Marianne Christmann

Falsche Spuren der Rache


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in Martinis Stimme hatte er erkannt, dass er ihn eiskalt erwischt hatte. Das geschah ihm völlig Recht! Morgen würde er ihn wieder anrufen und ihm den Übergabeort des Geldes nennen.

       Mit zweihunderttausend Euro konnte er eine Menge anfangen, sich ein neues Leben aufbauen. Für den Anfang würde es genügen. Und falls die Polizei nicht die Schlüsse ziehen würde, die sie ziehen sollte, würde er ihnen einen Tipp geben. Denn er hatte nicht vor, Paul Martini einfach so ungeschoren mit zweihunderttausend Euro davonkommen zu lassen. Nein, er sollte im Gefängnis schmoren. Das war das Mindeste! Vielleicht würde er ihn auch noch einmal um eine kleine Geldspende angehen. Bei diesem Gedanken schüttelte sich der Anrufer vor Lachen.

      Kapitel 5

      Kriminalhauptkommissarin Jutta Hansen saß im Kommissariat an ihrem Schreibtisch und schälte ein hart gekochtes Ei, das ihr Mittagessen sein sollte. Wie immer hatte sie einen Berg von Arbeit und darüber das Essen vergessen. Sie wollte gerade in das Ei beißen als ihr junger Kollege, Jan Römer, hereinkam und sagte:

      „Jutta, auf einem Wirtschaftsweg, in der Nähe der Bundesstraße wurde eine Leiche gefunden. Wir müssen sofort hin.“

      Seufzend stand Jutta Hansen auf, griff nach ihrer Jacke und biss ein Stück von dem Ei ab. Während sie den Flur entlanggingen, aß sie den Rest des Eies und ließ sich den Fall schildern.

      „Eine Frau, so Mitte fünfzig, liegt auf diesem Weg“, informierte sie Jan Römer.

      „War sie zu Fuß unterwegs oder mit dem Auto oder mit dem Rad? Weiß man schon die Todesursache?“

      Ungeduldig sah sie ihren jungen Kollegen an.

      „Am Tatort wurden kein Auto und kein Rad gefunden und sie wurde überfahren.“

      „Also Fahrerflucht?“

      „So sieht es aus.“

      Am Tatort herrschte schon reger Betrieb. Polizei, Sanitäter und der Gerichtsmediziner waren bereits vor Ort.

      „Hallo Herr Marquardt“, begrüßte Jutta Hansen den Gerichtsmediziner, „können Sie uns schon etwas sagen?“

      „Hallo Frau Hansen, nur so viel, der Unfall geschah vor etwa zwei bis drei Stunden und bei der Todesursache würde ich auf Schädelbruch tippen.“

      „Woran sehen Sie das denn?“, erkundigte sich Jan neugierig.

      „Wenn Blut aus dem Mund oder aus dem Ohr läuft, dann ist das fast immer ein Zeichen für Schädelbruch. Auch wenn der Kopf äußerlich fast unversehrt aussieht. Genaueres kann ich Ihnen aber erst nach der Obduktion mitteilen.“

      „Die Tatzeit ist also zwischen 14 und 15 Uhr?“

      „Ja, das könnte hinkommen. Ich schicke Ihnen dann meinen Bericht.“

      „Hatte sie Papiere bei sich und gibt es sonst irgendwelche Spuren?“, wandte sich Jutta nun an Jan Römer.

      „Papiere nein, sonstige Spuren haben wir gefunden, winzige Lacksplitter, sie sind schon auf dem Weg ins Labor“, antwortete ihr junger Kollege.

      „Zeugen oder irgendjemand, der uns Hinweise geben kann?“

      Jan schüttelte bedauernd den Kopf.

      Einer der Streifenpolizisten, der den Unfallort abgesperrt und das Gespräch zwischen den beiden Kommissaren mitbekommen hatte, wandte sich an Jutta.

      „Frau Hansen, wir haben ein Handy gefunden. Es lag hier, nicht weit von der Leiche. Ich habe es sofort ins Labor schicken lassen. Außerdem hat vorhin jemand anonym auf der Wache angerufen und gesagt, dass hier eine Leiche liegt. Sonst hätten wir sie nicht so schnell gefunden.“

      „Das ist ja interessant“, bemerkte Jutta, „danke, Herr Wiegand, für die Information. Lass uns zurückfahren, Jan und auf den Laborbericht warten.“

      Im Kommissariat sichteten sie das spärliche Material.

      „Jemand muss die Frau doch vermissen, bestimmt hat sie eine Familie“, sagte Jutta nachdenklich.

      „Vielleicht meldet sich ja noch jemand, der sie vermisst“, antwortete Jan, „wahrscheinlich ist es bisher noch niemandem aufgefallen.“

      „Was wissen wir über das Handy, das am Tatort gefunden wurde? Gehört es dem Opfer oder eventuell dem Täter? Und was ist mit dem anonymen Anrufer?“

      „Das Handy ist noch in der KTU, das dauert noch etwas und was den anonymen Anrufer betrifft, haben die Kollegen herausgefunden, dass der Anruf von einem öffentlichen Telefon am Bahnhof getätigt wurde. Aber leider nicht von wem.“

      In diesem Moment wurde der Laborbericht gebracht.

      „Also, bei den Lackspuren handelt es sich um einen dunkelgrünen Lack, der heute in dieser Form nicht mehr hergestellt wird“, las Jan vor.

      „Also muss das Auto ein älteres Modell sein?“, präzisierte Jutta Hansen. „Welches Baujahr?“

      „Hier steht, so etwa neun oder zehn Jahre alt. Außerdem steht hier noch, dass dieser Lack in ebendieser Konsistenz nur bei wenigen Autos verwendet wurde. Einer Sonderreihe. Das Labor hat etwas recherchiert und herausgefunden, dass dieser Lack vor zehn, elf Jahren bei der Marke Opel verwendet wurde, genauer gesagt, beim Ascona.“

      „Also ein zehn oder elf Jahre alter dunkelgrüner Opel Ascona, der vorne Lackschäden hat.“

      „Genau.“

      „Das müsste doch rauszukriegen sein. Jan, du gehst alle dunkelgrünen Opel Ascona von vor zehn Jahren durch, die es in der Stadt gibt. So viele dürften das nicht mehr sein. Ermittle die Halter. Und was ist mit dem Handy?“

      Jan blätterte den Bericht durch.

      „Es ist ein Smartphone. Der Halter konnte noch nicht ermittelt werden, weil der Mobilfunkanbieter sich quer stellt. Will keine Daten seiner Kunden herausgeben. Wir werden dafür wohl eine richterliche Anordnung brauchen.“

      „Kümmere dich darum und auch um das Auto“, bat Jutta noch einmal.

      „Und was machst du?“

      „Ich gehe in die Gerichtsmedizin und frage, ob schon etwas Neues vorliegt.“

      „Nicht nötig, ich habe hier den Bericht“, sagte Günther Marquardt, der gerade zur Tür hereinkam. „Die Tote ist etwa 55 Jahre alt, gesund, keinerlei Narben, Muttermale oder Tattoos. Alle inneren Organe waren gesund und ihr Allgemeinzustand war sehr gut. Todesursache ist ein Schädelbruch, den sie erlitten hat, als sie mit dem Kopf auf das Straßenpflaster geschlagen ist. Sie muss mit großer Wucht gerammt worden sein. Außerdem muss es beim Tatfahrzeug entsprechende Dellen geben, auf der Motorhaube zum Beispiel. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“

      Er reichte Jutta Hansen den Obduktionsbericht.

      „Das ist nicht gerade viel“, sagte sie, „hat man denn keinen Ausweis oder sonstige Papiere bei ihr gefunden?“

      „Nein, leider nicht.“

      „Also bleibt uns nur die Lackspur und das Auto.“

      Jutta Hansen schüttelte den Kopf.

      „Sie muss doch irgendetwas bei sich gehabt haben, Ausweis, Führerschein, Schlüssel oder so. Es kann doch nicht sein, dass sie gar nichts bei sich hatte. Auch keine Handtasche oder einen Rucksack?“

      „Es wurde nichts bei ihr gefunden, auch in der näheren Umgebung nicht“, erwiderte Jan Römer.

      „Merkwürdig, sehr merkwürdig“, murmelte Jutta Hansen vor sich hin.

      Kapitel 6

      Paul Martini frühstückte gerade als das Telefon klingelte.

      „Hast du das Geld?“, fragte die Stimme von gestern.