Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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können.

      »Das wird ihn in den Wahnsinn treiben«, lachte sie.

      »Was hältst du übrigens von Silvia Aeschlimann?«, wollte Camenzind wissen.

      »Wie meinst du das?«

      »Dein Pseudonym. Ich kann dich ja schwerlich suspendieren und dann schreibst du drei Tage später wieder für unsere Zeitung, ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren.«

      Okay, dachte Aline, dann hieß sie nun eben Silvia Aeschlimann. Sie klappte ihren Laptop zu und verstaute die Zahnbürste und ein paar Kosmetikartikel im Rollkoffer, der fertig gepackt neben der Tür stand. Zuletzt steckte sie sich noch die aktuelle Ausgabe des »Amsheimer Boten« ein. »Feuerteufel in Hannover untergetaucht«, stand da in der größten Titelschrift, welche die Layoutvorgaben erlaubten. »Diese Wahnsinnigen«, kicherte sie vergnügt. Hatten die doch tatsächlich Frau Öztürk, das Medium, nach Holsbeins Aufenthaltsort gefragt. Den Artikel würde sie später lesen.

      * * * * *

      Holsbein war zurück auf der Straße. Erneut ging es vorbei an Feldern, vielen Bäumen und Wiesen mit Kühen. Seit einer halben Stunde war immer mal wieder der Doubs zu sehen, auf dem sich Massen von Freizeitsportlern mit ihren leuchtgelben Plastikkanus tummelten. Gegen eine kleine Abkühlung hätte er nichts einzuwenden gehabt. Es war gar gerade einmal Mittag und der Thermometer zeigte schon zweiundreißig Grad. In seinem Family-Van ohne Klimaanlage schwitzte Holsbein wie ein Schwein. Aber eine weitere Verzögerung konnte er sich nicht leisten, denn auf der Landstraße kam er ohnehin schon langsam genug voran. Und eigentlich hatte er geplant gehabt, am Abend ein Bad im Meer zu nehmen.

      Der Vormittag war ganz nach Plan verlaufen. Erst hatte er sein Auto abgeholt, das um zehn Uhr einwandfrei repariert bereitstand. Dann besorgte er sich in einem Geschäft, das im Schaufenster für internationale Geldtransfers und günstige Handytarife warb, eine Prepaidkarte mit 200 Euro Guthaben. Für ein paar Euro extra installierte der Ladenbesitzer eine App, die nötig war, damit das Schweizer Gerät und die französische Karte harmonierten. Um eine Registrierung kam er zwar nicht herum, doch Holsbein gab einen Fantasienamen und eine Fantasieadresse in Toulouse an und erklärte dem Typen, dass er seinen Pass im Hotelzimmer vergessen habe, worauf dieser für einen Zwanziger eine frei erfundene ID-Nummer eintrug.

      Südlich von Besançon meldete sich Holsbeins Magen. In einem Burger King holte er sich zwei Whopper mit doppelt Käse und setzte sich an einen der Tische mit Sonnenschirm gleich neben der stark befahrenen Straße. Er versuchte gleichzeitig den riesigen, wabbeligen Burger zu essen und auf dem Handy rumzutippen, was ihm mehr schlecht als recht gelang. Natürlich tropfte einiges an Sauce auf das Display. Holsbein leckte es sauber und schaute dann, was die Medien über ihn zu berichten hatten. Die »Nordost-Nachrichten« vermeldeten nichts, ebenso wenig die anderen Newsportale. Nur das »Ostschweizer Tagblatt«, dessen Online-Journalisten gerne aus dem »Amsheimer Boten« abschrieben, war offenbar an ihm dran. »Feuerteufel taucht in Hannover unter«, schrie ihm die Schlagzeile entgegen. Er las weiter und erfuhr, dass er bei einer linksautonomen Gruppierung in einem besetzten Haus am Rande Hannovers untergekommen war. Die Zelle mit Kontakten zu früheren Mitgliedern der Roten Armee Fraktion würde ihm nun helfen, seine Flucht nach Norden fortzusetzen. Dies habe das »international bekannte und geschätzte« Medium Frau Öztürk, die auch als Profilerin arbeite, dem »Amsheimer Boten« verraten.

      »Ach du meine Fresse«, japste Holsbein und verschluckte sich fast an seinem Burger. Dieser Leimbacher war wirklich zu allem fähig. Wenigstens hatte er jetzt endlich einmal die Aufmerksamkeit von anderen Medien. Holsbein war nicht entgangen, dass sein Chef jeden Abend heimlich die seiner Meinung nach zwei, drei besten Artikel an sämtliche größere Zeitungen sowie an alle Radio- und Fernsehstationen des Landes verschickte. Nur hatte das bisher niemanden interessiert.

      Zehn Minuten später saß er wieder in seiner Familienkutsche und ratterte auf einer Überlandstraße in Richtung Süden. Erst jetzt bemerkte er den imposanten Saucenfleck auf seiner Jeans.

      * * * * *

      Es gab Momente, in denen Widmer sich fragte, was er in seinem Job eigentlich den ganzen Tag machte. Soeben hatte eine Journalistin der »Nordost-Nachrichten« angerufen und sich erkundigt, ob er Kenntnis davon habe, dass Richard Holsbein in Ostfrankreich in der Nähe von Belfort gesehen worden war. Widmer hatte seine Standardantwort gegeben, wonach man eine heiße Spur verfolge, aus ermittlungstaktischen Gründen aber nichts zu dem Fall sagen könne. Woher nur glaubte diese junge Frau zu wissen, wo sich der Feuerteufel aufhielt? Sie schien sich ihrer Sache ziemlich sicher gewesen zu sein, wogegen die Polizei nicht die geringste Ahnung hatte, wo sich Holsbein versteckte und den Fokus aufgrund der Handyortung in Basel-Kleinhüningen eher auf Deutschland richtete.

      Widmer rief Suter in der Einsatzzentrale an. Doch der wusste von gar nichts und badete in seiner niedergeschlagenen Lethargie. Also musste Armin Camenzind mit der Wahrheit rausrücken. Widmer schnappte sich zwei junge kräftige Typen von der Bereitschaft und fuhr mit Blaulicht und Martinshorn die knapp dreihundert Meter von der Wache an den Churfirstenplatz, wo sich die Redaktion der »Nordost-Nachrichten« befand.

      Camenzind staunte nicht schlecht, als der bärtige Kommissar mit seinen lachsroten Hosen, dem bunt karierten Hemd und den zwei kampflustig dreinschauenden Muskelprotzen im Schlepptau ohne anzuklopfen sein Büro betrat und sich vor dem Schreibtisch aufbaute. »Das ist Hausfriedensbruch, meine Herren«, sagte er und versuchte erfolglos seine Verunsicherung zu überspielen.

      Widmer schlug mit der Faust auf die Tischplatte. »So, mein Freund, und jetzt erzählen Sie mir, weshalb mich vorhin eine Ihrer Journalistinnen angerufen und blöde Fragen zu Holsbeins Aufenthaltsort gestellt hat. Er soll bei Belfort gesehen worden sein.«

      Camenzind hatte seine Fassung wiedererlangt. Er steckte sich eine Marlboro zwischen die Lippen, fand aber keine Streichhölzer. »Ich weiß von gar nichts«, sagte er. Inzwischen hatte er unter einem Stapel nachlässig zusammengefalteter Zeitungen ein Feuerzeug entdeckt. Er lehnte sich zurück und zündete die Zigarette an. »Wie hieß denn die Dame?«

      »Sie hat sich als ›Aeschlimann‹ vorgestellt«, knurrte Widmer.

      »Na dann kann ich Ihnen nicht weiterhelfen, bei uns arbeitet niemand mit diesem Namen. Schauen Sie im Impressum nach.« Camenzind legte dem Kommissar eine Ausgabe der »Nordost-Nachrichten« hin. »Seite drei, unten links.«

      Widmer ging die Namen durch. Er fand niemanden, der auch nur annähernd so hieß. »Dann war es diese Journalistin, die den Namen des Täters herausbekommen hat. Holen Sie sie rein, ich will mit ihr reden.«

      »Geht nicht«, sagte Camenzind. »Ich habe sie suspendiert, weil sie nicht damit rausrücken wollte, woher sie all die Informationen hatte.«

      »Wen haben Sie denn dann auf den Fall angesetzt, Camenzind?«

      »Derzeit niemanden. Wenn sich irgendein freier Schreiber der Sache annimmt und uns den Text dann anbietet, kann ich das aber auch nicht verhindern.« Er fischte einen Kugelschreiber aus der bunt bemalten Büchse, die ihm seine Nichte zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. »Wenn wir gerade so schön am Plaudern sind: Was weiß die Polizei über dem Aufenthaltsort des Feuerteufels?«

      »Wir sind an ihm dran«, brummte Widmer. »Aus ermittlungstaktischen Gründen können wir aber keine Details verraten.«

      * * * * *

      Die Sache mit dem Bad im Mittelmeer konnte Holsbein erst einmal vergessen. Blöderweise hatte er sich für seine Flucht in den Süden ausgerechnet die Hauptreisezeit in den Schulferien ausgesucht – und war mitten in den Strom unzähliger Touristen hineingeraten. Vor Vienne staute sich der Verkehr auf über fünfundzwanzig Kilometern, und später in Valence nochmals auf etwa zwanzig. Deshalb waren die ganz Schlauen von der Autobahn abgefahren und verstopften damit auch noch die Überlandstraßen. Holsbein hatte es im Schneckentempo bis kurz nach Montélimar geschafft, wo er seinen Renault entnervt auf einem Rastplatz parkte. Sein Nachtessen bestand aus einem durchgeweichten Industrie-Sandwich und einer Packung Mini-Salami.

      Mittlerweile hatte sich auch wieder seine Paranoia gemeldet, und so entschied er, sich andere Nummernschilder zu besorgen. Seine alten Schilder lässig in einem Plastiksack schwingend,