Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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tust du mir das an?«

      Tag 3

      Der nächste Morgen war schlimmer als nach einer durchzechten Nacht. Holsbein hatte kaum die Augen geöffnet, da war die ganze Scheiße der letzten Tage auf ihn herabgestürzt. Ihm wurde das erste Mal richtig bewusst, dass er nie mehr in sein altes Leben würde zurückkehren können. Es war zwar nicht gerade eine Aneinanderreihung von Sensationen und Abenteuern, aber ganz nett, und schließlich hatte er es sich so ausgesucht. Nun lag er auf diesem viel zu weichen Bett in einem billigen Hotelzimmer und wusste nicht mehr weiter. Seine Zukunft war völlig ungewiss. Auf der Flucht konnte er nicht ewig bleiben, früher oder später würde er wohl im Knast landen. Am meisten aber setzte ihm zu, dass Aline ihn verraten hatte.

      * * * * *

      Widmer schleuderte den »Amsheimer Boten« auf Leimbachers Schreibtisch.

      »Sie müssen mir keine Zeitung bringen«, meinte der gelassen, »wir haben hier selber welche.«

      »Verdammt, Leimbacher«, donnerte der Hauptkommissar, »ich kann nicht glauben, was Sie da geschrieben haben.«

      »Das habe ich Ihnen doch gestern gesagt, aber Sie wollten ja keine Stellung nehmen«, motzte Leimbacher. »Haben Sie übrigens gelesen, was die ›Nordost-Nachrichten‹ in ihrer heutigen Ausgabe geschrieben haben? Nichts! Mit Ausnahme einer kleinen Randnotiz, dass sich die Frau des Hausmeisters langsam von ihrer Rauchvergiftung und den Verbrennungen erholt. Wir aber bringen die relevanten News. Der ›Amsheimer Bote‹ ist dem Feuerteufel auf der Spur.«

      »Jetzt kommen Sie mal runter, Leimbacher. Ihr Wettstreit mit den ›Nordost-Nachrichten‹ interessiert mich einen feuchten Dreck. Ich will wissen, woher Sie die Infos über Holsbeins Flucht haben.« Widmer setzte sich und versuchte seinem Gegenüber zu erklären, dass es die Fahndung durchaus erleichtern würde, wenn die Polizei Leimbachers Informanten ebenfalls ein paar Fragen stellen könnte.

      Doch der winkte ab. »Quellenschutz, mein Lieber.«

      Widmer musste gegen den Drang ankämpfen, ihm die Faust mitten in sein feistes Babygesicht zu rammen.

      Leimbacher war der feindselige Blick nicht entgangen. Er stand auf und deutete an, dass es für Widmer nun langsam Zeit war, die Redaktionsräume zu verlassen. »Übrigens, Herr Wachtmeister, gibt es denn nichts, was Sie mir zu dem Fall erzählen könnten? Oder muss ich wieder schreiben, dass Sie überhaupt keinen Plan haben?«

      Widmer drehte sich um. »Wir sind da tatsächlich an einer heißen Spur dran, aus ermittlungstaktischen Gründen darf ich Ihnen aber leider nichts darüber verraten. Auf Wiedersehen.«

      Leimbacher ließ sich wieder in seinen Chefsessel plumpsen. Er benötigte dringend neue Informationen, um bei der Story weiterhin den Lead zu haben. »Sarah, komm doch mal, bitte«, rief er durchs Büro, konnte dann aber doch nicht warten und eilte, so schnell sein Bauch es erlaubte, zum Schreibtisch der Praktikantin. »Hast du schon was von Holsbein gehört?«

      »Nein«, sagte Püppy unsicher.

      »Hast du ihm eine Nachricht geschrieben und auch versucht, ihn anzurufen?«

      »Hab ich, aber er hat nicht reagiert.«

      »So ein Mist«, murmelte Leimbacher nach einer Kunstpause, die sein angestrengtes Sinnieren deutlich machen sollte. »Versuch es weiter. Und wenn du ihn bis Mittag nicht erreichst, dann vereinbarst du gleich einen Termin mit dieser Frau Öztürk. Und nimm die Fotokamera mit.«

      »Wer ist das?«

      »Ein Medium, das der Polizei auch schon bei der Ermittlung von Tätern geholfen hat. Die kann uns sicher etwas über diesen Bastard sagen. Wir brauchen unbedingt irgendwelche News.«

      Püppy zögerte. »Ist das die Frau, die die Kollegen von der Mantelredaktion kürzlich als Betrügerin entlarvt haben?«

      »Diese Ignoranten haben doch keine Ahnung«, schimpfte Leimbacher und stapfte zurück in sein Büro. Dank seinem Primeur in der aktuellen Ausgabe konnte es nicht mehr lange dauern, bis die Kollegen von anderen Zeitungen und vom Fernsehen anrufen und ihn um Details zum Fall bitten würden.

      * * * * *

      Nach der kalten Dusche fühlte sich Holsbein wieder besser. Da es im Hotel kein Frühstück gab, ging er auf einen Kaffee in die Bar gegenüber.

      »Ah, mein liebster Stammgast«, begrüßte ihn der Patron. »Kaffee oder doch lieber schon ein Bier?«

      »Das Bier muss noch ein wenig warten«, sagte Holsbein und setzte sich auf seinen Hocker.

      Der Dicke stellte ihm den Kaffee auf den Tresen. »Darf ich Ihnen zwei Croque Monsieur bringen, die Sie dann wieder stehen lassen können?«

      »Nein danke.« Holsbein grinste. Das war einer dieser Barkeeper, die ihre Gäste genau einschätzen konnten, die wussten, wann ihr Geplauder gefragt war, wann sie mit einem Spruch die Stimmung aufheitern – oder einfach die Fresse halten und Schnaps nachschenken sollten. Holsbein nahm einen Schluck Kaffee, verzog das Gesicht. Er legte drei Euro auf die Theke und stand auf. »Bis später.«

      In der Autogarage, die er am Abend zuvor ausfindig gemacht hatte, ging es ziemlich laut zu und her. Zwei Mechaniker waren gerade dabei, im Hinterhof mit Vorschlaghammer und Schweißgerät einen alten Ami-Schlitten auseinanderzunehmen. Der Chef kam mit dem Telefon am Ohr aus dem Büro und lief einmal um den Espace rum. Er rüttelte an der leicht schief sitzenden Plastikverkleidung am Heck, schaute sich das zertrümmerte Rücklicht an und trat gegen den rechten Hinterreifen. »Sollen wir nur die Laterne hier hinten ersetzen oder hat das Schätzchen noch andere Probleme?«, fragte er, ohne das Telefon vom Ohr zu nehmen. Offensichtlich hing er in einer Warteschleife fest.

      »Das Rücklicht reicht«, sagte Holsbein.

      »Darf es denn auch ein gebrauchtes sein?«

      »Sehr gerne sogar.«

      »Gut. Wäre ja auch schade, hier noch was Neues einzubauen«, sagte der Typ. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Bruder noch so ein Modell bei sich rumstehen hat. Er betreibt eine Autoverwertung, drüben in Héricourt. Das Teil bekomme ich allerdings frühestens heute Nachmittag, vielleicht auch erst am Abend. Morgen um zehn Uhr können Sie Ihr Schätzchen wieder abholen.«

      Holsbein reichte ihm die Keycard und den Fahrzeugausweis und verabschiedete sich.

      »Ach ja«, rief ihm der Chef nach, »wir nehmen keine Checks und auch keine Kreditkarten, nur Bares.«

      »Kann mir nur recht sein.«

      Der Tag verlief relativ ereignislos, gerade für einen, der sich auf der Flucht vor der Polizei befand. Nach dem Termin in der Werkstatt ging Holsbein zurück in sein Hotelzimmer. Das Bett war schon gemacht, und die Putzfrau hatte das Ende der Toilettenpapierrolle zu einem Dreieck gefaltet. Das mochte er. Holsbein legte sich aufs Bett und schaltete den Fernseher ein. Die Nachrichtensprecherin auf einem Provinzkanal erinnerte ihn ein wenig an Blondie. Er holte sich einen runter und döste dann ein.

      Mittags ging es in die nächstbeste Pizzeria. Beim Kaffee blätterte Holsbein eine Infobroschüre über Belfort durch, die er aus dem Hotel mitgenommen hatte, er musste schließlich einiges an Zeit totschlagen. Die Zitadelle, der Löwe des Bildhauers Bartholdi, der Befestigungsgürtel: Das alles interessierte ihn einen Scheiß. Und was er auf der Suche nach der Autowerkstatt von Belfort gesehen hatte, war auch nicht wahnsinnig aufregend gewesen. Er beschloss deshalb, sich noch einen runterzuholen und vielleicht ein bisschen zu schlafen.

      Auf dem Weg zurück ins Hotelzimmer kam Holsbein an einem Internetcafé vorbei. Er kaufte dreißig Minuten für fünf Euro und widmete sich den Schweizer Newsportalen. Die Website seiner eigenen Zeitung brauchte er gar nicht erst aufzurufen, viel mehr als ein veraltetes Impressum und die Inseratetarife gab es da nicht zu sehen. »Mal schauen, was der Feuerteufel so macht«, murmelte er und klickte sich durch die vielen aufgeblasenen Sommerlochgeschichten.

      Es dauerte nicht lange, da wurde Holsbein fündig. »Amsheimer Feuerteufel flüchtet nach Rotterdam«, titelte die Onlineausgabe