Victor Dahms

Lichter aus und Kerzen an


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Cognacbohnen.

      Was aber tun mit dem, worin du sie versteckt,

      Mit vierundzwanzig Fromms-Kondomen?

      Hast du mich damit nur geneckt?

      O nein, ich weiß ja, dass die Liebe

      Sich immer mit der Hoffnung paart.

      Nur dann veredeln sich die Triebe!

      Und nun rasier‘ ich mir den Bart!

      Jetzt weiß ich angesichts der Fromms:

      Du komms!

      Wendelin Renner

      Das Weihnachtsgeschenk

      Ich bin meiner Tante Gertie zu großem Dank verpflichtet. Deshalb tut mir meine Untat so leid. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Sie verjährt auch nicht. Als meine Mutter starb, war ich gerade siebzehn, und weil Gerties Drogerie direkt neben meinem Gymnasium in Köln-Nippes lag, habe ich bei ihr immer zu Mittag gegessen. Vor Jahren ist die Beziehung abrupt zu Ende gegangen. Und schuld war mein Weihnachtsgeschenk. Ich schickte es ihr aus Schweden, wo ich damals zu tun hatte.

      „Liebe Tante Gertie“, schrieb ich, „ich sende Dir und Deinen Lieben eine Leckerei aus dem Norden, nämlich zwei Konserven mit Heringen, die hier als besondere Delikatesse geschätzt werden. Der König persönlich pflegt in einer feierlichen Zeremonie im Stockholmer Vergnügungspark jedes Jahr im August die erste Dose zu öffnen. Mögen sie auch Euch – vielleicht als Horsd’oevre am Heiligen Abend? – munden.“

      So ungefähr hieß es in meinem Begleitschreiben. Es enthielt nichts Unwahres, aber ich hätte unbedingt nähere Instruktionen mitteilen müssen, die mir ja seinerzeit durchaus bekannt waren, wenn auch nicht aus eigener Erfahrung, sondern bloß vom Hörensagen. Obwohl ich erst in diesem Sommer zum erstenmal in einem Akt der Buße und Selbstkasteiung von dieser so genannten Spezialität gekostet habe, war mir doch schon damals berichtet worden, dass man die Büchsen unbedingt im Freien öffnen und die Fische dann ein paar Stunden zu wässern habe. Das habe ich in meinem Brief verschwiegen.

      Seit meinem Schwedenurlaub in diesem Jahr tut es mir so leid wie nie zuvor. Das ganze Ausmaß meines Frevels ist mir im vergangenen August erst so recht sinnenfällig geworden.

      Im Supermarkt in Alfta sah ich die nämlichen Konserven, die ich einst meiner bedauernswerten Tante geschenkt hatte, ohne den Inhalt probiert zu haben: Surströmming. Es sind Ostseeheringe, die weiß der Teufel wie lange in Salzlauge gelegt werden, zwei Monate in Tonnen reifen und dann erst eingedost nachgären. Wer jemals ahnungslos oder mutwillig den Dorn eines Büchsenöffners in eine solche Dose gedrückt hat oder auch nur leichtsinnig beim Öffnen in der näheren Umgebung dabeigestanden ist, weiß, dass es sich bei dieser Bezeichnung „saurer Hering“ um einen Euphemismus oder besser gesagt um eine arglistige Täuschung handelt.

      Im Supermarkt Hemköpet, die unserem fünfzehn Kilometer entfernten Ferienhaus in Kleinfließeisenbach am Langrösten-See am nächsten gelegene Einkaufsmöglichkeit, entdeckte ich in einer Kühlbox die besagten Dosen der berühmten Marke „Röda Ulven“ (Roter Wolf) mit den bedrohlich gewölbten Deckeln.

      Meine Frau sowie meine Freunde Gudrun und Thomas klärte ich auf und warnte vor den Folgen, die in einem Hass auf alles Fremde oder in einem therapiebedürftigen Schockzustand gipfeln können, der, unbehandelt, eine lebensbedrohliche Anorexia nervosa nach sich zu ziehen vermag. Gudrun erklärte sich in der für sie so typischen Trotzmacht ihres Geistes bereit, zwei Konserven zu kaufen, um unseren Ferien den Hauch eines Abenteuerurlaubs zu verleihen.

      Um nicht leichtsinnig zu sein, beobachteten wir indessen zunächst die Kunden, um von deren Phänotypus Rückschlüsse auf die Genießbarkeit des Surströmmings zu ziehen. Vielleicht waren ja die Befürchtungen weit übertrieben, der Duft nicht schlimmer als der eines vergreisten Münsterkäses oder eines überreifen Harzer Rollers. Drei ältere Damen und ein seriös gekleideter Mann erstanden die fraglichen Produkte, und so kauften auch wir schließlich zwei davon.

      Es dauerte aber noch drei Tage, bis Gudrun und ich gegen den Widerstand der beiden anderen beschlossenen, eine Dose zu öffnen und den Inhalt zu probieren. Gewarnt vor dem Herausspritzen der Ekel erregenden Salzlake, zogen wir Gummistiefel an und eine Regenhaut über und trugen wie in einer Prozession, gefolgt von den ängstlichen Freunden, eine der Büchsen feierlich zum Bootssteg, weit genug von unserer Unterkunft. In sicherem Abstand verfolgten unsere Gefährten das weitere Geschehen.

      Wir aber standen heldenhaft vor der Dose und versuchten, unseren Geist zu stärken durch mentale Praktiken des fernen Ostens. Wer von uns sollte das Gefäß öffnen? Beide zusammen? Das war unmöglich. Jeder eine halbe Umdrehung? Schließlich knobelten wir. Ich verlor. Beherzt setzte ich die Spitze des Öffners an und schlug zu.

      Unbeschreiblich übelriechende Gase, ach was: ein pestilenzartiger Gestank entwich, Lauge spritzte mir in’s Auge, wegen der Gummihandschuhe konnte ich sie nicht hinaus reiben, und bevor ich am Ufer war, hatte ich mich übergeben.

      Mit einer Wäscheklammer wappnete ich mich mutig gegen die olfaktorischen Gefahren und schauten Gudrun zu, die inzwischen beherzt den Deckel entfernt und die Fische in eine Schüssel mit Wasser gestülpt hatte. Der grauenhafte Gestank ließ nur allmählich nach.

      Erstaunt bemerkten wir, wie die Ostseeheringe dicker und dicker wurden. Dann beobachteten wir, wie sich eine Fliege leichtsinnig auf einem Surströmming niederließ und sofort wieder wegzufliegen versuchte, aber nur hilflos torkelte, schließlich mühsam den Schüsselrand erreichte, starten wollte und dann wie besoffen zu Boden plumpste, auf dem sie mühselig davon krabbelte. Wir wissen nicht, was aus ihr geworden ist. –

      Hätte ich doch damals meiner Tante nur geraten, die Büchsen auf jeden Fall im Garten, auf dem Balkon oder wenigstens in der Küche zu öffnen! Heinz-Otto Bunsenecker, der mitsamt seiner inzwischen von ihm separierten Gattin Elke mit zwei weiteren Ehepaaren an jenem denkwürdigen Weihnachtsabend bei meiner Tante, zu der sie seitdem auch keinen Kontakt mehr haben, zu Gast war, hat mir bei einem zufälligen Zusammentreffen vergangenen September in Baden-Baden berichtet, dass nach dem Aperitif Tante Gertie mit einer meiner Konservendosen in der einen und einem Büchsenöffner in der anderen Hand an die mit Tannengrün und bunten Kerzen geschmückte Festtafel getreten sei, etwas von einem dankbaren Neffen und einer lappländischen Spezialität erzählt und den Anwalt Detlev Kurzenhäuser gebeten habe, sie als kleine Appetithappen schon einmal aufzulegen, während sie die Schildkrötensuppe vorbereiten und nach der Gans schauen wolle.

      Was dann passierte, muss grauenhaft gewesen sein. Er, Bunsenecker, habe Kurzenhäuser gegenüber gesessen, als dieser mit einem kräftigen Druck den Öffner in den Deckel schlug, und mit diesem Schlag habe sich die heiter-besinnliche Weihnachtsstimmung in panikartiges Entsetzen verwandelt. Die Spritzer hätten seine, des Detlev Kurzenhäusers, aus dem verblüfften Mund heraushängende Zungenspitze, die Damasttischdecke und das Dekolleté seiner Frau getroffen, die Dose sei umgekippt, die ekelhaften toten Fische auf dem Perser habe keiner anrühren mögen, ein Würgen habe sogleich alle überkommen, und weil der Verwesungsgeruch nicht nachgelassen habe, hätten alle Gäste meine heulende Tante bald verlassen.

      Es ist schlimm, wenn man Weihnachten einsam ist, noch schlimmer, wenn man allein gelassen wird. Aber konnte ich denn damals ahnen, dass in einem zivilisierten Land wie Schweden, wo sich jeder vor der Tür die Schuhe ausziehen muss, solche Lebensmittel frei verkäuflich sind? Sogar an Jugendliche! Ohne Rezept! Ohne Beipackzettel! Der Schwede als solcher zeichnet sich sonst durch Humanität, Hilfsbereitschaft und Toleranz aus. Und nirgendwo wird Weihnachten so schön gefeiert wie dort.

      Wir haben drei Stunden auf dem Bootssteg gewartet, nur Gudrun und ich haben je ein kleines Stück vom Surströmming verkostet und dann alles in den See gekippt. Merkwürdig, dass selbst die Stichlinge darin die Reste verschmähten.

      Mir kommt der Gedanke, dass der im Dreißigjährigen Krieg so gefürchtete Schwedentrunk gar keine Jauche gewesen ist, sondern die Brühe dieser in ihrem Verwesungsprozess aufgehaltenen sauren Heringe.

      Eckhart Pilick