Tom Aspacher

Die Flucht des Feuerteufels


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quetschst sie ein wenig aus. Wenn sie auch etwas von Westfrankreich erzählt, hauen wir die Sache raus.«

      * * * * *

      Holsbein war unsicher, ob er nicht ein wenig zu dick aufgetragen hatte. Leimbacher war zwar ein verdammter Vollidiot, allerdings auch nicht komplett bescheuert. Aber selbst wenn es nicht klappen sollte, den »Amsheimer Boten« auf eine falsche Fährte zu locken: Rückverfolgen konnten sie seine Nachricht auf keinen Fall. Er hatte sein altes »König Chumbawamba«-Konto auf dem Anonymizer-Server eines griechischen Anarchisten-Computerclubs reaktiviert. Das hatte er einst eingerichtet, um auf seine ganz persönliche Art Stadtpräsident Ehrbar nach dessen Wahlsieg zu gratulieren. Und einigen seiner Stadtratskollegen noch dazu. Für den US-Nachrichtendienst würde die Verschlüsselung vielleicht nicht reichen, aber normale Bullen hätten nicht die geringste Chance, da irgendwas rauszukriegen.

      Holsbein mochte es, wie sich bei der Fahrt in den Süden das mediterrane Klima immer deutlicher bemerkbar macht und sich die Landschaft langsam verändert. Anstelle der langweiligen satt-grünen Wiesen gab es von der Sonne versengte Felder, die Erde war nicht mehr kackbraun, sondern ockerfarben bis oxidrot. Es lag mehr Abfall herum. Und natürlich durfte auch der würzige Duft von Pinienholz-Feuern nicht fehlen. Irgendwo brannte schließlich immer ein Stück Wald.

      Der Artikel der »Nordost-Nachrichten« hatte ihn nachdenklich gemacht. Auf dem Bild war möglicherweise sein Kopf, der Körper aber gehörte garantiert nicht ihm. Nie im Leben würde er so eine spießige Lederweste tragen. Der Tankstellenshop sah auch nicht typisch französisch aus. Und primitive Anmachen brachte er nur zustande, wenn er ziemlich breit war. Was also bezweckten die damit? Und wer war diese Silvia Aeschlimann, die als Autorin des Artikels zeichnete? Der Treffer mit Vienne konnte Zufall sein, aber eine innere Stimme sagte ihm, dass da etwas nicht stimmte. Er musste vorsichtig sein.

      Fünf Minuten nachdem Holsbein den Ort Lunel passiert hatte, konnte er das erste Mal im Dunst das Meer erahnen. Vor ihm tauchte La Grande Motte auf. Die pyramidenartigen Appartementhäuser dieses durchgeknallten Architekten Jean Balladur waren schon von Weitem zu sehen. Er bog in die Küstenstraße ein, die zwischen dem Meer und dem Etang de l’or in einem weiten Bogen nach Süden führte.

      * * * * *

      Aline funkte Holsbeins Handy an, das nach einigen Sekunden mit einer SMS antwortete. Sie tippte den Code in den Laptop ein und wartete, bis sich die Karte langsam aufbaute. »Scheiß Empfang hier«, fluchte sie. »Frontignan …, mal sehen …« In einem weiteren Browserfenster wählte sie einen Routenplaner an und checkte die Distanz. Holsbein Vorsprung war auf knapp eineinhalb Stunden zusammengeschmolzen. Kein Wunder: Während er sich auf staubigen Landstraßen Richtung Süden durchkämpfte, war sie auf der Autobahn erstaunlich schnell vorangekommen. Nur an den Zahlstellen verlor sie jeweils einige Minuten.

      Aline musste für kleine Mädchen, aber die Toiletten auf den Autobahnparkplätzen waren ihr zuwider. Deshalb verzog sie sich zwischen die Büsche und versuchte zu vermeiden, dass sie auf dem abschüssigen Gelände mit runtergelassener Hose das Gleichgewicht verlor. Als sie sich wieder aus dem Dickicht gekämpft hatte und auf den Parkplatz trat, stieß sie beinahe mit zwei Lastwagenfahrern zusammen, die sie überrascht anglotzten.

      Aline war gleich auf hundertachtzig. »Was wollt ihr denn, ihr verdammten Schwanzlutscher?«, schrie sie die beiden an und stapfte zurück zu ihrem Auto. Die zwei schauten ihr verwirrt nach. Sie hatten sich lediglich ein wenig die Füße vertreten wollen und standen nun plötzlich als Triebtäter da.

      Wütend schlug Aline die Autotür zu und öffnete alle Fenster. Es war Zeit, sich um den nächsten Artikel zu kümmern. Sie rief über Facetime ihre Freundin Danica an. Auf dem Display erschien eine Brünette mit hochstehenden Wangenknochen und großen Lippen.

      »Hey meine Süße«, schepperte es aus dem Lautsprecher, »hast du deine Haare geschnitten?« Aline drehte das Handy rund um ihren Kopf, damit Danica ihre Frisur besser sehen konnte. »Du siehst ja aus wie so eine Skinhead-Tussi.«

      »Findest du?« Sie grinste, fuhr sich über die millimeterkurz geschorenen schwarzen Haare und zupfte ihren Pony und die langen Strähnen über ihren Schläfen zurecht. »Sieht doch geil aus, oder?«

      »Na ja, ist nicht meins, aber das musst du selber wissen. Jetzt halt dich fest, ich habe vorhin mit meinem Vater telefoniert. Hast du was zum Schreiben?«

      * * * * *

      Auf der Straße war ziemlich viel los. Von allen Seiten latschten die Leute über die Fahrbahn und Holsbein musste tierisch aufpassen, dass er nicht einen dieser unbekümmerten Idioten plattmachte. Er wollte ein paar Tage in Marseillan-Plage unterkommen. Das Kaff kannte er von einem Zelturlaub mit Kollegen. Fünfzehn oder sechzehn Jahre alt mochte er da gewesen sein; sie hatten eine Woche lang durchgesoffen und sich die Birne weggekifft.

      Auf den ersten Blick hatte sich der Ort kaum verändert. Er bestand im Wesentlichen aus einer Hauptstraße, die gesäumt war von Bars, Cafés, No-Name-Kleiderläden und Restaurants mit Pizza und Moules et frites auf der Karte. Er fragte sich, ob die drei oder vier schäbigen Clubs ein wenig außerhalb des Dorfes noch existierten. Im Hinterhof einer dieser Läden hatte er zwischen einem Altglascontainer und übereinandergestapelten leeren Bierfässern seine Unschuld verloren. Die Erinnerung daran war allerdings mehr als nur ein wenig vernebelt. Immerhin konnte er mit Gewissheit sagen, dass er mit einer Frau zusammen gewesen war. Oder zumindest redete er sich das ein. Allerdings fragte er sich noch heute, wie er im Vollsuff überhaupt einen hochgekriegt hatte.

      Ob sie ihm nun auf den Fersen waren oder nicht, in dem Gewusel von Touristen war er so gut wie unsichtbar – und deshalb fühlte er sich erst einmal sicher. Nach den letzten Tagen hatte er eine kleine Erholung dringend nötig.

      Er bog in eine Nebenstraße ein, in der sich rund ein Dutzend Campingplätze aneinanderreihten. Dabei war er selber überrascht, wie gut er sich noch auskannte. Holsbein wollte sich ein kleines Mobilhome mieten – in der Hochsaison keine einfache Sache. Während er langsam die Straße entlangcruiste, sah er vor den Rezeptionen jedenfalls nur »Complet«-Schilder. Beim zweitletzten Campingplatz stand nichts dergleichen, also parkte er sein Auto am Straßenrand und versuchte sein Glück. Doch die Rezeptionistin, eine ausgemergelte Hippiebraut mit strähnigen rot-blonden Haaren, winkte schon ab, bevor er auch nur einen Ton sagen konnte. »Tut mir leid, wir sind komplett ausgebucht«, nuschelte sie.

      »Sie brechen mir das Herz, ich suche schon den ganzen Tag nach einer Unterkunft«, versuchte Holsbein die Mitleidsmasche. »Ich wäre auch mit einer ganz einfachen Bleibe zufrieden.« Jetzt fehlte nur noch eine Schwangere auf einem Esel, dann wäre das hier die Weihnachtsgeschichte, dachte er und grinste in sich hinein.

      »Kommen Sie im September wieder«, zeigte sich die Rothaarige unbeeindruckt.

      Holsbein machte kehrt und ging zum Auto zurück. Er stieg ein und wollte gerade losfahren, als ihm die Hippiebraut winkend hinterhergerannt kam. Sie schnaufte wie nach einem Tausend-Meter-Lauf.

      »Mir ist gerade eingefallen: Eine Möglichkeit gäbe es da schon noch.«

      »Und die wäre?«

      »Wir haben im hinteren Bereich des Platzes noch ein altes Mobilhome. Das nutzen wir derzeit als Lagerraum, na ja, eigentlich ist es vollgestellt mit Gerümpel und Abfall. Aber wenn Sie das Zeug ein bisschen zur Seite räumen, kriegen Sie bestimmt eines der Schlafzimmer und die Küche frei. Die Toilette funktioniert allerdings nicht, da müssten Sie die Gemeinschaftsanlage benützen.« Sie deutete mit ihrem knochigen Zeigefinger auf ein rostrotes Gebäude. »Ach noch etwas: Haben Sie eine Allergie gegen Schimmel?«

      Holsbein schüttelte den Kopf. »Ich nehme das Schmuckstück.«

      * * * * *

      Aline fand, dass sie mit ihren kakifarbenen Shorts und dem weißen T-Shirt mit Palmenmotiv aussah wie das Klischee einer Touristin. Sie rückte das Baseballcap zurecht und fädelte ihre Zehen in die Flipflops ein. Den Kram hatte sie für ein paar Euro in einem Ramschladen an der Zufahrtsstraße gekauft. Es war gar nicht mal so einfach gewesen, ein hochgeschlossenes T-Shirt zu finden, das ihre Tätowierungen verdeckte. Jetzt musste noch eine richtig uncoole Sonnenbrille her, dann war sie bereit für die Observierung.