkte. Er versuchte ihn daher ein wenig zu beruhigen.

      „Wieso gehd ner ihner dess gar aso arg nouch? Dee Kerl, dee homms doch gar nedd verdiend, dass mer si dessweeng sein ganzn Dooch versaud. Mier braung doch unsere Nervn heier nu länger. Woss glaubns, woss uns heier nu für Prüfunger bevorstänner, wenn der Glubb erst amal widder in der erstn Liga ohgreifd.“ In diesem Moment konnte Peter ja noch nicht ahnen, dass der Begriff „angreifen“ in der kommenden Saison bei seinem Lieblingsclub kaum in Anwendung kommen würde.

      Der abgrundtiefe Seufzer, der daraufhin anstatt einer fachmännischen Antwort des bekanntermaßen bekennenden Club-Fans folgte, ließ den Peter sofort vermuten, dass es schon noch ganz andere Gründe für des Zeltners gegenwärtige Schieflage geben musste. Mit dem Fußball allein war das nicht zu erklären. Er traute sich aber nicht nach zu bohren. Vielleicht war es ja etwas sehr persönliches. Das war auch gar nicht nötig, denn der Verzweifelte fing sogleich selber an zu erzählen.

      „Ach, sie glaubn ja nedd, woss mir bei dem bewussdn Spill am Middwoch bassierd iss!“

      Und er erzählte Peter in schonungsloser Offenheit von seinem allzu erhellendes Erlebnis in der Halbzeit, zu der Zeit, als es noch Hoffnung gegeben hatte. Für Beides. Die Deutschen und seine Ehe. Als er endlich geendet hatte schloss er beinahe tonlos die bange Frage an:

      „Woss sollin ner etz blous machn? Mid allem hobbi grechned, abber doch nedd mid suwoss. Naa, naa.“

      Dabei schüttelte er kraftlos sein niedergesunkenes Haupt. Immer wieder.

      Peter fiel auf Anhieb auch nichts Vernünftiges ein, was den armen Mann wieder aufrichten konnte, ganz zu schweigen davon, dass er ihn wieder in den gewohnt souveränen Zustand zurückbringen konnte. Und so blieb nur noch der Rat, den man in allen aussichtslosen Fällen standardmäßig hervorholen konnte:

      „Horngs Herr Zeltner, villeichd homm ser si ja daischd, konn doch sei. Dess wärd bestimmd widder wern. Dou schloofns etz erst amal a Nachd drüber, dann schaud die Weld vielleichd scho widder ganz anderster aus. Und morgn, dou redns amal mit ihrer Frau drüber, in aller Ruhe. Villeichd iss ja wergli alles ganz harmlos.“

      Um ein Haar wäre er vor lauter Mitgefühl noch ohne die dringend benötigten Eier weggegangen, konnte sich aber gerade noch an seinen eigentlichen Auftrag erinnern, der ihn erst in dieses Elend hineingeraten ließ. Das wäre erst etwas gewesen, wenn er nun auch noch ohne die frischen Gaggerler für das Tiramisu nach Hause gekommen wäre. Obwohl, so schlimm wie beim Zeltner wäre es sicher nicht ausgegangen.

      Samstag, 30. Juni 2018, gegen Abend

      Die Vorbereitungen für Margas abendliches Mahl hatten sich über den gesamten Nachmittag hingezogen. Das Tiramisu und die Antipasti waren perfekt gelungen und im Kühlschrank geparkt. Das Filetto maiale alla Sarda ruhte bereits bei exakt der richtigen Nachhitze im Backofen und die Rosmarinkartoffeln, die dazu gereicht werden sollten, lagen in der Pfanne und in den letzten Zügen. Eigentlich konnten die Gäste jetzt auch endlich erscheinen.

      Normalerweise waren die Freunde stets pünktlich, aber am Samstag musste man doch auch immer mal mit Unwägbarkeiten rechnen, denn beide Paare waren aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten immer ein wenig darauf angewiesen, dass der letzte Kunde den Laden rechtzeitig verließ und man den verdienten Feierabend einläuten konnte. Das galt sowohl für Simon und Gisela Bräunlein, die die beste Metzgerei von Röthenbach mit weit über dessen Grenzen hinaus berühmten Spezialitäten betrieben, als auch für die Schwarms, den Lothar und die Maria. Die konnten als Friseur beziehungsweise Kosmetikerin mit angeschlossenem Nagelstudio ebenfalls nicht über mangelnden Zuspruch klagen und kamen deshalb nicht immer pünktlich aus dem Geschäft heraus.

      Heute aber schien es geklappt zu haben, denn kurz darauf klingelte es bereits an der Haustüre der Kleinleins. Und da standen sie alle vier, geschniegelt und gebügelt. Nur einem sehr aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, wie müde sie allesamt als Folge einer anstrengenden Arbeitswoche noch immer waren. Da passte die Marga momentan perfekt ins Bild dieser Gruppe geschlauchter Schwerstarbeiter. Den ganzen Tag hatte sie mit Vorbereitungen auf diesen Abend verbracht, gekocht, gebacken, geputzt und gewienert bis es sogar ihrem ansonsten eher geduldigen Ehemann zu viel wurde. Der hatte sich schließlich in den Garten verzogen, um dem ultimativen Reinigungsinferno so gut es ging zu entgehen. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass er als Einziger einen ausgeruhten Eindruck machte. Dazu kam seine geradezu unverschämt dunkle Bräune, die ihm der häufige Aufenthalt im Garten bescherte und nicht nur dann, wenn er im trauten Heim im Weg war.

      Er war als Einziger bereits seit Jahren im Ruhestand und hatte deshalb alle Zeit der Welt, um das und eben nur das zu tun, was ihm Spaß machte und auch nur genau dann, wenn er gerade Mal dazu Lust hatte. Ja, eigentlich wäre er zu beneiden gewesen, der Peter, wenn er sich nur nicht selbst ständig unter Druck gesetzt hätte. Er konnte auch nach fünf Jahren in Rente mit so viel Freizeit einfach immer noch nicht richtig umgehen. Ihm fehlte eindeutig eine sinnvolle Beschäftigung, und zwar eine, die für ihn auch eine intellektuelle Herausforderung bedeutete. Angesichts derart anspruchsvoller Kriterien schieden natürlich nahezu alle Arten von Hausarbeit von vorne herein aus. Jeden Tag das Gleiche zu tun, das hatte ihm noch nie gelegen, auch nicht während seiner aktiven Zeit im Beruf. Und außerdem hätte er als Spätberufener auf dem weiten Feld des Haushalts nie die qualitative Reife erreichen können, die seine Marga als Mindeststandard voraussetzte. Wenn er beispielsweise einmal, was zugegebenermaßen selten vorkam, diese Tatsache kurzzeitig vergessend zum Staubsauger griff, um ihn nach getaner Arbeit und mit seinem Werk zufrieden, wieder in die Ecke zu stellen, dann kam sie garantiert gerade zur Tür herein mit der Bemerkung:

      „Staubsaung müsserd mer aa amol. Wäis dou scho widder ausschaud!“

      Peter verfügte bereits als Kind über eine angeborene Neugierde. Dies hatte sich während seiner Schulzeit eindeutig als sehr hilfreich erwiesen. Diese Eigenschaft, die fehlende Anerkennung seiner Leistung nach dem Wegfall der beruflichen Aufgaben, sowie der eklatante Mangel an akzeptablen Alternativen hatten letztendlich dazu geführt, dass Peter sich immer wieder einmal in Dinge einmischte, die ihn aus Sicht seiner Ehefrau überhaupt nichts angingen. Außerhalb des gemeinsamen Haushalts und aus lauter Verzweiflung. In der Folge war es ihm gelungen einige spektakuläre Mordfälle aufzuklären und dabei seinen hauptberuflichen Konkurrenten, den leider bestenfalls mittelmäßig begabten Hauptkommissar Erwin Schindler das eine oder andere Mal deutlich über dessen wahre Jahre hinaus alt aussehen zu lassen. Der Marga war diese ungebührliche Einmischung in die Angelegenheiten anderer Leute, ja sogar in die der Polizei, äußerst suspekt. Sie mochte es nicht, wenn ihr Peter, wie sie es ausdrückte, sich mit gefährlichen Verbrechern einließ und dabei sein Leben aufs Spiel setzte. Vielleicht sah sie auch einfach zu viel Krimis im Fernsehen.

      Wenn sie den Peter darauf ansprach, dann zog dieser höchstens