Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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der Hausverwaltung einen Schlüssel geben und halt mich da raus.«

      »Geht nicht, die haben vor einem halben Jahr ein neues Schloss einbauen lassen und nirgendwo einen Schlüssel hinterlegt. Nicht wahr, Frau …« Er schaute rüber zu der Alten, die vor Aufregung fast platzte und mit ihren schrumpeligen Händen pausenlos über ihre Schürze strich.

      »Das ist richtig, ja«, sagte sie laut, damit man sie am anderen Ende der Leitung auch bestimmt hören konnte. »Ich heiße Hasenbühl, Linda Hasenbühl, geborene Hunziker.«

      Widmer grinste. »Und Frau Hasenbühl ist der Meinung, dass man Karl Kowalski alles zutrauen muss. Das stimmt doch, Frau Hasenbühl?«

      »Aber sicher«, sagte die. »Bei dem ist alles möglich. Vorletzte Woche, an einem Dienstagvormittag, es war zehn Uhr zwanzig, da …«

      Eine Viertelstunde später traf der Schlüsseldienst der Kriminalpolizei ein, in Begleitung eines weiteren Beamten und zweier Sanitäter. Für Außenstehende war das womöglich ein bisschen viel personeller Aufwand, aber bei Code 28 eben Pflicht. Nach einer halben Minute war der Schlosszylinder durchbohrt und Widmer betrat die abgedunkelte Wohnung. Er fand Kowalski auf dem Boden vor dem Fernseher sitzend, eine Schüssel Cornflakes vor sich.

      »Ich weiß von gar nichts«, sagte Kowalski mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der gerade ganz woanders sein wollte.

      »Wie schön, dass es Ihnen gut geht, Herr Kowalski. Wir haben uns Sorgen gemacht«, sagte Widmer laut. Dies war das Zeichen für die Sanitäter, dass ihre Anwesenheit nicht mehr länger nötig war. Wenn Widmer den Code 28 ausrief, wurden sie eigentlich nie gebraucht. Deshalb hatten sie sich schon gar nicht die Mühe gemacht, den schweren Notfallkoffer und den Defibrillator in den dritten Stock zu schleppen.

      Noch selten in seiner 25-jährigen Karriere als Polizist hatte Widmer erlebt, dass ein Verdächtiger so schnell einknickte. Schon auf der Rückfahrt ins Revier war es aus Kowalski herausgesprudelt. Er gab zu, in der besagten Nacht mit Holsbein auf Sauftour gewesen zu sein und berichtete detailliert, wie sie den Automaten angezündet hatten. Und auch, dass sie dabei von dem Alten mit seinem Hund beobachtet worden waren. Dieser habe gedroht, alles der Polizei zu verraten, wenn sie ihm nicht 5000 Franken bezahlen würden, jammerte Kowalski. Er versuchte es als Akt der Selbstverteidigung darzustellen, dass sie wiederum dem erpresserischen Hausmeister gedroht hatten, ihm mit einem rostigen Messer die Zunge rauszuschneiden, falls er jemanden von der Sache erzählen sollte oder auch nur die Feuerwehr rufen würde. Kowalski war dermaßen im Erzählfluss, dass er sogar noch zwei kleine Ladendiebstähle aus seiner Jugendzeit beichtete.

      Nun saß er wie ein Häufchen Elend auf der Rückbank und schaute teilnahmslos aus dem Fenster.

      Die Einsatzzentrale meldete sich über Funk.

      »Schieß los, was gibt es?«, wollte Widmer wissen.

      »Wir haben ihn«, verkündete Suter triumphierend. »Sein Handy wurde in Kleinhüningen in Basel lokalisiert.«

      »Der will sich nach Deutschland davonmachen«, stellte Widmer fest.

      »Die Beamten an der deutschen Grenze sind alarmiert«, sagte Suter, »und die Kollegen in Basel positionieren sich gerade an den wichtigsten Zufahrtsstraßen zum Zoll.«

      Widmer schaute auf sein Handy. 16.24 Uhr. Er hoffte, dass sie nicht zu spät waren.

      * * * * *

      Holsbein ließ Kleinhüningen hinter sich und fuhr nach Westen zurück Richtung Zentrum. Nach etwa eineinhalb Kilometern bog er rechts ab, um den Rhein auf der Dreirosenbrücke zu überqueren. In Basel St. Johann schwenkte er in die frisch asphaltiere Elsässerstraße ein.

      »Ich Idiot«, schrie er plötzlich und schlug auf das Lenkrad ein. Es war sechzehn Uhr. Um diese Zeit gab es am Übergang Saint Louis wegen der französischen Pendler jeweils kaum ein Durchkommen. Und einen Stau konnte Holsbein jetzt gar nicht gebrauchen. Er überlegte fieberhaft, ob er einen anderen Grenzübergang nach Frankreich nehmen konnte. Aber in Basel kannte er sich nicht gut aus, und außerdem war es fraglich, ob es woanders besser aussehen würde.

      Zu Holsbeins Erstaunen war die Warteschlange vor dem Zoll relativ kurz, das musste an den Ferien liegen. Ein Beamter ließ die Autofahrer zügig passieren. Zwei weitere Grenzbullen standen breitbeinig und mit der Maschinenpistole im Anschlag ein paar Meter weiter hinten. Noch fünf Autos, dann war er an der Reihe. Holsbein ließ das Seitenfenster runter, versuchte einen gelangweilten Gesichtsausdruck aufzusetzen. Noch drei Autos. Sein Herz hämmerte wie verrückt. Jeder noch so debile Grenzbeamte würde auf fünfzig Meter Entfernung sofort erkennen, dass er Dreck am Stecken hatte, da war er sich ganz sicher. Jetzt war der weiße Fiat Punto mit Glarner Kennzeichen vor ihm dran. Der Grenzbeamte bückte sich zum Fenster runter, sagte etwas, wartete, sagte wieder etwas, und der Fiat fuhr weiter. Holsbein rollte an, suchte den Blick des Grenzers. Doch der nahm scheinbar weder vom Auto noch vom Fahrer richtig Notiz und winkte ihn durch. Und von den Franzosen einige Meter weiter schien sich gar niemand für den Grenzverkehr zu interessieren. Holsbein befürchtete schon, vor lauter Erleichterung zu kollabieren. Aber er riss sich zusammen, atmete ein paarmal tief durch und fuhr einfach immer weiter geradeaus.

      Das gute Gefühl hielt jedoch nicht lange an. Denn nun beschlichen ihn ernsthafte Zweifel, ob ihn die Sache mit der internationalen Fahndung wirklich nichts anging. Im Prinzip war es möglich, dass ihn die Schweizer Bullen mit einem einzigen Knopfdruck ins Schengener Informationssystem hochluden. Dann reichte eine kleine Routinekontrolle – und schon hatten sie ihn. Holsbein hoffte zwar, dass ihn die Fahnder aufgrund seiner kleinen Finte und der Nachricht an Püppy erst einmal in Deutschland suchen würden. Aber er wollte kein Risiko eingehen und fuhr an der Autobahneinfahrt vorbei. Schließlich gab es an den Zahlstellen immer wieder Großkontrollen. Und die vielen Kameras alle paar Kilometer auf freier Strecke waren ihm auch nicht geheuer, dann theoretisch konnten die die Kennzeichen sämtlicher vorbeifahrender Autos registrieren. Den Franzosen traute er grundsätzlich alles zu.

      Also fuhr er auf der Landstraße Richtung Westen, vorbei an Feldern, kleineren Waldgebieten und Wiesen mit Kühen, alle paar Minuten unterbrochen von einem langweiligen Kaff. »Scheißgegend«, grummelte Holsbein und kramte im Handschuhfach herum. Ihm war nach etwas Fröhlichem zumute, also zog er das neue Album der Interrupters heraus. Ska würde ihn ein wenig aufmuntern, und er liebte die Stimme dieser Frau. Doch die CD-Hülle war leer. Also keine Musik.

      Nach gut einstündiger Fahrt hatte Holsbein Belfort erreicht. Erst einmal musste eine Autowerkstatt her, die sein Rücklicht reparierte. Er konnte es nicht riskieren, deshalb nochmals von den Bullen angehalten und kontrolliert zu werden. Am liebsten wäre ihm eine kleine Hinterhofschrauberei gewesen, denn er befürchtete, dass Vertragsgaragen die Kunden registrierten und bei Schäden, die zweifelsfrei durch Unfälle verursacht worden waren, automatisch Meldung machten. So langsam würde er noch paranoid.

      Die Suche zog sich hin, denn da Holsbein das erste Mal in Belfort war, fuhr er einfach kreuz und quer durch die Stadt. Als er gleich neben dem Friedhof endlich eine Werkstatt fand, war die bereits geschlossen. Lautstark fluchend lenkte er seine Karre wieder in die Richtung, in der er das Zentrum vermutete. Er wollte sich erst einmal eine Bleibe suchen. Keinen halben Kilometer stadteinwärts entdeckte er in einem Straßenzug mit vier- und fünfstöckigen Wohn- und Geschäftshäusern ein kleines, leicht angestaubtes Dreisternehotel.

      Als die stark parfümierte und ebenfalls leicht angestaubte Dame des Hauses die Nummer seines Ausweises in den Computer eintippte, meldete sich der Verfolgungswahn erneut. Was wäre, wenn die Personalien in Echtzeit von einem Fahndungscomputer abgeglichen wurden? Dann stürmten hier in fünf Minuten zwanzig Flics rein, die ihm mit ihren Schlagstöcken den Schädel zertrümmern und ihn schließlich in Auslieferungshaft werfen würden.

      Holsbein setzte ein Lächeln auf, das er für ziemlich unschuldig hielt. »Und, bin ich auf der Terror-Liste?«

      »Wie bitte?«

      »Meine Personalien …«, er zeigte auf den Computerbildschirm, »gehen die Daten nicht direkt an die Polizei zur Überprüfung?«

      »Das ist ein ernstes Thema, mein junger Herr«, sagte sie, und winkte dann ab. »Es gab immer wieder