Sophie Lang

Begnadet - Wiedergeburt - Buch 3


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zum Leben. Ägyptische Hieroglyphen leuchten in goldenen und weißen Lettern auf und warten geduldig auf die Eingabe der korrekten Reihenfolge.

      Wie zu erwarten war, entriegeln sich verteilt in der Wand die Schlösser und eröffnen ihnen den Zugang in eine alte, dahinterliegende Aufzugsanlage.

      »Nehmt das. Hilft beim Druckausgleich«, sagt Michail, der seit über einem Jahrzehnt der Wachmann dieses Hochsicherheitstraktes ist, und öffnet seine Finger. Auf seiner Handfläche liegen Kaugummis, von denen sich jeder einen nimmt und in den Mund steckt.

      Der Aufzug setzt sich in Bewegung, ohne dass Michail einen Knopf drücken muss.

      Auf der Fahrt nach unten knallen Ramires Ohren. Die drei ausgebildeten Elitekämpfer kauen nervös weiter. Ramires sagt keinen Ton.

      Michail hat seine Arme hinter seinem Rücken verschränkt und ändert weder seine Position noch seine Mimik. Auch dann nicht, als einer der Männer bewusstlos zusammenklappt.

      »Was hat das zu bedeuten?«, fragt ein Mann der Leibwache. Dies sind seine letzten Worte. Er ist der Nächste und eine Sekunde später bricht auch der letzte Mann zusammen, so als wären sie alle nur Marionetten, denen jemand die Fäden durchgeschnitten hat.

      »Seltsame Art und Weise, den Druck auszugleichen«, stellt Ramires fest und schaut den Wachmann an. »Was wäre, wenn ich mich für den falschen Kaugummi entschieden hätte?«

      »Es ist die reinste Zeitverschwendung, Fragen zu beantworten, die mit was wäre wenn beginnen«, lächelt der Wachmann, doch Ramires verzieht keine Miene.

      »Musste das wirklich sein?«

      »Sie würden es nicht verstehen, was wir hier tun. Jede Sicherheitslücke, würde das ganze Unternehmen gefährden. Wir müssen bereit sein Opfer zu bringen.« Ramires schaut auf die am Boden liegenden Männer.

      »Sind sie tot?«

      »Nein, nur bewusstlos.« Ramires betrachtet die Körper seiner Männer, schluckt den Kaugummi hinunter.

      »Bereit den Teufel frei zu lassen?«, fragt Michail.

      »Ich bin bereit!«, antwortet Ramires.

      Naomi - Kulturen

      »Hilfe! Lasst uns in Ruhe! Was wollt ihr? Verschwindet!«, höre ich eins der Mädchen ängstlich rufen. Angespannt schiebe ich die Stahltür auf, schlüpfe hindurch und suche hinter einem Pfeiler Deckung.

      »Halt die Schnauze!«, brüllt ein Typ.

      Ich lehne mit dem Rücken an Beton, blicke über die Schulter, scanne die Situation. Sehe drei Männer in Militärkleidung, registriere das rasierte Hakenkreuz in ihren Nacken, ihre kurzgeschorenen Haare. Sie haben zwei hilflose Mädchen, zwischen zwei Elektrofahrzeugen, einem VW E-Golf und einem Ford E-Focus, in die Enge getrieben. Niemand der Anwesenden ist älter als fünfundzwanzig und jeder der männlichen Subjekte passt in das Bild eines gewaltbereiten Menschen. Ihre Mimik verströmt Ignoranz und Hass und sie scheinen jeglicher Möglichkeit beraubt, logische oder liebevolle Gedankengänge zu spinnen. Die zwei Mädchen sind jünger. Die Asiatin, versucht ihre dunkelhäutige Freundin, mit ausgestreckten Händen zu schützen, bekommt aber einen fürchterlichen Faustschlag seitlich in den Bauch gerammt und bricht stöhnend zusammen. Ihr exotisches Gesicht wird von Tränen überflutet. Sie liegt wie ein Häufchen Elend auf dem kalten Steinboden und hält sich, krümmend vor Schmerzen, den Unterleib.

      »Das habt ihr davon, unser Land zu verpesten. Ihr asoziales Pack!«, werden sie mit erhobenen Fäusten beschimpft. Mein Magen zieht sich zusammen, als ich einen Schlagring aufblitzen sehe.

      »Bro, die verstehen dich nicht. Die können kein deutsch. Die verstehen nur eine Sprache«, geifert der angsteinflößende Kerl neben dem Typen mit dem Schlagring.

      »Ja, die Prügelsprache«, lacht der Dritte. Er zückt eine schwarze Lackdose und sprüht dem Mädchen ins Gesicht. Sie schafft es gerade noch, den Kopf abzuwenden. Der Lack trifft sie auf Hals, Nacken und in den Haaren. Das verängstigte Ding fleht um Gnade, sieht voller Furcht zu, wie der Typ ein schwarzes Hakenkreuz auf ihr Shirt sprüht, dann blickt sie zu ihrer Freundin, die niedergestreckt am Boden liegt und vor Schmerzen schluchzt. Sie hat es böse erwischt. Mir fällt sofort auf, was den drei Angreifern offensichtlich verborgen bleibt. Beide Frauen sprechen akzentfrei deutsch. Vermutlich sind sie hier geboren und aufgewachsen. Als würde das irgendetwas bedeuten oder an der Situation etwas ändern, wo jemand geboren wurde. Eine Sekunde lang überfluten mich die Eindrücke.

      Der Flüchtlingsstrom aus Afrika und Asien ist seit ein paar Jahren versiegt. Die Auffanglager gehören der Vergangenheit an, denn mittlerweile sind alle Flüchtlinge ein Teil unserer Gesellschaft geworden. Die Klassen auf den staatlichen Schulen setzen sich multikulturell zusammen. Europäer, Afrikaner, Asiaten und die Nachkommen der Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten sind nahezu zu gleichen Anteilen vertreten. Doch in gleichem Maße, wie die Integration vorangeschritten ist, haben auch die Proteste und rechtsradikalen Gruppierungen immer weiter an Stärke gewonnen. Sie haben es noch immer nicht begriffen, dass wir auf dem gleichen Planeten leben und diese drei Hirnamputierten sind der Beweis dafür, dass es eine Minderheit immer wieder schafft, Böses zu tun, während der Großteil der Bevölkerung wegsieht oder es einfach nicht mitbekommt. Ich gehöre nicht zu denen. Ich bin zur Hälfte eine Begnadete und unsere Aufgabe ist es, für Frieden in der Welt zu sorgen und das Böse auszumerzen.

      Die bewaffnete Faust holt erneut zum Schlag aus. Der Schlagring fährt hinab, um auf den Kopf des asiatischen Mädchens niederzufahren. Die pure Gewalt hätte dort verheerenden Schaden angerichtet, doch die feige Attacke wird aufgehalten, abgefangen. Von mir!

      Ich komme von hinten, schmettere ihm mein Knie in die Kniekehlen und packe ihn bei den Schultern. Er sackt zusammen nach allen Gesetzen der Physik.

      Ich wende mich schnell wie eine Katze und wehre, seinen erneuten Versuch, mit der Faust einen Treffer zu landen, mit meinem Unterarm ab. Überrascht, verdutzt, sprachlos über die unerwartete Gegenwehr sind geeignete Adjektive, um den Gesichtsausdruck der drei Männer zu beschreiben.

      »Verpiss dich du Hure!«, sagt der Typ rechts. Das ist äußerst geistreich. Immerhin ist er der Erste, der seine Sprache wiedergefunden hat, was ich ihm positiv ankreide.

      Der, dessen Faust ich immer noch gefangen halte, will mich zu Fall bringen, was ich verhindere, indem ich ihn loslasse, seinen eigenen Schwung und sein Körpergewicht dazu verwende, ihn herumzuwirbeln und gegen den Golf zu katapultieren. Er kracht unsanft mit der Stirn gegen das Blech, was ein hohles Geräusch verursacht. Er flucht in seiner Muttersprache. Die beiden anderen wollen mich packen, doch ihr Versuch endet kläglich. Ich habe mich blitzschnell zur Seite gedreht, ducke mich unter den Angreifern hindurch und packe das hilflose Mädchen am Arm, um sie hinter mich zu schieben.

      Die Situation hat sich um 180 Grad gewendet. Die drei dilettantischen Schwachköpfe stehen zusammengedrängt in der engen Schlucht, zwischen zwei Autos, die an der Wand in einer Sackgasse endet. Vor Wut schlägt ihr Anführer gegen die Fahrerscheibe des Ford und bringt sie mit dem Schlagring zum Bersten. Ich breite beide Arme aus, um die Mädchen zu schützen.

      »Ihr kommt hier nicht raus, bis die Polizei hier ist«, sage ich und hoffe, dass mein Bluff funktioniert, denn niemand hat die Polizei informiert. Noch bevor ich den Satz beenden kann, springen sie in meine Richtung. Ich wende das an, was ich in Jiu Jitsu gelernt habe, lege alle Energie in die nächste Ausatmung, schreie und treffe den Ersten mit der flachen Hand auf der Brust. Es reißt ihn von den Füßen und er wird nach hinten geworfen, wo er seine Kumpanen zu Fall bringt.

      »Jetzt! Lauft! Schnell weg hier!«, brülle ich die zwei verängstigten Mädchen an und dann fliehen wir.

      Zac - Naomi

      Die kleine süddeutsche Perle, wie seine Schwester Freiburg immer beschrieben hat, ist erstaunlich groß. In einer Bäckerei am Münster hat er sich vor einer halben Stunde eine deutsche Laugenbrezel und einen Kaffee gekauft. Er stand an einem der Stehtische mit Blick auf den belebten Marktplatz