Carsten Bloch

Jägerschnitzel


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jeden Fall wussten sie, wie lange. Dieser Gast war durchaus seltsam. Er trug einen offensichtlich falschen Schnurrbart und wollte eine unbestimmte Zeit hier verbringen. Abgesehen davon hatte er das Gesicht auch schon mal gesehen. Es kam ihm bekannt vor. Er konnte sich nur nicht erinnern, wo das gewesen war.

      „Welchen Namen darf ich notieren?“ fragte Hans-Günther.

      „Welchen Namen?“ Ja, welchen Namen? Seinen eigenen konnte Roderich schlecht angeben, dann wäre seine ganze Verkleidung zwecklos gewesen. Wenn sich herumsprechen würde, dass der großartige Charakterdarsteller Roderich von Dyke hier untergekommen wäre, würde bereits am nächsten Tag die Presse vor der Tür lauern. Er könnte seinen Geburtsnamen nehmen. Franz Müller. Oder war das Heinz Meier gewesen? Er stellte fest, dass er sich schon gar nicht mehr genau daran erinnern konnte. Irgendwas Banales war es gewesen. So banal, dass nicht mal sein eigenes Gedächtnis ihn festhalten konnte. Ein Name, der den Zuschauer hätte einschlafen lassen, wenn er ihn im Abspann des Filmes gelesen hätte. Deshalb hatte er sich gleich zu Beginn seiner Schauspielkarriere einen glanzvollen Namen zugelegt: Roderich von Dyke. Das klang kraftvoll, elegant, imposant, edel.

      Der Name hatte ihm schon als Kind gefallen. Damals hatte der Hund von seinen Nachbarn so geheißen.

      In dieser Situation war aber ein Name gefragt, mit dem man nicht auffiel. Einen, der in dieser Gegend so alltäglich war, dass hier alle so hießen.

      „Petersen“, sagte er schließlich. „Roderich Petersen.“ Er erinnerte sich, an der Ortseinfahrt an einem Laden das Schild Bäckerei Petersen gesehen zu haben. Das schien ein ganz guter Name zu sein für diese Gegend. Einfach, gewöhnlich. Unauffällig.

      „Herr Petersen“, schrieb Hans-Günther in sein Gästebuch. Er nahm einen Schlüssel von der Wand und reichte ihn Roderich. „Zimmer 4. Ihre Tasche werde ich Ihnen gleich aufs Zimmer bringen.“

      „Kann ich hier auch etwas zu essen bekommen?“ fragte Roderich.

      „Aber klar“, antwortete Hans-Günther. „Ich werde unsere Frau Kock anrufen, die wird Ihnen ein wunderbares Frühstück zaubern. Gehen Sie ruhig schon mal in die Gaststube, sie wird dann in ein paar Minuten bei Ihnen sein.“

      Hans-Günther nickte in Richtung der milchverglasten Tür, die neben der Holztreppe in den Nebenraum führte und an die schwarze Buchstaben geklebt waren, von denen nur noch stst zu lesen waren.

      „Danke“, erwiderte Roderich und begab sich in die Gaststube, während Hans-Günther nach dem Telefonhörer griff und Lonas Nummer wählte. Während aus dem Hörer das Tuten erklang, starrte er gedankenverloren seine Eiderente neben dem Tresen an. Er hatte sie vor etlichen Jahren einmal selbst geschossen und dann auch selbst ausgestopft. Es war das erste und einzige Mal, dass er ein Tier ausgestopft hatte, und er fand seinen Versuch durchaus gelungen. So gelungen, dass er sein Gasthaus damals sogar nach dieser Ente benannt hatte. Zur fröhlichen Eiderente. Die meisten Leute meinten bei ihrem Anblick zwar, dass sie aussehen würde wie ein zu groß geratener Maulwurf, aber das war natürlich Quatsch.

      Er hatte noch nie einen Maulwurf mit drei Beinen gesehen.

      3

      Natürlich konnte man sich mit einem Berufskiller nicht einfach in seiner Stammkneipe verabreden, wenn man einen Auftrag durchsprechen wollte. An einem Ort, an dem es die Tresennachbarn gewohnt waren, sich Schulter klopfend in jedes Gespräch einzumischen und jede noch so sinnlose Bemerkung mit bedauernden Blicken oder dreistem Grinsen zu bedenken. Besser wäre schon eine Berufskiller-Feierabend-Kneipe gewesen, wo sich die Killer nach dem letzten Mord des Tages auf ein gemütliches Glas Bier trafen und über unanständige, blutfreie Witze lachten.

      Aber solche Kneipen kannte Vitali nicht.

      Deshalb hatte er eine andere Idee gehabt, als er zum ersten Mal für die Familie einen Mord in Auftrag geben durfte. Er hatte sich überlegt, in der Abgeschiedenheit der Provinz, abseits von jeglicher Aufmerksamkeit, ein Treffen vorzubereiten. Dazu hatte er sich aus dem Internet ein Hotel nicht weit von Hamburg herausgesucht, der Stadt, in der der Mord stattfinden sollte. Nah genug am Ort des Geschehens, dass man diesen ohne viel Aufwand erreichen konnte. Weit genug weg, so dass niemand einen Aufenthalt in diesem Hotel mit einem Mord im fernen Hamburg in Zusammenhang bringen würde. Der Killer würde am Abend zuvor mit dem Flieger aus Moskau in Düsseldorf eintreffen, am Flughafen einen Leihwagen erhalten und dann hier übernachten. Am nächsten Morgen würde Vitali sich mit ihm treffen. Er würde ihm das Geld für den Auftrag übergeben und noch einmal letzte Details absprechen. Er würde ein Foto von dem Opfer mitbringen und sogar einige Notizen zu seinen Lebensgewohnheiten zu Papier gebracht haben.

      Nach dem Treffen würde der Killer nach Hamburg fahren, seinen Auftrag ausführen, und vielleicht bliebe ihm sogar noch etwas Zeit zum Shoppen. In Hamburg konnte man gut einkaufen, fand Vitali. Er hatte extra noch einen Zettel mit Adressen dabei, wo man die besten Goldkettchen, Rolex-Uhren und Armani-Sonnenbrillen kaufen konnte. Für den Fall, dass der Killer ihn danach fragen würde. Dann würde dieser den Wagen zurückbringen und noch in derselben Nacht zurückfliegen. Wenn man die Leiche finden würde, wäre er längst über alle Berge. Niemand würde ihn in Hamburg bemerkt haben. Niemand würde ihn verdächtigen können. Niemand würde auch nur auf die Idee kommen, dass er etwas mit einer hässlichen Leiche zu tun haben würde.

      Der Plan war perfekt.

      Vitali war begeistert, dass er diesmal einen so guten Plan gehabt hatte. Denn er musste zugeben: er und sein Zwillingsbruder Wladimir standen innerhalb der Familie nicht unbedingt in dem Ruf, gute Pläne zu haben. Sie galten als eher ungeschickt. Auch wenn Vitali das nicht gerecht fand. Als sie beispielsweise neulich die Leiche im Main verschwinden lassen sollten und diese fachgerecht mit Zementfüßen versehen hatten, wie konnten sie da ahnen, dass es in dem schicken Laden für Künstlerzubehör auch wasserlöslichen Zement zu kaufen gab? Und als sie aus einer weiblichen Leiche eine anonyme Tote machen sollten, hatten sie Stunden damit zugebracht, dass man Fingerabdrücke und Zähne nicht zur Identifizierung der Toten heranziehen konnte. Sie hatten wirklich gute Arbeit geleistet. Was konnten sie dafür, dass die Polizei keine 20 Minuten gebraucht hatte, um die Leiche anhand der Registriernummern ihrer Brustimplantate zu identifizieren?

      Von daher war es für Vitali eine mehr als freudige Überraschung gewesen, als sein Großvater ihn vor einigen Tagen beiseite genommen und ihm einen Zettel mit einer Telefonnummer in die Hand gedrückt hatte. Damit Vitali sich an der Lösung des Problems beteiligen konnte, das die Familie gerade hatte. Das Problem, um das es dabei ging, hatte etwas damit zu tun, dass die Familie sich inzwischen in Deutschland festgesetzt hatte und den Markt mit Drogen, Waffen und Falschgeld von Frankfurt aus beherrschte. Das Geschäft lief gut. So gut, dass die Familie begann, sich weiter nach Norden auszudehnen. Das war nicht einfach, denn von Hamburg aus beherrschte der Minsker Clan den Markt mit Drogen, Waffen und Falschgeld. Ebenfalls recht erfolgreich. So dass dieser begann, sich Richtung Süden auszudehnen.

      Diese Konstellation hatte zu merklichen Differenzen geführt.

      Daher hatte es im vorherigen Monat ein Treffen der Clanchefs gegeben, bei dem man sich gegenseitig seine Präferenzen dargelegt hatte. Es hatte eine lange Diskussion gegeben, allerdings hatte man sich nur in wenigen Punkten einigen können. Eigentlich war man sich nur in einem einzigen Punkt einig gewesen: Deutschland war ein schöner Markt, den man gern für sich allein hätte. Ohne die störende Konkurrenz.

      Nach dem Treffen hatte die Familie das Problem daher intern weiter diskutiert. Und schon sehr bald war er dabei ins Gespräch gebracht worden: Stanilov.

      Stanilov gehörte eigentlich nicht zur Familie sondern arbeitete freischaffend. Wenn es ein Problem gab, rief man ihn an, bezahlte ihn, und er löste dieses Problem. Und darin war er gut, verdammt gut. Stanilov hatte vermutlich einen größeren Einfluss auf die russische Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahrzehnte als der selbst gebrannte Wodka, und das hieß was. Man rief Stanilov an, und am nächsten Tag war die Person verschwunden, die das Problem dargestellt hatte. Auf ewig versenkt in der Neva, eins geworden mit der Betonmasse des neuen Einkaufszentrums oder in Portionen verpackt Teil der nächsten Auslieferung von Hundefutter in Konserven.