Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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Prachtexemplar, eingeklemmt zwischen zwei Vierzigtönnern aus Polen. »Wunderlich Caravan und Wohnwagen Vermietung, Altbrunn« stand in großen Lettern auf der Rückseite der Kiste. Holsbein war zufrieden. Der kannte sein Kennzeichen bestimmt nicht und der Wechsel würde erst auffallen, wenn er das Gefährt wieder dem Vermieter zurückbrachte.

      Holsbein klaubte sein Handy aus der Hosentasche. 22.35 Uhr. Dieser Teil des Parkplatzes war schlecht beleuchtet. Die Familie, oder wer auch immer mit diesem Wohnmobil in die Ferien fuhr, befand sich wahrscheinlich im Innern des Fahrzeugs, denn zwischen den zugezogenen Vorhängen war Licht zu sehen. Das würde ein Kinderspiel werden, machte sich Holsbein Mut. Er kauerte sich hin und inspizierte das vordere Schild. Es hatte einen einfachen Click-Verschluss. Nach nicht einmal zwanzig Sekunden hatte er das Kennzeichen ausgetauscht. Das hintere Nummernschild klemmte ein wenig, doch auch da war der Wechsel schnell erledigt. Holsbein hatte sich gerade aufgerichtet und das Stück Blech im Plastiksack verschwinden lassen, als ihn jemand mit der Taschenlampe blendete.

      »Was machst du dich hier an meinem Auto zu schaffen, du Penner?«, fragte eine aufgeregte männliche Stimme auf Schweizerdeutsch.

      Holsbein dachte kurz an Flucht, beschloss dann aber, den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen und so zu tun, als würde er seinen Schwanz suchen. Mit der anderen Hand stützte er sich am Wohnmobil ab.

      »Hubert, was ist da draußen los?«, tönte eine weibliche Stimme aus dem Wagen.

      »Da will so ein Besoffener an unser Wohnmobil pissen.«

      »Siehst du, ich habe doch gesagt, wir sollten besser auf einem Campingplatz übernachten«, schimpfte die Frau. »Aber nein, das war dir ja zu teuer.«

      »Und ich habe dir schon hundertmal erklärt, dass um diese Jahreszeit entlang der Autobahn kein einziger Platz mehr frei ist«, rief Hubert über die Schulter. Der Strahl der Taschenlampe war inzwischen auf Holsbeins Schwanz gerichtet. Der stopfte sein Ding wieder in die Hose, nuschelte ein paar französische Wortfetzen und wankte langsam davon.

      »Aber du hättest reservieren können«, keifte die Frau weiter.

      »Theoretisch wäre es aber auch möglich gewesen, dass es weniger Verkehr hat und wir auf dem Weg nicht zu übernachten brauchen«, sagte Hubert.

      »Hallo? Wir haben Ferien! Da ist ein Stau ja wohl keine Überraschung.«

      Hubert ging ein paar Schritte hinter Holsbein her, um sich zu vergewissern, dass der auch wirklich das Weite suchte. Dann schlurfte er in seinen Badelatschen zurück zum Wohnmobil, stieg die zwei Stufen hinauf und schlug die Tür hinter sich zu.

      Tag 5

      Aline holte sich noch ein Croissant vom Buffet. Dazu ein paar Scheiben Schinken, etwas Camembert, ein Glas ganz bestimmt nicht frisch gepressten Orangensaft und ein Danone-Joghurt. Kaum hatte sie sich gesetzt, stand der für diesen Bereich zuständige Kellner an ihrem Tisch und schenkte Kaffee nach. Der Kerl ging ihr langsam auf die Nerven. Eigentlich hatte sie nichts dagegen, wenn ihr die Typen bewundernd nachschauten. Sofern sie gut drauf war, natürlich. Nur sollte das mit ein bisschen Stil und einer gewissen Zurückhaltung geschehen. Dieser Kellner aber sabberte ihr fast in den Ausschnitt.

      Zurück im Hotelzimmer warf sie sich aufs Bett, fingerte an ihrem Handy herum und tippte dann eine Zahlenreihe in den Laptop. »Schon wach? Wirst ja noch zum Frühaufsteher«, murmelte sie und zoomte auf der Karte näher ran. »Du armer Kerl, musstest in deiner alten zugigen Karre auf einer Raststätte schlafen.« Redete sie da gerade mit dem Computer?

      Aline öffnete die Internetseite der »Nordost-Nachrichten« und betrachtete ihr Werk. »Feuerteufel auf dem Weg nach Südfrankreich«, stand da. Für einmal hatten die Online-Aasgeier sogar ihren Titel beibehalten. Auch das Bild war eingefügt. Gemäß Legende war auf der Aufnahme Richard Holsbein zu sehen, wie er in einem Shop auf einer Raststätte südlich von Vienne im Departement Isère eine Flasche Cola kauft. Das Foto, ganz offensichtlich die Aufnahme einer Überwachungskamera, war unscharf und verzerrt, sodass der Kopf bei genauerem Betrachten nicht wirklich zum Rest des Körpers zu passen schien. Außerdem waren die Augen mit einem dicken schwarzen Balken abgedeckt. Eigentlich konnte das eine beliebige männliche Person an einem beliebigen Ort sein.

      »Die drucken wirklich alles ab«, sagte Aline zu sich selber und zuckte mit den Schultern.

      Für das Bild hatte sie aus einer rund zwei Jahre alten, von der Perspektive her einigermaßen passenden Aufnahme Holsbeins mit Photoshop den Kopf ausgeschnitten, mit einem Screenshot einer Überwachungskamera irgendeines Tankstellenshops aus dem Internet zusammengefügt und das Ganze dann etwas bearbeitet: Kontrast runter, Helligkeit rauf, ein wenig an der Tonwertkorrektur und der Farbsättigung rumgeschraubt, zum Schluss noch ein kräftiges Bildrauschen darübergelegt und in alle Richtungen verzogen. Damit es auch richtig scheiße aussah, fotografierte sie das Bild auf dem Laptopmonitor mit ihrem Handy ab und schickte es an die Redaktion. Dazu ein bisschen Text, in dem eine frei erfundene Angestellte sagen durfte, dass sie von Holsbein auf eine ziemlich primitive Art angemacht worden sei. Außerdem ein paar längst bekannte Details aus der Tatnacht sowie einige Mutmaßungen, wohin Holsbein flüchten könnte. Zum Schluss durfte die Polizei noch sagen, sie gebe aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskunft über den Fall. Der Artikel war höchstens halb so lang wie die geforderten fünftausend Zeichen, aber Aline hoffte, dass das Foto als Ersatz für mehr Informationen ausreichte.

      Das tat es offenbar. Gerade kam eine Whatsapp-Nachricht von Camenzind rein: »Ich will gar nicht wissen, wie du an die Aufnahme und an die Infos gekommen bist, aber mach weiter so! Gruß, C.«

      Aline verfolgte auf dem Computer, auf welcher Route Holsbein bisher unterwegs gewesen war. Auch wenn die Ortung nicht immer sehr genau war, konnte sie durch das Bewegungsprofil dennoch deutlich ausmachen, dass er die Autobahn mied und stattdessen die Überlandstraße benutzte. Wenn sie selber schön auf der Autobahn blieb, würde sie ihn bald eingeholt haben.

      * * * * *

      Es war elf Uhr, und noch immer keine Neuigkeiten vom Feuerteufel. Leimbacher ging unruhig in der Redaktion auf und ab. Er sorgte sich, den Themenlead in der Sache an die »Nordost-Nachrichten« zu verlieren. Dass diese Arschlöcher Holsbein in Frankreich ausfindig gemacht hatten und dies sogar mit einem Bild beweisen konnten, war gar nicht mal so übel gewesen, das musste er zugeben. Dummerweise ließ das den »Amsheimer Boten« schlecht aussehen, schließlich hatte Frau Öztürk den Feuerteufel deutlich weiter im Norden ausgemacht.

      Als Leimbacher hinter Püppy stehenblieb, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. »Was zum Teufel machst du da?«

      »Ich schreibe einen Artikel über Richards Flucht.«

      »Das sehe ich. Woher hast du das?«

      »Hier.« Püppy reichte ihrem Chef die aktuelle Ausgabe des »Ostschweizer Tagblatts«.

      »Dir ist schon klar, dass du hier gerade unsere Geschichte abschreibst?«

      »Wie …?«

      »Na hier, die beziehen sich in ihrem Artikel auf die Aussage von Frau Öztürk, die wir gestern in unserer Zeitung hatten.« Leimbacher knallte das »Tagblatt« auf Püppys Schreibtisch. »Okay, also, du rufst jetzt diese Frau Öztürk an und fragst sie, wie sie so weit danebenliegen konnte. Und dann fragst du sie auch noch, wohin Holsbein unterwegs ist. Hast du übrigens noch einmal versucht, den Wichser zu erreichen?«

      »Ja, ein paar Mal, er scheint sein Telefon ausgeschaltet zu haben. Aber ich habe vorhin eine Mail von ihm bekommen. Also ich glaube, sie ist von ihm. Als Absender steht ›König Chumbawamba‹.«

      »Zeig her!« Leimbacher beugte sich zum Bildschirm runter und las: »Hallo Sarah, die Sache mit Rotterdam hat leider nicht geklappt. Ich bin jetzt auf dem Weg nach Westfrankreich und versuche, irgendwo in Bordeaux einen Job in einem Weinberg zu bekommen. Die suchen immer Saisonarbeiter und stellen keine Fragen. Ich schreibe dir das nur, damit du dir keine Sorgen machst. Bitte erzähl dem Alten nichts davon, und auch nicht Kathrin. Liebe Grüße, Richard.«

      Leimbacher kratzte sich am Hinterkopf. »Der