Tag im Louvre sind 13 Jahre vergangen. Jahre, in denen Aeia zu ihnen gehört. Unvergessliche Jahre, in denen sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass das geheim bleibt, was geheim bleiben muss.
Aber hin und wieder ist es gut, mit alten Traditionen zu brechen, damit etwas Neues entstehen kann.
Levi und Aeia sind dafür ein gutes Beispiel.
Sie haben vor sieben Jahren geheiratet. Ein Mensch und ein Wesen, wie Aeia es ist. Sie hat ihrem lieben Mann zwei wundervolle Kinder geschenkt.
Naomi und Joshua.
Wenn Eve tatsächlich auf sämtliche Informationen dieser Welt Zugriff hat und man den Geschichtsbüchern von TREECSS Glauben schenken will, dann sind es die Ersten einer neuen Art. Eine Vermischung der Gene.
Aber im Grunde spielt das nicht die geringste Rolle. Denn Aeia erfreut sich jeden Tages, den sie gemeinsam mit ihren Kindern erleben darf. Die gemeinsamen Momente fühlen sich an wie unendlich kostbare Geschenke.
Selbstverständlich ist sie gespannt, was mit dem Erreichen ihres 21. Lebensjahrs aus ihnen wird. Ob überhaupt etwas Mystisches oder Spektakuläres passieren wird? Aber egal, was es auch immer sein wird, an ihrer Liebe wird sich nichts ändern.
Der Kuchen steht in der Küche, ist noch heiß und verbreitet seinen glückselig machenden Duft im ganzen Haus.
Der Kuchen und Aeia warten auf die Freunde der Familie.
Auf Vigor, Kyala und Lu.
Und auch auf Jarno, Lus Lebensgefährten und Naomis Taufpaten.
Aeia lächelt und sinniert über die alten Zeiten.
Das hört sich so an, als wäre sie alt. Als hätte sie Runzeln im Gesicht. Nun, das eine oder andere Fältchen ist bereits ein stetiger Begleiter. Aber ganz gewiss handelt es sich um Lachfältchen.
Sie denkt gerne an den Tag zurück, an dem sie Eves Stimme zum ersten Mal gehört hat. Auch wenn sie in ihrer ersten Woche bei TREECSS dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen ist, konnte ihr nichts Besseres passieren.
Sie wischt über das Tablet und es startet augenblicklich. Sie legt ihren Kopf in den Nacken, bewegt ihn geschmeidig von links nach rechts. Ihr Nacken und ihr Rücken fühlen sich entspannt und gut an. Dafür sind die einfühlsamen Hände ihres Mannes verantwortlich. Vor ein paar Minuten leistete er ihr noch Gesellschaft. Jetzt zündet er die Kohlen an, bereitet alles für das Barbecue vor, während Aeia noch kurz einer alten Freundin Hallo sagen will.
Das Tablet ist nun online.
»Hallo Eve. Sind irgendwo Bösewichte auf der Welt unterwegs?«
»Genug, aber keine, die die Weltordnung ins Wanken bringen könnten.«
»Gut, dann haben wir ja noch ein bisschen Zeit für Smalltalk«, sagt Aeia und lächelt.
Michail - 21 Jahre nach dem Tag im Louvre
Mondlicht. Mystisch leuchten die Götterstatuen auf den Palastdächern. Nur noch wenige Tage bis sich die Erde vor den Mond schiebt und ihn in eine rotbraune Scheibe, einen Blutmond, verwandeln wird. Der Stealth-Helikopter hat seinen Flug quer durch Russland beendet, sein Ziel erreicht und setzt lautlos auf dem Innenhof des Winterpalastes auf. Das Gebäude ist nur ein kleiner Teil der Eremitage, aber es gilt seit über drei Jahrhunderten als ein Prunkstück des russischen Barock. Die rechteckigen Umrisse des größten Kunstmuseums der Welt umgeben die Ankömmlinge wie Mauern einer Bastille. Jede Seite ist anders gestaltet, die Fensterrahmen variieren in Größe und Form von Geschoss zu Geschoss. Hoch oben auf den Dächern beobachten argwöhnisch fast vier Meter hohe Götterstatuen das Eindringen der Besucher.
Die Helikoptertüren öffnen sich. Drei, bis unter die Zähne bewaffnete Kämpfer, steigen aus, flankieren die Seiten. Ihnen folgt ein Mann von einschüchternder Erscheinung, in einen schwarzen Ledermantel gehüllt, die Kapuze bis tief ins gefurchte Gesicht gezogen. Ihn umgibt eine Aura von Kraft und Selbstsicherheit und das Spiel der Schatten zeichnet eine sich verschiebende, ständig wandelnde Kriegsbemalung auf sein ernstes Gesicht.
»Dobro pozhalovat‘ in Sankt Petersburg, der Stadt der Zaren«, heißt Michail der Wächter den Ankömmling standesgemäß willkommen und geleitet ihn in die Eremitage.
Im Innern des Kunstmuseums folgt der mysteriöse Besucher dem hünenhaften Russen durch endlos lange Korridore, vorbei an unzähligen Räumen und tausenden Werken von Meistern aus der ganzen Welt. Die nächtliche Gruppe erreicht die Passage mit Werken des Spaniers Pablo Picasso. Niemand schenkt seinen Gemälden Aufmerksamkeit. Der Fremde ist nicht gekommen, um der Eremitage einen Museumsbesuch abzustatten, er ist nicht hier, um sich irrelevante Werke anzusehen. Sie sind hier, weil es um das Fortbestehen ihrer Spezies geht.
Sie lassen Rembrandt, Matisse und Paul Gauguin hinter sich, erreichen die Halle, die tagsüber unzählige Touristen wie ein Magnet anzieht. Der Besucher verlangsamt seinen Schritt, bleibt vor einem Gemälde des italienischen Begnadeten Leonardo da Vinci stehen. Es trägt den Namen Madonna Benois, die Madonna mit der Blume.
Er betrachtet die kleineren Mängel, das scheinbar leere Fenster im Hintergrund, die hohe, glatzenartige Stirn und den faltigen Hals des Jesuskindes. Merkmale, die einen in den Irrglauben führen könnten, dass Leonardo das Bild nie ganz vollendet hätte.
»Außergewöhnlich«, haucht er. Seine Stimme ist warm und doch durchschneidet sie die Stille wie eine geölte Rasierklinge.
»Öffnen Sie das«, befiehlt er und der Russe leistet Gehorsam; benötigt nur ein paar wenige einstudierte Handgriffe, um die Sicherheitsvorkehrungen zu deaktivieren und die Panzerglasscheibe zu entsichern. Der Besucher tritt an das Gemälde heran, streicht ehrfurchtsvoll mit seiner Hand über die Leinwand, jedoch ohne diese zu berühren. Michail hält den Atem an. Die Finger des Besuchers verharren in einem Zentimeter Abstand über dem Ölgemälde, genau im goldenen Schnitt. Es ist das gleiche Phänomen wie auf den Skizzen der Madonnenbilder im Louvre, in Paris und im British Museum in London. Wie bei der Mona Lisa.
Die scheinbare Unvollkommenheit des Jesuskindes und die vollkommene, göttliche Perfektion des Gesamtgemäldes stehen im Kontrast. Ramires kennt als einer der wenigen, das Geheimnis, den Ursprung seiner eigenen Spezies, die in diesem Gemälde zum Ausdruck kommt. Die Schöpfer wollten etwas Vergängliches erschaffen, aber das genaue Gegenteil ist eingetreten.
»Wir können weiter«, sagt er.
Minuten und dutzende Räume später, schreiten sie durch eine unscheinbare Tür, gelangen hinter die Kulissen. Über eine Steintreppe kommen sie zwei Etagen tiefer, durch eine weitere Pforte, einen Gang und noch eine Treppe, bis in eine unterirdische Galerie. Zwischen all dem alten, modrigen Holz hängen zahllose Katzengemälde. Wesen, die in ganz Ägypten als heilig verehrt wurden. Die Katze wurde als Jägerin der Nacht mit dem Mond in Beziehung gesetzt und sie ist die Verkörperung der Katzengöttin Bastet, die Tochter des Sonnengottes Ra. Götter? Schöpfer? Ein und dasselbe!
Hier und da springt ein lebendes Katzenexemplar aus einem der Schatten und beobachtet misstrauisch die Ankömmlinge.
»Katharina die Große hatte eine Leidenschaft für diese Wesen mit den Sieben Leben«, sagt Ramires. »Die Sieben steht für das Vollkommene, ist die Summe aus der Drei, die das Göttliche symbolisiert und der Vier, die für das Weltliche steht. Sie steht für die Unendlichkeit«, flüstert er, um die Katzen nicht aufzuscheuchen.
Dann, nach der Durchquerung des unterirdischen Labyrinths, hat die Gruppe ihr nächtliches Ziel erreicht, bleibt vor einer metallenen Tür stehen und wartet, bis Michail sie mit einer Chipkarte aus purem Gold öffnet. Ramires und seine Begleiter folgen ihm durch einen unterirdischen Irrgarten, der Teil der Sicherheitsvorkehrungen ist. Ramires geht nun voraus. Er kennt den Weg.
Sie betreten eine Sackgasse, bleiben vor der massiven Steinwand stehen. Er entfernt Insektenkot und Schmutz, der sich im Verlauf der letzten Jahre angesammelt hat und zwei unscheinbare Schlitze in den Fugen werden sichtbar. Er holt eine weitere goldene Karte hervor und gleichzeitig stecken sie die Schlüssel in die dafür vorgesehenen