Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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      »Dieser verdammte Holsbein, ich hatte bei dem nie ein gutes Gefühl«, schimpfte Redaktionsleiter Armin Leimbacher und tigerte durch sein Chefbüro. »Wenn der den guten Ruf des ›Amsheimer Boten‹ ramponiert, dann hat er zu dem allem noch eine Anzeige wegen Geschäftsschädigung am Hals.«

      »Also streng genommen behandeln wir Richard Holsbein zum jetzigen Zeitpunkt lediglich als Verdächtigen; die Unschuldsvermutung gilt auch für Journalisten«, sagte Urs Widmer. Der Hauptkommissar der Kriminalpolizei hatte seine Kollegen mit Holsbeins Computer zurück ins Revier geschickt und sich danach durch die Befragung mit der Praktikantin gequält. Und nun hielt ihn dieser übereifrige Chefredakteur auf, wo es doch längst Zeit war für sein Mittagessen. Also versuchte er die Sache kleinzureden: »Wir haben einen Augenzeugen, der im Halbdunkel im schlaftrunkenen Zustand aus einiger Entfernung etwas gesehen haben will.«

      »Und die Überwachungskamera auf der Sportanlage?«, fragte Leimbacher, der sich nicht mehr von der Idee abbringen ließ, dass Holsbein der Feuerteufel war. Und dessen Kopf wollte er rollen sehen. Als Chefredakteur war er das seinen Lesern schuldig, fand er. Und dieser Clown von einem Polizisten mit seiner viel zu bunten Kleidung, die sicher seine Frau für ihn ausgesucht hatte, würde ihn nicht daran hindern.

      »Die Aufzeichnungsdaten müssen erst von unseren Spezialisten ausgewertet werden«, sagte Widmer beiläufig. »Bei der ersten Durchsicht war nicht gerade viel zu erkennen, wie ich Ihnen ja schon gesagt habe. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe noch einen dringenden Termin.«

      »Dann fassen Sie ihn endlich und holen das Geständnis aus ihm heraus«, forderte Leimbacher.

      »Wir tun ja, was wir können«, beschwichtigte Widmer und überflog in Gedanken die Mittagskarte des ›Sternen‹, die er sich nach dem Aufstehen im Internet angeschaut hatte.

      Leimbacher nutzte die kurze gedankliche Abwesenheit des Hauptkommissars aus, tänzelte mit seinem dicken Bauch bemerkenswert agil zwischen zwei Schreibtischen durch und stellte sich im Flur breitbeinig Widmer in den Weg. »Ich muss wissen, wie die Fahndung läuft, immerhin geht es um einen ehemaligen …, äh, um einen Mitarbeiter von mir.« Widmer versuchte sich an Leimbacher vorbeizudrücken, doch der hatte nun endgültig Feuer gefangen und ließ sich nicht beirren. Da kam etwas in ihm hoch, das ihn vor vielen Jahren während seiner Zeit als junger Journalist bei einer großen Tageszeitung zu hartnäckigen Recherchen angetrieben hatte – und dann mit den Jahren im Alltag versandet war. Er fixierte den Kommissar mit seinen babyblauen Augen. »Dann machen Sie eine Handyortung.«

      »Dass ich so etwas ausgerechnet von der Presse hören muss«, knurrte Widmer, dessen Blutzuckerspiegel sich mittlerweile im Gefahrenbereich befand. »Wir hätten theoretisch durchaus die technischen Möglichkeiten, jedes Handy aufzuspüren. Wir können Gespräche und jeglichen Datenverkehr mitschneiden. Aber was passiert, wenn wir es wirklich einmal tun? Dann ist das mediale Geschrei über den vermeintlichen Polizei- und Überwachungsstaat riesengroß.«

      »Wir haben nie so etwas geschrieben«, betonte Leimbacher jetzt etwas kleinlauter, »das war in unserem zweiten Bund, das macht die Mantelredaktion in Zürich, da haben wir keinen Einfluss drauf.«

      »Sie haben keine Ahnung, wie egal mir das ist«, schimpfte Widmer. Er schob den dicken Chefredakteur mit einigem Kraftaufwand zur Seite und stapfte aus dem Büro.

      »Widmer, warten Sie«, rief Leimbacher. »Ich habe eine Idee. Sarah, unsere Praktikantin, sie ist in Kontakt mit Holsbein. Wir könnten so seinen Aufenthaltsort ausfindig machen.«

      »Sind Sie verrückt?« Widmer schüttelte den Kopf, als würde er ein kleines Kind tadeln. »Ich werde sicher nicht eine noch nicht einmal zwanzigjährige Redaktionspraktikantin als polizeiliche Ermittlerin einspannen. Das ist was für Profis. Und ehrlich gesagt scheint die Kleine nicht besonders helle zu sein.«

      * * * * *

      Holsbein hatte in Nyon die Ausfahrt genommen und war auf der Landstraße Richtung Saint-Cergue gefahren. Erst hatte er einen Traktor vor sich, und dann tuckerte er minutenlang hinter einem holländischen Wohnwagen her, den er schließlich mit einem ziemlich riskanten Manöver überholte. Jetzt stand er am Waldrand und pisste gegen eine Eiche. Als er gerade weiterfahren wollte, holperte der Holländer vorbei. Zwar hatte es Holsbein nicht übertrieben eilig, aber er hasste es, hinter jemanden herzufahren, und die letzten fünfhundert Höhenmeter waren mit all den Schleichern für ihn kaum zu ertragen gewesen.

      Ein paar Minuten später erreichte er La Cure. Er fuhr an herausgepützelten, mit Kuhglocken behängten Ferienchalets vorbei, passierte einen geschlossenen Souvenirshop – und dann war da nach einer Kurve wie aus dem Nichts plötzlich der Grenzposten. Im letzten Moment erwischte Holsbein auf der rechten Straßenseite die Einfahrt zu den Parkplätzen des Hotels La Cure. Er stieg aus und setzte sich an einen der rustikalen Holztische direkt an der Straße, von dem er eine gute Sicht auf den Grenzposten hatte. Das kleine verglaste Häuschen war mit zwei Personen besetzt. Fünfzig oder sechzig Meter dahinter lag der Posten der Franzosen.

      Eine zierliche Blondine kam an seinen Tisch und reichte ihm die Karte. Sie hatte langes, glattes Haar und niedliche Sommersprossen. Säße er hier zusammen mit Kowalski, würden sie über ihre Titten diskutieren. Seinem Mitbewohner konnten sie nicht groß genug sein. Holsbein vermutete dahinter eine Art Mutterkomplex. Ihm war die Größe ziemlich egal, Hauptsache, sie waren gut in Form. Er bestellte ein Steak mit Pommes und dazu ein Bier, lehnte sich zurück und beobachtete Blondie, wie sie den zumeist älteren Gästen bergeweise Kuchen und Trockenfleisch servierte und dabei verführerisch mit ihrem Apfelhintern wackelte. Das erste Mal seit Stunden entspannte er sich ein wenig. Das Handy ließ er ausgeschaltet. Sicher war sicher.

      »Wir schließen jetzt den Garten, drinnen ist noch eine Stunde geöffnet«, sagte Blondie und begann die Tische und Stühle mit einem langen Stahlkabel zu sichern. Es war dunkel geworden. Holsbein blickte noch einmal auf den Grenzposten. Die beiden Beamten waren gerade von zwei Kollegen abgelöst worden, die jedes Auto ganz genau musterten. Es sah nicht so aus, als würde er hier in den nächsten Stunden ungestört durchfahren können. Also winkte er Blondie herbei. Eigentlich wollte Holsbein die Rechnung bestellen, doch aus irgendeinem Grund fühlte er sich großartig, und die fünf Biere hatten seine Erzähllaune drastisch gesteigert. Deshalb klaubte er ein paar Brocken Französisch zusammen und gestand ihr mit gesenktem Blick, dass er ein gesuchter Verbrecher auf der Flucht sei und sich jetzt nach Frankreich absetzen werde.

      Sie musterte ihn abschätzig.

      Holsbein setzte sein Siegerlächeln auf. »Du kannst mich begleiten und dieses langweilige Leben hier in der Einöde hinter dir lassen.«

      »Hast du eine Bank ausgeraubt und kannst mir ein Leben in Luxus bieten?«

      »Na ja, ich habe vorhin an einem Geldautomaten 2000 Euro abgehoben.«

      Blondie legte den Kopf in den Nacken und prustete los. Für so ein kleines Wesen hatte sie eine ziemlich dreckige Lache. »Ich könnte dich heute Nacht bei mir verstecken«, sagte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter.

      Holsbein spürte, wie ihm das Blut in den Schwanz schoss. Die Kleine war sicher zehn Jahre jünger als er, vielleicht einundzwanzig, höchstens zweiundzwanzig. Ob sie ihn verarschte und ihn dann mit einem Harten in der Hose stehen lassen würde? Das Risiko wollte er eingehen. »Aber wenn sie mich erwischen, dann bist du wegen Beihilfe zu was auch immer dran und wanderst hinter Gitter.«

      »Ich wollte schon immer mal in den Frauenknast«, sagte sie und legte einen Schlüssel auf den Tisch. »Erster Stock, das Zimmer ganz hinten links. Ich komme in zwanzig Minuten.«

      Eine halbe Stunde später waren Schritte auf dem Flur zu hören. Holsbein hatte geduscht und lag nur mit seiner Jeans bekleidet auf dem Bett. Er hatte das Gefühl, das sehe ziemlich cool aus, ein bisschen verwegen vielleicht, auf eine gängstermäßig lässige Art, und auf eine gute Weise gleichgültig. Und wenn sie ihn doch verarschte, musste er nicht erst in einem unwürdigen Akt des Rückzugs in seine Hose steigen. Denn eigentlich lief das alles hier viel zu gut, um wahr zu sein.

      Blondie kam rein und grinste. »Hey Jesse James, was läuft? Wie ich sehe, hast du es dir bequem gemacht.« Sie hatte eine Flasche Tequila