Kadhira del Torro

Geliebt wird anders


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mit Trinkgeld, schon immer gewesen. Rico sprang nicht in den Fond, war gar nicht da, obwohl sie automatisch einen Blick nach hinten warf, kaum dass sie hinter dem Lenkrad saß. Sie wollte nicht weinen, schluckte den schweren Brocken im Hals herunter, kämpfte gegen die Traurigkeit und fuhr los, eine Stunde lang kreuz und quer durch die Stadt. Schließlich fand sie sich am Eingang des Parks wieder, in dem sie bis vor zehn Tagen Joggen gegangen war. Jetzt nicht mehr. Sie konnte es nicht.

      Ihre Hände lagen auf dem Lenkrad. Sie starrte durch das Tor in die Dunkelheit, in das schwarz und grau der Bäume und des Rasens. Nur schemenhaft waren die Bänke und der Kiosk zu erkennen. Vereinzelt gab es Lichtinseln von den Laternen, aber sie brachten nicht viel, weniger noch als der Mond, der hinter den Wolken verschwand und ihre Tränen nicht sehen wollte.

      Nicole tastete nach ihrer Handtasche und zog das Halsband raus, das der Bürgermeister ihr gegeben hatte. Es war alles, was von Rico übrig war. Das schwarze Lederhalsband mit der kleinen Marke, auf der Rico eingraviert war, wog schwer in ihren Händen. Sie hielt es ganz fest. So fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten und schmerzten, sie die Tränen nicht spürte, die auf ihre kalte Haut tropften, daran entlang liefen, auf ihr Kleid fielen und dort dunkle Flecken hinterließen.

      Der Morgen graute. Das Licht schlich sich fadenförmig in die Dunkelheit, tauchte die Baumwipfel in ein unwirkliches Licht und zeigte den leichten Dunst, der wie Watte auf allem lag. Ein neuer Tag brach an. Die ersten Arbeiter kamen und brachten kleine Wagen mit Arbeitsgeräten mit. Sie würden den Park säubern, jeglichen Unrat entfernen und die kriminellen Elemente in ihre Löcher treiben.

      Noch immer starrte sie durch das Tor und sah ganz weit hinten den Ort, an dem Rico gestorben war. Sie konnte sich einfach nicht lösen. Vor ihren Augen tanzte er über die Wiesen, spielte, schnupperte und erfreute sich seines Lebens. Dann blieb er stehen, sah konzentriert aus… und lief in den Tod.

      Nicole schloss einen Moment die Augen, sah wieder Ron Simeons vor sich, warf Handtasche und Halsband neben sich auf den Sitz und fuhr los. Zügig, eigentlich viel zu schnell für den aufkommenden Verkehr, den sie gar nicht wahrnahm. Ihre Augen waren angefüllt mit Tränen und sahen nicht, was sie sehen sollten. Ihr Fuß trat das Gaspedal immer weiter durch, der Motor wurde lauter, konnte aber die Windgeräusche nicht übertönen.

      Vor ihr war es noch dunkel, die Sonne schickte ihr blutrotes Licht von hinten, erreichte das Meer noch nicht ganz und ließ das Wasser schwarz aussehen, auch auf diese Entfernung. Die Straße führte geradewegs darauf zu. Nur geradeaus. Nichts weiter.

      Die Ampel hing an einem Stromkabel quer über der Straße. Nicole sah das rote Licht und legte den Kopf in den Nacken, als sie darunter durch fuhr. Die Hände fest am Lenkrad und das Gaspedal durchgetreten. Ihre Tränen wurden ihr aus den Augenwinkeln gerissen, hinterließen helle Streifen in ihrem Gesicht und wehten fort.

      Sie lächelte – und dann wurde es dunkel.

      „Sind Sie in Ordnung, Miss? Können Sie mich hören?“

      Nicole kam nur langsam zu sich. Staunend sah sie auf das Vorderteil ihres Wagens, das sich wütend in die Seite eines Chevrolet Cabrios gebohrt hatte. Ihre Tür fehlte, der Beifahrersitz auch. Stattdessen hockte dort ein Mann in einem dunklen Anzug, lächelte und sah sie fragend, vielleicht sogar ein wenig besorgt an. Hinter ihm konnte sie Feuerwehrleute erkennen, Polizisten, und die Straße war abgesperrt. Was war hier los?

      „Wie heißen Sie?“

      „Was geht Sie das an?“, fauchte Nicole und gab es auf, um den Mann herum zu den Schaulustigen zu sehen. Sie lehnte sich zurück und ließ endlich das Lenkrad los. Ihre Finger schmerzten. Erst jetzt sah sie seine Hand, die ihr Handgelenk festhielt. Sie schüttelte sie ab und verschränkte ihre Finger gleich auf dem Blechstück, das den Weg zu ihrem Schoß versperrte und auf ihre Blase drückte. Sie versuchte es an die Seite zu schieben, aber es ging nicht. „Was sitzen Sie hier rum? Helfen Sie mir gefälligst“, fuhr sie den Mann an. Doch statt das Blechstück zu entfernen, legte er ihr eine graue, hässliche Decke über den Oberkörper. Sie versuchte sie wegzuschieben, aber er hielt sie fest. „Nehmen Sie Ihre verdammten Finger weg“, rief sie böse.

      „Wie heißen Sie?“, versuchte er es noch einmal.

      „Gucken Sie doch ins Telefonbuch“, knurrte sie und schielte zu dem Sanitäter, der neben ihr auftauchte.

      „Da brat mir doch einer 'nen Storch“, meinte der und sah sie mit großen Augen an. Dann bückte er sich, legte den Kopf auf die Seite und sah unter das Blech.

      Nicole schlug ihm an den Kopf. „Lassen Sie das, Sie ..., Sie ...“

      „Jetzt reicht es“, meinte der Mann an ihrer Seite, griff nach Ihren Händen und hielt sie fest. „Versuchen Sie mal die Beine zu bewegen“, forderte er sie auf und seine Stimme klang überhaupt nicht mehr weich und fürsorglich.

      Nicole sah ihn an. Ihre Augen funkelten vor Wut. „Woher soll ich denn wissen, ob sie sich bewegen? Ich sehe sie ja nicht mal“, schnauzte sie.

      „Versuchen Sie es trotzdem.“

      „Tun Sie uns beiden den Gefallen und verschwinden Sie, ja?“

      Er runzelte die Stirn und sah sie scharf an. „Sagen Sie mal, haben Sie heute schon was getrunken?“

      „Das ist ja wohl die blödeste Anmache, die ich in den letzten zehn Jahren gehört habe“, schimpfte sie. „Und so attraktiv und interessant sind Sie auch wieder nicht, dass ich ...“ Sie brach ab und musterte ihn genauer. Ihr Blick wanderte von seinen dunkelbraunen, kurzen Haaren über die blauesten Augen, die sie jemals gesehen hatte, zu seinem Oberkörper. Nicole vermutete eine sportliche Figur unter dem Anzug und grinste lüstern, als sie sich ihn ohne jegliche Bekleidung vorstellte. „Okay“, meinte sie langsam und ihr Grinsen wurde noch eine Spur breiter. Sie sah ihm wieder in die Augen, die nun amüsiert funkelten. „Sind Sie doch. Haben Sie an ein bestimmtes Lokal gedacht oder darf ich einen Vorschlag machen?“

      Er lachte leise, seine Augen blitzten dabei und Nicole seufzte. Dann schrie sie schmerzerfüllt auf, fuhr herum und schlug erneut nach dem Feuerwehrmann, der mittlerweile Verstärkung bekommen hatte. „Hören Sie auf damit, das tut weh“, rief sie. Im nächsten Moment bekam sie große Augen. Ein weiterer Feuerwehrmann näherte sich und trug ein riesiges, utopisches Instrument vor sich her, das Ähnlichkeit mit einer Riesenzange hatte und aussah, als würde es erst in hundert Jahren erfunden werden wollen. Sie wies mit der Hand drauf. „Was will der damit?“

      Der Kollege drehte sich um und folgte ihrem Blick. „Wir spreizen den Rahmen, damit wir Sie rausholen können.“

      „Gar nichts werden Sie spreizen“, wehrte Nicole ab und schüttelte den Kopf. „Schon gar nicht bei mir. Hat Ihr Kollege für das Ding überhaupt einen Waffenschein?“

      „Am besten sehen Sie gar nicht hin“, meinte der Fremde neben ihr und drehte ihr Gesicht zu sich. „Sagen Sie mir lieber Ihren Namen.“

      „Warum sollte ich?“

      „Ihr Name ist Nicole Baker“, meinte der Feuerwehrmann. „Der Name sagt Ihnen doch was, oder nicht?“

      „Oh ja. Das erklärt natürlich so einiges“, schmunzelte der Charmebolzen neben ihr.

      „Natürlich?“ rief Nicole empört. „Was erklärt das? Und woher kennen Sie meinen Namen?“ Sie erwartete im Moment wirklich keine Antwort, denn ihre Augen waren fest auf die überdimensionale Zange gerichtet, die ihr bedrohlich nahe kam. „Hauen Sie ab damit“, rief sie. Aber niemand hörte ihr zu. Ein Sanitäter kam zu ihr, stopfte ihr etwas in den Rücken, das wie eine riesige, defekte Obstschale aussah, schlang Riemen um ihren Oberkörper und befestigte sie daran. Nicole tobte und schrie und der erst so nette Mann neben ihr entpuppte sich als Komplize der Feuerwehrleute. Er hielt ihre Hände fest und drückte ihren Kopf an die Schale, an der sie mit Mullbinden fixiert wurde.

      „Und jetzt halten Sie bitte mal für einen Augenblick die Klappe, Nicole“, meinte er dann, zog ihren Oberkörper samt Obstschale zu sich rüber und drückte sie an seine breite Brust. Er selbst drückte seinen Kopf an ihr Ohr, hielt ihren Hinterkopf mit