Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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sich und der Welt im Reinen. Der protzige Luxus des Fünfsternehotels amüsierte sie. Und die Bar in der Lobby war wirklich außerordentlich gut bestückt. Sie bestellte einen Gin Tonic mit Gurke und warnte den Barkeeper, ihr bloß nicht den billigen Fusel anzudrehen. Der junge Mann stellte ihr ein Tonicwater aus irgendeiner kleinen südfranzösischen Getränkeabfüllerei hin und daneben eine Flasche Plymouth Navy Strenght. Aline nickte mit Kennermiene, obwohl sie keine Ahnung hatte, was ihr da serviert wurde. Sie wartete, bis das Eis den Drink auf Wohlfühltemperatur runtergekühlt hatte und prostete dann in die Richtung, in der sie die Schweiz vermutete. »Zum Wohl, Herr Camenzind, und freuen Sie sich auf die Spesenrechnung.«

      Eine Viertelstunde später kaufte Aline sich im nächstbesten Shop eine riesige Sonnenbrille und suchte dann eine Bar mit gutem Ausblick auf die Straße. »Le Poseidon« hieß das Lokal ihrer Wahl. Wenn Holsbein tatsächlich in dem Kaff war, dann würde er früher oder später hier vorbeikommen, da war sie sich sicher. Sie orderte ein Heineken, schaltete den Laptop ein und funkte mit ihrem Smartphone Holsbeins Handy an. Doch es kam kein Signal zurück. Vor zwei Stunden hatte sie das letzte Mal ein Lebenszeichen erhalten, seither herrschte Totenstille. Theoretisch konnte er schon über alle Berge sein, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass er sich in Marseillan-Plage aufhielt. Holsbein war ein Gewohnheitstier, und hier war er bereits einmal als junger Mann gewesen, das wusste sie. Dass die letzten paar Ortungen alle aus dem Bereich der Campingplätze im Westen des Städtchens gekommen waren, stützte ihre Vermutung.

      Aline bedauerte, dass es ihr nicht möglich war, Holsbein ganz einfach mittels GPS-Tracking auf den Meter genau zu lokalisieren. Die Treffsicherheit der Ortung hing vielmehr vom Standort der Mobilfunkantennen ab. Peilte jemand mit dem passenden Zugangscode das Handy an, sandte dieses sofort einen Impuls aus, um die Antennen im Empfangsbereich zu registrieren und schickte diese Daten dann als Code verschlüsselt in einer SMS zurück. Eine Software auf dem Laptop entschlüsselte die Zahlen- und Buchstabenreihe und lieferte die errechnete Position auf einer Karte. Bei leistungsstarken, weit auseinanderliegenden Antennen in ländlichen Regionen konnte die Position in einem Suchradius von bis zu fünf Kilometern liegen. In Städten hingegen, wo es mehr kleine Anlagen mit geringer Leistung gab, war im Idealfall eine Ortung mit einer Genauigkeit von zweihundert bis dreihundert Metern möglich.

      Das Spezielle am System war, dass es nicht an eine Handynummer oder die SIM-Karte gebunden war, sondern über einen Trojaner funktionierte, der auf dem Smartphone der zu überwachenden Person installiert werden musste. Das Ganze lief über das alte, aber zuverlässige GSM-Netz und funktionierte sogar, wenn der Handybesitzer die mobile Datennutzung ausgeschaltet hatte, da der Trojaner diese Sperre überlistete. Die Malware war schon ziemlich in die Jahre gekommen und lieferte deshalb auf Smartphones der neusten Generation nur unzuverlässige Daten. In Holsbeins Fall war das kein Problem, denn der trug noch immer sein uraltes Galaxy mit sich herum. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, hätte Aline dennoch gerne eine neuere Version des Trojaners zur Verfügung gehabt. Aber ihr Studienkollege, der das Programm vor einigen Jahren für seine Masterarbeit entwickelt hatte, war irgendwann wie vom Erdboden verschwunden gewesen. Einmal noch hatte er sie vor der Redaktion abgefangen und wirres Zeug über einen Van mit abgedunkelten Scheiben vor seiner Haustüre gelabert. Und von Männern des militärischen Geheimdienstes in schwarzen Anzügen, die im Supermarkt oder im Bus plötzlich wie aus dem Nichts auftauchten und ihn verfolgten. Sie hatte ihm kein Wort geglaubt und den synthetischen Drogenscheiß, den er sich die ganze Zeit über reinpfiff, für den Verfolgungswahn verantwortlich gemacht.

      * * * * *

      Holsbein hatte gar nicht gemerkt, dass sein Handyakku leer war. Wahrscheinlich mal wieder eine Spontanentladung, dachte er. Irgendwann würde er sich ein neues Smartphone kaufen müssen. Aber das war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Der Schweizer Stecker des Ladegeräts wollte nicht so recht in die Euro-Steckdose passen, aber mit ein wenig Gewalt klappte es schließlich.

      Das Mobilhome war ganz akzeptabel. Er hatte den ganzen Schrott in einem der zwei Schlafzimmer aufeinandergestapelt: Aufgerollte Weidezäune, mehrere leere Farbkübel, Fensterläden, irgendwelche Bretter, Dachpappe, ein alter Gasherd, der aus den Sechzigerjahren stammen musste, und ein paar Quadratkilometer Plastikfolie. In der kleinen Wohnküche und im zweiten Schlafzimmer ließ es sich aushalten, auch wenn der Schimmelgeruch wirklich recht penetrant war. Das Mobilhome war versteckt hinter einer hölzernen Sichtschutzwand, von der die weiße Farbe bis auf ein paar Flecken abgeblättert war. Die Hippiefrau hatte ihm für die Bruchbude 200 Euro pro Woche abknöpfen wollen, aber Holsbein konnte sie auf 150 runterhandeln. Für das Geld gab es sogar noch ein sauberes Bettlaken und eine Wolldecke. Einen Ausweis wollte sie nicht sehen, dafür beharrte sie auf Vorauszahlung der Miete in bar. Eine Quittung bekam er nicht.

      Inzwischen hatte sich die Sonne verabschiedet. Doch die Hitze war trotz des andauernden Windes noch immer beträchtlich. Holsbein zog die Badehose an, kramte ein Badetuch aus dem Koffer und wunderte sich darüber, an was er zu Hause in Amsheim während der fünfminütigen Pack-Aktion mit der Angst vor den Bullen im Nacken alles gedacht hatte. Er prüfte noch einmal, ob der abgewetzte PVC-Bodenbelag auch wirklich eben war – und nickte zufrieden. Kein Schwein würde merken, dass da unter dem Kühlschrank 9000 Euro lagen.

      Am Strand waren nicht mehr viele Leute anzutreffen. Ein älteres Pärchen spazierte mit hochgekrempelten Hosenbeinen barfuß durch den nassen Sand, ein Kitesurfer im Neoprenanzug packte seine Ausrüstung zusammen und etwa zweihundert Meter weiter hinten ließen ein paar Kinder Drachen steigen. Holsbein setzte sich in den noch warmen Sand und wartete, bis der Surfer und die zwei Alten außer Sichtweite waren. Dann streifte er die Badehose ab und sprintete splitternackt ins Wasser. Es war saukalt wie an den meisten Tagen in diesem Küstenbereich. Der Tramontana blies das ganze warme Oberflächenwasser hinaus auf das offene Meer.

      »Ja super«, knurrte er, als er sah, wie es sich eine Gruppe Teenager mit Bier- und Wodkaflaschen direkt neben seinem Badetuch bequem machte. Nicht dass er ein Problem damit gehabt hätte, nackt vor fremden Menschen herumzulaufen. Aber mit einem halb eingefrorenen Schrumpelschwänzchen würde er bei der Damenwelt keinen guten Eindruck hinterlassen.

      * * * * *

      Nach sieben Flaschen Bier auf nüchternen Magen konnte Aline beim besten Willen nicht mehr von sich behaupten, ihre Umwelt besonders scharf wahrzunehmen. Vor allem die Shots, die der Barkeeper in immer kürzeren Abständen vorbeibrachte, machten ihr langsam zu schaffen. Und die beiden Typen am Nebentisch gingen ihr auf die Nerven. Am Anfang waren die zwei Belgier noch anständig gewesen. Sie hatte ein wenig mit ihnen geschäkert, aber dann wurden sie immer anhänglicher und suchten Körperkontakt. Sie hatte sie ein paarmal zusammengestaucht und war langsam richtig sauer. Wenn noch einmal eine Hand auf ihrem Oberschenkel landete, dann würde was passieren, hatte sie den beiden klargemacht.

      Aline rief den Barkeeper zu sich, sie wollte zahlen. Den Belgiern gefiel das gar nicht. Sie bestellten noch drei Bier und versuchten sie zum Bleiben zu überreden. Und dann war sie da, die Hand, knapp oberhalb des Knies. Ihre Reaktion war mehr ein Reflex als eine bewusste Handlung, so schnell griff sie dem Typen an den Nacken und knallte seinen Kopf mit voller Wucht auf den Aluminiumtisch. Trotz des dumpfen Knalls und der scheppernden Bierflaschen war das Knacken der Nase deutlich zu hören. Der Belgier war völlig perplex und schaute benommen zu, wie das Blut auf sein hellblaues Poloshirt spritzte. Sein Freund war schon aufgesprungen und wollte auf sie losgehen. Doch der Barkeeper war schneller und hielt ihn mit einem routinierten Hebelgriff fest. Es sah lächerlich aus, wie er sich herauszuwinden versuchte. Aline steckte dem Barkeeper 50 Euro in die Jeans, packte den Laptop in ihre Umhängetasche und machte sich auf den Weg ins Hotel. Der Tumult hatte die Aufmerksamkeit der Touristen erweckt, die nun im Halbkreis um die Bar standen. Sie hofften auf noch mehr Action.

      »Du verdammte Fotze«, kreischte der Belgier im Hebelgriff, »ich werde dich kriegen, und dann bist du dran!«

      Aline drehte sich um und ging langsam auf den Schreihals zu, der ihr mit hochrotem Kopf noch weitere Beleidigungen an den Kopf warf. Sie trat ihm ohne Vorwarnung in die Eier. Er sackte augenblicklich zusammen und wand sich röchelnd auf dem Boden. »Na du Wichser, wie fühlt sich das an?«, brüllte sie das Häufchen Elend zu ihren Füßen an. »Willst du noch einen Nachschlag?«

      Dann trat sie erneut zu.