Kadhira del Torro

Geliebt wird anders


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anmerken. Aber sie war dankbar für die Firmenlimousine, weil sie sich mittlerweile zu schwach fühlte, um selbst zu fahren. Zuhause reichte ihre Kraft ja nicht mal mehr dafür aus, um sich eine Tasse Kaffee zu kochen. Angezogen wie sie war fiel sie der Länge nach auf ihr Bett, ließ lediglich den Aktenkoffer irgendwo fallen, nur wo, wusste sie nicht. Ihre Augen schlossen sich, sie würgte und spürte, dass sie sich erbrach. Aber sie konnte nicht aufstehen. Sie rang nach Luft, atmete dabei den widerlichen Geruch des Erbrochenen ein und würgte wieder. Irgendwann schlief sie ein – oder fiel in Ohnmacht, egal. Ihr Gehirn erlöste sie gnädigerweise vom Geruch und dem Würgen.

      Dafür kamen die Träume. Sie kämpfte, hielt Rico fest, hörte sein Jaulen, wie es in kurzen Tönen auf und ab schwoll, stundenlang. Sie hielt sich die Ohren zu, schrie, hörte den Schuss, noch einen, noch einen. Es wollte nicht aufhören. Immer und immer wieder das Jaulen, die Schüsse, der Anblick, als er dalag, seine Pfoten zuckten, er sich noch mal aufbäumte und den Fuß des Täters erwischte. Wieder Jaulen, die Pistole – übergroß, beinahe riesig. Alles war so realistisch. Bis auf die Tatsache, dass der Täter sich in ihren Träumen zu ihr umdrehte und sie ansah, mit einem bösen Lächeln auf sie zu kam. Es war Ron Simeon. Und er tat, was er schon einmal getan hatte. Sie hielt sich an Rico fest, versuchte zu trösten und zu ertragen – und hörte ihn immer und immer wieder jaulen …

      Der Dienstag war nicht besser. Sie war früh aufgestanden, hatte bereits vor dem Kaffee eine Schmerztablette eingeworfen und die zweite nach dem Duschen. Sie musste das Bett abziehen und ihre Wunden versorgen. Sie hatte sich blutig gekratzt, an den Oberschenkeln, der Brust, dem Bauch und den Oberarmen. Gott sei Dank nicht im Gesicht, dann hätte sie eine Erklärung abgeben müssen. So konnte sie mit Make-up die Spuren der Nacht überdecken, sich mit Arbeit rausreden, die sie mitgenommen, aber nicht erledigt hatte. Sie würde es zwischendurch machen. Irgendwann. Gegen Mittag hatte sie eine halbe Flasche Champagner intus, sechs Schmerztabletten geschluckt und den meisten Kaffee in den Ausguss geschüttet. Sie lächelte – und niemand merkte etwas. Gegen Mittag sah Jonathan rein und wollte sie zum Essen ausführen. Aber sie lehnte ab und redete sich mit zu viel Arbeit raus. Er nickte nur und ging mit seiner neuen Flamme los, die er auf die Schnelle auftrieb. Nein, er hatte keine Langeweile, auch wenn er kaum Termine hatte und sein Büro mit Pflanzen und einigen Einrichtungsgegenständen füllte. Hauptsächlich kümmerte er sich um die Bar und einen Waffenschrank. Er stand auf Gewehre. Alte Gewehre aus dem Bürgerkrieg. Sollte er!

      Jonathan hatte seinen letzten Termin heute in einem Restaurant, wo er sich mit einem Geschäftspartner traf. So bekam er natürlich nicht mit, was er nun jeden Dienstag erleben sollte. Pia und Carol tauchten kurz vor Feierabend auf, quatschten, tranken Kaffee und gemeinsam mit Kim, Luzie und Nicole ging es in der Firmenlimousine Richtung Heimat. Heute war es nicht anders. Außer vielleicht, dass sie statt ihres dunkelblauen Hausanzuges ein dunkelrotes Abendkleid anzog, sich frisch machte und ihr Make-up erneuerte. Sie nahm einen Umschlag aus dem Schreibtisch, lachte pflichtschuldig über einen Witz, den sie gar nicht richtig mitbekommen hatte, und ließ das Kuvert in ihrer kleinen Handtasche verschwinden. Ihre Autoschlüssel lagen auf der Anrichte in der Küche, die Papiere auch. Sie sah sich um. Der Champagner war gekühlt, das Essen fertig und Videofilme lagen bereit. Popcorn, Sahne und Eis waren genauso vorhanden wie ausreichend Handtücher. Die vier würden sich schon mit Jonathan vergnügen und dafür sorgen, dass er Spaß hatte.

      Sie hörte die Limousine vorfahren, steckte die Papiere ein und nahm den Schlüssel. „Viel Spaß, ihr Süßen. Und macht mir keine Schande, okay?“

      „Haben wir das nicht schon?“, fragte Pia und sah ein wenig schuldbewusst aus.

      Nicole schüttelte den Kopf, öffnete die Tür und lächelte Jonathan an. „Hi.“

      „Hallo. Ich habe Wein mitgebracht und ...“ Er sah an ihr vorbei auf Pia, Kim, Luzie und Carol. Dann kehrte sein Blick zu ihr zurück. „Ich dachte wir ...“

      „Nicht denken“, unterbrach sie ihn. „Ich habe was anderes vor. Viel Spaß.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter, lächelte und schob ihn in den Flur. Dann zog sie die Tür hinter sich zu und ging zu ihrem Wagen.

      Das Cabrio brachte sie zügig in die Innenstadt. Sie würde nicht nur pünktlich sein, sondern hatte sogar ein paar Minuten für die Reporter eingeplant, die garantiert vor dem Restaurant warteten. Und so war es auch. Sie brachte den Wagen gerade zum Stehen, als sie sich auch schon um sie drängten und die ersten Fragen abschossen. Nicole schüttelte den Kopf und lächelte tapfer. Sie nahm ihre Handtasche und ließ den Wagen parken, blieb aber artig mitten in der Meute stehen. „Guten Abend, meine Damen und Herren“, begrüßte sie die Reporter mit tiefer, samtweicher Stimme. „Leider kann ich ihnen jetzt noch nicht viel sagen, außer dass ich mich freue, mit dem Bürgermeister zu Essen. Es ist mir eine Ehre und ich werde es genießen.“

      Noch ein paar harmlose Fragen, auch nach Andy, denn das Interesse war da. Aber dazu konnte sie eigentlich gar nichts sagen, denn sie hatte ihn in dem ganzen Trubel schlichtweg vergessen. „Natürlich sehen wir uns wieder“, meinte sie. „Aber wann, weiß ich noch nicht. Erst mal muss ich ein wenig von der Arbeit aufholen, die liegen geblieben ist.“ und „Ja, natürlich war das ernst gemeint, junge Frau. Wenn Sie mir nicht glauben, dass er gut küssen kann, dann überzeugen Sie sich doch selbst.“ Natürlich wurde auch die Frage gestellt, was zwischen Jonathan Dunmore und ihr war. Wie standen sie zueinander? Gute Frage. Wir sind Freunde geworden, bezeichnete Nicole das Verhältnis zwischen ihnen vorsichtig. Er hatte viel geschafft, Termine wahrgenommen und war auch sonst ein angenehmer Geschäftspartner. Sie würde sich mit ihm vertragen, teilte sie den Leuten sehr zu deren Bedauern mit. Aber sie würde sie auf dem Laufenden halten. Versprochen!

      Dann ging sie ins Restaurant. Die Reporter mussten draußen bleiben!

      Sie wurde zum Tisch begleitet und der Stuhl zurechtgerückt. Der Bürgermeister setzte sich wieder, als sie es bequem hatte. Die Begrüßung war vielleicht ein wenig kühl. Anscheinend wusste er nicht genau, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, was Nicole albern fand.

      „Was ist los, Bürgermeister? Hatten Sie einen anstrengenden Tag? Oder mussten Sie sich verpflichten, Ihr Lächeln im Amt zu lassen, wenn Sie nach Hause gehen?“

      Da war es! Ein Lächeln, wie man es von den Wahlplakaten kannte. „Nein. Ich war mir nur nicht ganz sicher, ob wir immer noch Freunde sind.“

      „Warum nicht? Haben Sie inzwischen was angestellt, das ich ausbaden muss?“

      „Nein.“

      „Was denn? Haben Sie ausgerechnet, was mich die fünf Jahre ohne Hundeleine an Strafe kostet und haben die Rechnung gleich mitgebracht?“

      „Auch nicht. Es ist nur eine andere Voraussetzung, unter der wir uns treffen. Ich dachte, dass Sie vielleicht wieder ...“

      „... die Kratzbürste sind, vor der man Sie gewarnt hat?“, vollendete sie seinen Satz und lachte leise. „Nein, ich glaube nicht. Und wenn, dann sagen Sie es mir und ich zahle einen Strafobolus für die Stadtkasse. Einverstanden?“

      „Einverstanden.“

      Die Karte wurde gebracht und ihr Aperitif kam unaufgefordert – wie früher. Nur der Wassernapf zu ihren Füßen fehlte. Sie stieß mit dem Bürgermeister an und stand anderthalb Stunden Essen und Small Talk durch. Sie lachte und scherzte, wie es sich für einen angenehmen Abend unter Freunden gehörte. Gleichzeitig litt sie in ihrem Innern, wann immer ihre Hand automatisch zur Seite zuckte und den rot-schwarzen Kopf mit den kurzen Drahthaaren kraulen wollte. Nur um zu zeigen, dass sie da war. Alles in Ordnung, mein Großer, entspann dich. Sie griff ins Leere. Jedes Mal.

      Das Essen war vorbei, sie tranken Wein und tanzten sogar. Der Hausfotograf bat darum, ein paar Bilder machen zu dürfen und man gestattete es ihm. Nicole entschuldigte sich, als die Musik aufhörte, und suchte die Toiletten auf. Sie überzeugte sich davon, dass sie allein war, schaffte es gerade noch in eine der Kabinen und übergab sich. Ihre Handtasche bekam etwas ab, die Klobrille auch, also musste sie putzen und etwas Parfum auf das weiche Leder geben. Sie erfrischte sich, erneuerte ihr Make-up und lächelte tapfer. Nicht mehr lange, dann hatte sie es geschafft.

      Noch eine Stunde Unterhaltung, ein weiteres Tänzchen, dann