Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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meinem Mechaniker, deshalb habe ich ihn vorhin angerufen.«

      Nachdem die Busse bezahlt war und Polizeileutnant Morf sich mit seinem Auto aus dem Staub gemacht hatte, konnte sich Holsbein ein Grinsen nicht verkneifen. Der Bulle war wirklich zu leichtgläubig, fand er. »Ich vertraue Ihnen, dass Sie den Schaden gleich reparieren lassen«, äffte er ihn nach.

      Erst war der Kerl misstrauisch gewesen. Er hatte nachgehakt, wie der Mechaniker heiße und Holsbein sogar eine Fangfrage gestellt, ob er mit dem großen Koffer im Auto nicht doch eher in die Ferien fahre. Aber Holsbein kannte sich in der Gegend aus und konnte Name und Standort der Autogarage ohne mit der Wimper zu zucken aufsagen. Dass ihm dabei der Schweiß wie ein Sturzbach über den Rücken in die Arschritze lief, bekam der gute Polizist Morf nicht mit.

      Holsbein machte den Tank voll und holte sich im Shop ein paar Sandwiches und zwei Literflaschen Cola. Dann zog er 2000 Euro aus dem Geldautomaten. Das Tageslimit. Er setzte sich ins Auto und rief auf dem Handy die Website der »Nordost-Nachrichten« auf. Die hatten sich inzwischen voll auf das Thema eingeschossen. Alle fünf Top-Meldungen bezogen sich auf die Serie von Bränden in Amsheim.

      Die Überschrift des Hauptartikels ließ ihn erschaudern: »Die Polizei kennt die Identität des Feuerteufels«, stand da. Gemäß dem Artikeltext drehte der Hausmeister, dessen Frau beim Wohnungsbrand eine schwere Rauchvergiftung und großflächige Verbrennungen erlitten hatte, zum Zeitpunkt der Tat mit seinem Hund Ludwig eine Runde; der Königspudel-Rüde musste wegen einer Blasenentzündung alle zwei Stunden raus. Dabei beobachtete das Herrchen in etwa achtzig Meter Entfernung zwei Personen, die sich »wahrscheinlich mit Brandbeschleuniger« an dem Snackautomaten zu schaffen machten und danach davonrannten. Der Hausmeister hatte nach eigenen Angaben keine große Lust gehabt, sich mitten in der Nacht mit zwei Kriminellen anzulegen. In seinem Versteck hinter einem Rasenmäher-Traktor konnte er aber zumindest einen der Täter erkennen. Um wen es sich dabei handelte, darüber habe die Polizei aus ermittlungstechnischen Gründen keine Angaben gemacht, hieß es weiter im Text.

      Holsbein verdrehte die Augen. »Oho, da hat der Alte aber noch ein kleines Detail verschwiegen«, murmelte er und klopfte sich gedanklich selber auf die Schulter: Er hatte richtig reagiert und vorsichtshalber gleich das Weite gesucht, nachdem Kathrin am Morgen diese Andeutung im Zusammenhang mit einem möglichen Augenzeugen gemacht hatte.

      Holsbein wählte die Handynummer seines Mitbewohners.

      »Kowalski …?«, tönte es am anderen Ende der Leitung.

      »Karl, Gott sei Dank«, sagte er. »Hör zu, wir müssen dringend reden, wegen gestern Nacht. Wir müssen uns absprechen, und vor allem brauchen wir ein …«

      »Hahaha, verarscht, ich bin gar nicht am Apparat, aber warten Sie doch auf den Piepton, der kommt jetzt dann, eins, zwei, drei.«

      Es piepte, und Holsbein trennte die Verbindung. Er tippte die Nummer der Redaktion ein. »Püppy, das dauert hier noch ein Weilchen, vorhin kam noch ein Notfall rein, da müssen die anderen natürlich warten. Hab grad online gelesen, dass die Polizei den Täter kennt, wisst ihr was darüber? Nicht dass die Schnösel von den ›Nordost-Nachrichten‹ morgen den Namen in der Zeitung haben und wir nicht.«

      »Na ja«, meinte Püppy, »die Polizei ist gerade hier.«

      »Schon wieder? Haben die Dilettanten etwas vergessen?«

      »Es sind nicht die Stadtpolizisten, diesmal ist es die Kriminalpolizei. Sie haben deinen Schreibtisch durchwühlt und wollten deinen Computer wegen irgendwas durchsuchen, aber da hast du ja so ein Passwort drin.«

      »Haben sie eure Unterlagen wenigstens auch angeschaut?«

      »Nein.«

      Holsbein schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Diese Praktikantin trieb ihn noch in den Wahnsinn, jedes verdammte Wort musste er ihr aus der Nase ziehen. »Haben sie denn vielleicht eine Andeutung gemacht, weshalb sie ausgerechnet in meinen Sachen rumwühlen? Und bitte sei etwas leiser, es müssen ja nicht gleich alle unser Gespräch mitbekommen.«

      »Die haben gesagt, du würdest verdächtigt, die vielen Brände in den letzten Wochen gelegt zu haben. Auch den von letzter Nacht.«

      »Da habt ihr denen aber sicher gesagt, dass das nicht sein könne, oder? Ich meine, ihr kennt mich – so etwas würde ich nie machen.«

      »Also ehrlich gesagt …«, Püppy zögerte. »Der Chef hat gemeint, dass er dich in der morgigen Ausgabe mit größter Freude auseinandernehmen werde.«

      Holsbein war außer sich. »Moment mal! Das heißt, ihr werdet morgen meinen Namen und mein Gesicht in der Zeitung bringen? Was für Kollegen seid ihr überhaupt?«

      »Ich glaube eher nicht. Der eine Polizist hat gedroht, wenn der Chef das tue, werde er sich wegen Behinderung von polizeilichen Ermittlungen verantworten müssen.«

      »Ha, da bin ich aber froh«, lachte Holsbein. »Das wird die feige Sau niemals wagen.« Er beendete das Gespräch grußlos und wählte nochmals die Nummer von seinem Mitbewohner, aber der nahm immer noch nicht ab. Also googelte er, mit welchen Staaten die Schweiz kein Auslieferungsabkommen hat. Da er nicht auf Anhieb eine Aufstellung fand, gab er auf und schrieb Püppy eine Nachricht mit dem Auftrag, das für ihn zu recherchieren. Schließlich war sie immer noch so etwas wie seine Praktikantin.

      Fünf Minuten später fuhr Holsbein wieder auf der Autobahn Richtung Lausanne und wühlte in den CDs, die sich im Handschuhfach stapelten. Für so einen Trip gab es nur einen einzigen Soundtrack: »White Light, White Heat, White Trash« von Social Distortion – arschcooler, aus der Hüfte gespielter Midtempo-Punkrock, der auf der Zunge den Geschmack einer verstaubten Landstraße hinterlässt. Er fand die Hülle, aber die CD war nicht drin. Alles andere hätte ihn auch überrascht. Also schaltete er das Radio ein. Vielleicht würde in den Nachrichten über den Fall berichtet. Zehn vor zwei. Also noch zehn Minuten Tina Turner, Elton John oder diese R&B-Scheiße. Er schaltete das Radio wieder aus. Sein Handy klingelte, eine unbekannte Nummer. Holsbein ging davon aus, dass die Polizei mit ihm sprechen wollte und drückte den Anruf weg.

      Er war immer gut im Verdrängen gewesen, doch es ließ sich nicht leugnen: Er hatte mit seiner Zündelei ziemlich viel Schaden angerichtet und vielleicht sogar eine Frau getötet, und jetzt war er auf der Flucht vor den Bullen. Auf der Flucht!

      Das Handy piepte – eine SMS von Püppy: »Sorry, aber der Chef will nicht, dass ich dir helfe, LG, Sarah.«

      »Ahhhhh, Püppy«, schrie Holsbein in das Gerät. »So etwas musst du doch nicht erst mit diesem Wichser besprechen!« Das war ohnehin ein doofer Gedanke gewesen, musste er selber zugeben. Auslieferungsabkommen waren innerhalb Europas wohl eine Selbstverständlichkeit. Er glaubte aber auch nicht, dass wegen einem kleinen Feuerchen gleich international nach ihm gefahndet wurde – jedenfalls nicht, solange die Frau des Hausmeisters noch lebte. In der Schweiz hingegen würde es schon bald sehr ungemütlich für ihn werden, davon war er überzeugt. Und deshalb wollte er erst einmal über die Grenze. In einem einigermaßen vernünftigen Tempo voranzukommen, war wegen der vielen Baustellen allerdings gar nicht so einfach. So wie jetzt: drei ausreichend breite Hilfsspuren, kaum Verkehr, aber sechzig Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit. Holsbein gab sich alle Mühe, der Versuchung zu widerstehen, kräftig aufs Gaspedal zu treten. Nur nicht auffallen. Bloß nicht noch eine Begegnung mit den Bullen.

      Er fuhr bei der Raststätte Grauholz von der Autobahn ab und parkte seinen Wagen neben der Tankstelle. Der Handyakku war fast leer, also besorgte sich Holsbein im Shop einen Adapter für den Zigarettenanzünder. Kowalski ging immer noch nicht ran. Und für Püppy hatte er gerade gar keine Nerven. Ohnehin wäre es besser, das Handy erst einmal auszuschalten – falls die Bullen eine Ortung durchführen würden.

      Für den Grenzübergang hatte er verschiedene Möglichkeiten: Entweder den großen bei Genf-Bardonnex im Anschluss an die A1, wo man immer mit einer Kontrolle rechnen musste, oder einen der kleineren Übergänge im Jura, die stellenweise nachts nicht besetzt waren, soweit er das wusste. Holsbein holte die Straßenkarte aus dem Handschuhfach und faltete sie umständlich auf. Er wollte es auf gut Glück in dem kleinen Grenzkaff La Cure versuchen. Laut Routenplaner dauerte die Fahrt