Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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ganz einfach ist und auch nicht wirklich günstig würde. Momentan ruhen die Pläne jedenfalls, soweit ich weiß. Aber nach dem nächsten Terroranschlag wird das Anliegen sicher wieder aus der Schublade geholt.«

      »Aha«, murmelte Holsbein. Er hatte erfahren, was er wissen wollte und hoffte nun, dass sie zu quasseln aufhören würde und er sich endlich ein wenig ausruhen konnte.

      »Wie läuft das denn bei Ihnen in der Schweiz?«, erkundigte sich die Dame.

      »Ach, das ist von Region zu Region verschieden«, sagte Holsbein schulterzuckend. »An einem Ort werden die Daten automatisch an die Polizei weitergeleitet, dann fährt man fünf Kilometer, und dort müssen die Personalien lediglich registriert und aufbewahrt werden. Und natürlich wird überall darüber gestritten, die Vorschriften in die eine oder andere Richtung zu ändern.«

      Sie schüttelte nur den Kopf: »Was euch Schweizern fehlt, ist ein starker Zentralstaat, der sagt, wo es langgeht. Das geht doch nicht, dass jeder machen kann, was er gerade will.«

      * * * * *

      Halb sieben Uhr abends, und die Kollegen aus Basel hatten noch immer keinen Treffer gemeldet. Widmer stand in der Einsatzzentrale herum, wo die Meldungen zusammenliefen.

      »Ich sags dir, der ist uns entwischt«, sagte Suter, der sich wieder in seiner angestammten missmutigen Stimmung suhlte.

      »Wer weiß«, entgegnete Widmer, »vielleicht hat er das Land ja gar nicht verlassen.«

      »Oder er hat uns reingelegt und ist gar nicht in Basel über die Grenze.«

      »Die Meldung ging ja aber an alle Schweizer Grenzwachkorps«, warf Widmer ein. »Jedenfalls haben wir nun lange genug gewartet. Jetzt können sich die Kollegen im Ausland mal ein bisschen an der Suche beteiligen.«

      Widmers Diensthandy jammerte »La Paloma«.

      »Echt jetzt?«, grinste Suter. »Du alter Romantiker.«

      Widmer zeigte ihm den Stinkefinger und nahm den Anruf entgegen. »Ja bitte?«

      Es war Armin Leimbacher vom »Amsheimer Boten«. »Herr Widmer, gut, dass ich Sie noch erwische. Wir haben gesicherte Hinweise, dass sich der Feuerteufel nach Deutschland abgesetzt hat und sich nun nach Rotterdam durchschlagen will. Dort versucht er als Matrose auf einem Frachter anzuheuern und will dann untertauchen.«

      Widmer verdrehte die Augen. »Ja und?«

      »Wissen Sie was darüber? Was ist Ihr Kenntnisstand? Und weshalb ist er Ihnen entwischt?« Leimbacher schien förmlich zu hecheln.

      »Immer langsam, mein Guter. Erst einmal möchte ich wissen, von wem Sie das nun wieder haben.«

      »Informanten, Widmer, wir haben In-for-man-ten!«

      »Und deren Namen wollen Sie natürlich nicht nennen, wegen des Quellenschutzes, nicht wahr?«

      »Ganz genau«, geiferte Leimbacher. »Nur unabhängige Medien können ihre Verantwortung als vierte Gewalt wahrnehmen.«

      Widmer hätte ihm auf der Stelle den Hals umdrehen können.

      »Also«, hakte Leimbacher nach, »wissen Sie jetzt etwas darüber? Sonst schreibe ich, dass die Polizei im Dunkeln tappt. Das möchten Sie doch nicht, oder?«

      »Das ist mir so was von egal«, schnauzte Widmer ins Telefon. »Schreiben Sie, was Sie wollen.«

      * * * * *

      Holsbein hatte ein wenig geschlafen, dann im TV erfolglos den Pornokanal gesucht und sich schließlich mit Gedanken an Blondie schön einen runtergeholt. Wieso bloß verliebte er sich immer so schnell in die Frauen?

      Ihm war nach etwas Zerstreuung und drei oder vier Bier zumute. Weit gehen musste er dafür nicht, gleich gegenüber dem Hotel gab es eine Bar namens Princesse. Der Laden sah so aus, als hätte ihn ein überambitionierter Regisseur für seinen Film als Treffpunkt für Kleinkriminelle und Nutten ausstatten lassen. Der Boden, die kleinen Pressholztische, die Plastikstühle, die dunkle Holzverkleidung – alles wirkte abgewetzt und schmuddelig. Der Messingüberzug des Tresens war matt und voller Flecken. An der durch den Rauch Zehntausender Zigaretten dunkelgelb gefärbten Decke hingen halbrunde orange Plastiklampen aus den Siebzigerjahren. Im hinteren Bereich gab es einen Spielautomaten, auf dem der einzige Gast herumdrückte.

      Mittendrin stand der Patron, ein riesiger, dicker Kerl mit Stiernacken und Glatze, und starrte ihn ausdruckslos an. Er hatte sich eine mintgrüne Schürze um die Hüfte gebunden. Mit seinem weißen T-Shirt und den Hosenträgern sah er aus wie ein gigantischer Skinhead. Holsbein bestellte im Vorbeigehen ein Bier und setzte sich an der Bar auf den Hocker, der am wenigsten zerschlissen war. Er holte sein Handy mitsamt Kopfhörern hervor, denn nun war es Zeit für das Video von Stadtpräsident Ehrbar. Holsbein freute sich wie ein kleines Kind, als der Alte mit hochrotem Kopf über den Täter schimpfte und dabei dermaßen in Rage geriet, dass die Redaktion die übelsten Worte wegpiepen musste: »Unsere Region hat sich gerade eben von der Sache mit dem Dioxin erholt, Millionen von Franken haben wir in die Renaturierung investiert, und da kommt so ein mieses kleines – piep! – auf die – piep! – Idee, hier ein bisschen mit dem Feuerzeug rumzuspielen und uns alles kaputtzumachen.« Holsbein war schon klar, weshalb Ehrbar sich so aufregte. Als Besitzer eines großen Landgasthofs mit Hotelbetrieb war er auf die Touristen angewiesen, welche besonders im Sommer das Naturschutzgebiet rund um den Elsingersee genossen. Ansonsten hatte die Gegend ja nicht viel zu bieten.

      In den Beitrag reingeschnitten waren Sequenzen von Feuerwehrleuten, die verendete Seevögel und Fische – darunter viele Welse, die sich in letzter Zeit stark vermehrt hatten – aus dem Wasser schaufelten und auf Anhängern wegkarrten. Das mussten mehrere Tonnen Kadaver sein, dachte Holsbein, dem alles andere als wohl war bei der Sache. Schließlich sah er sich selbst als eine Art Tierfreund. Wenn auch mit Ausnahmen. Den verdammten Hahn von Bauer Müller, der ihn jeden gottverfluchten Morgen um fünf Uhr aus dem Tiefschlaf riss, den hätte er nur zu gerne brennen sehen. Leider war das Viech als Erstes aus dem in Flammen stehenden Hühnerstall gerannt gekommen.

      Holsbein nahm einen großen Schluck Bier und fragte den Patron, was denn die Küche zu bieten habe. Das war das Schöne an Frankreich: In jedem noch so versifften Loch konnte man etwas zu essen kriegen, das dann oft auch noch erstaunlich gut schmeckte.

      »Die Spezialität des Hauses ist Croque Monsieur, mein Herr«, sagte der Dicke und deutete eine Verneigung an.

      »Ausgezeichnet, ich nehme gleich zwei.« Holsbein schaute dem Patron nach, wie der in den Nebenraum ging und kurz darauf zurückkehrte, in der Pranke zwei tiefgefrorene Toasts, die er umständlich aus der Verpackung klaubte und in einen Ofen legte.

      »Wünschen der Herr noch ein Hors d’oeuvre?«

      »Gerne ein Bier«, sagte Holsbein und rief nochmals den Zeitungsartikel auf. Woher hatten die bloß dieses Foto? Er war nicht die schlechteste Aufnahme, auch wenn wegen des Balkens seine blau-grünen Augen nicht zu sehen waren. Die hatte er von seinem Großvater geerbt, einem Schwerenöter und notorischen Weiberhelden. Auch Holsbein waren die Glubscherchen immer mal wieder hilfreich gewesen, und das nicht nur bei den Frauen. Schöne Menschen wurden von der Welt nun einmal besser behandelt als hässliche Gnome. Lediglich mit der Frisur war er nicht ganz zufrieden. Das Bild musste kurze Zeit nach einem Coiffeurbesuch entstanden sein. Wobei, »Coiffeurbesuch« war vielleicht ein etwas zu großes Wort. Sein Kumpel Can konnte gerade mal einen Haarschnitt: die Seiten und im Nacken kurz, oben fünf Zentimeter lang, mit fließendem Übergang. Das sah die ersten drei, vier Tage nach Fünfzigerjahre-Biedermannfrisur aus. Danach ging es, wenn man ein bisschen Haargel zu Hilfe nahm. In Amsheim gab es einige Leute, die sich in Cans kleinem Badezimmer die Haare schneiden ließen. Sie alle hatten ihm einst einen Gefallen tun wollen, nachdem er seinen Job als Automechaniker verloren und einer Depression nahe im Bekanntenkreis seine Dienste als Coiffeur angeboten hatte. Und sie blieben irgendwie dabei. Holsbein jedenfalls hatte Skrupel, sich einen anderen Friseur zu suchen. Denn Can war alles andere als das, was man landläufig als »psychisch stabil« bezeichnet und konnte nur schlecht mit Rückweisungen umgehen.

      Der Patron servierte das Essen, diesmal mit einer echten