Edgar Wallace

Gangster in London


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      Terry hatte Jiggs zum Besuch einer Operette eingeladen und wollte gerade seine Wohnung verlassen, als das Telefon klingelte. Glücklicherweise fuhr Jiggs im selben Augenblick vor, und die beiden rasten in seinem Taxi mit größter Geschwindigkeit zum Berkeley Square.

      Vor dem Haus Nummer 147 hatte sich schon eine Menschenmenge angesammelt; irgendwie mußte sich die Nachricht von dem Verbrechen verbreitet haben. Terry bahnte sich einen Weg durch die Gasse und wurde von dem Polizisten, der an der Tür Wache hielt, sofort eingelassen.

      Die beiden Beamten in Zivil, die die Vorderseite des Gebäudes tagsüber bewacht hatten, warteten innen und erstatteten kurz Bericht. Niemand war während der letzten halben Stunde vor dem Mord ins Haus gekommen oder hatte es verlassen. Terry ging in die Bibliothek und betrachtete den Toten. Der alte Mann war aus nächster Nähe mit einem schweren Revolver erschossen worden. Die Waffe lag etwa einen Meter vom Schreibtisch entfernt auf dem Boden. Der Detektiv ließ sich eine Zange bringen, und nachdem er die Lage des Revolvers mit Kreide genau bezeichnet hatte, hob er die Waffe auf, legte sie auf einen kleinen Tisch und untersuchte sie beim Schein einer hellen Leselampe. Es war ein verhältnismäßig altmodischer Colt-Revolver, der noch vier Patronen enthielt.

      Wichtiger war die Entdeckung, daß sich auf den Stahlteilen zwischen dem Griff und der Trommel deutlich ein Fingerabdruck zeigte. Auf dem Schreibtisch entdeckte Terry einen Bogen Papier, auf dem ebenfalls ein ganzer Satz von Fingerabdrücken klar zu erkennen war. Eine dritte Reihe von Fingerabdrucken fand sich auf dem Rand des blankpolierten Mahagonischreibtisches. Es sah so aus, als ob jemand seine Hand dort hingelegt hätte.

      Terry ging dann in Leslies Büro und unterhielt sich mit ihr. Sie war bleich, erzählte ihm aber gefaßt, was sie von der Sache wußte.

      »Ist Tanner benachrichtigt worden?«

      Sie nickte.

      »Er kam sofort herunter und sah den armen Mr. Decadon. Dann ging er wieder in seine Wohnung hinauf. Er sagte, daß nichts angerührt werden dürfe. Aber die Polizei war schon im Haus und hatte alle Anordnungen getroffen. Mr. Tanner wußte natürlich nichts davon, daß die Beamten den ganzen Tag Wache gehalten hatten.«

      Terry ließ Tanner durch Danes rufen, und Ed kam mit ernstem Gesicht herunter. Ohne zu zögern, ging er in die Bibliothek. »Es ist furchtbar – einfach entsetzlich!« erklärte er. »Ich kann es kaum glauben ...«

      »Haben Sie den Revolver vorher schon gesehen?«

      Terry zeigte auf die Schußwaffe, die auf dem Tisch lag.

      Zu seinem Erstaunen nickte Tanner. »Ja, das ist mein Revolver! Ich bin meiner Sache ganz sicher: Ich habe ihn nicht angefaßt, als ich vorher hereinkam, aber ich kann einen Eid leisten, daß die Waffe mir gehört. Vor einem Monat wurde mir ein Koffer auf dem Bahnhof gestohlen, in dem auch dieser Revolver lag. Ich habe der Polizei damals die Sache angezeigt und sogar die Nummer der Waffe angegeben.«

      Terry erinnerte sich genau an den Vorfall, denn Diebstahl von Feuerwaffen gehörte zu seiner Abteilung. »Und seit der Zeit sahen Sie den Revolver nicht wieder?«

      »Nein.«

      »Mr. Tanner: Auf der Waffe und auf dem Schreibtisch hier haben wir Fingerabdrücke gefunden. In kurzer Zeit werden die Beamten des Erkennungsdienstes mit ihren Apparaten hier sein. Sind Sie bereit, ihnen Ihre eigenen Fingerabdrucke zu geben, damit man sie mit den anderen vergleichen kann?«

      »Gewiß! Ich habe nicht das geringste dagegen!«

      Gleich darauf erschienen die Beamten. Terry nahm den Sergeanten einen Augenblick beiseite und erklärte ihm, was zu tun sei. Ein paar Minuten darauf hatten sie klare und gute Abdrücke von Tanners Fingern.

      Der Sergeant machte sich nun daran, die übrigen Abdrücke aufzunehmen. Als er sie auf dem Bogen Papier mit Puder eingestäubt hatte, traten sie klar hervor. Er untersuchte sie, und Terry sah das Erstaunen in seinen Zügen. »Es sind die gleichen Abdrücke wie die von Mr. Tanner!«

      »Was?« rief Terry verblüfft. Er nahm den Revolver auf und bestäubte selber den Abdruck mit Puder. »Hier ist es ebenso ...« Terry sah zu Tanner hinüber, der vollkommen ruhig geblieben war und nur leicht lächelte.

      »Um sieben Uhr heute abend war ich in der Bibliothek, Chefinspektor, aber ich habe weder den Briefbogen noch sonst etwas im Zimmer angefaßt. Die Tatsache, daß ich vorher hier im Zimmer war, würde eine sehr einfache Erklärung für meine Fingerabdrücke auf dem Schreibtisch geben. Damit wären aber nicht die auf dem Revolver erklärt. Doch auch die hätte ich unmöglich hinterlassen können, denn ich war im Begriff auszugehen und trug Handschuhe. Erst nachdem ich meinen Onkel gesprochen hatte, änderte ich meine Absicht und ging wieder in meine Wohnung.«

      »Worüber haben Sie sich denn unterhalten?«

      Eine kleine Pause trat ein. »Wir sprachen über sein Testament. Er hatte mich heruntergerufen, um mir mitzuteilen, daß er zum erstenmal in seinem Leben ein Testament machen wollte ...«

      »Hat er Ihnen gesagt, wie er über sein Vermögen verfügte?«

      »Nein.«

      Terry ging wieder in Leslies Büro und hörte zu seinem Erstaunen, daß Decadon vor seinem Tod tatsächlich ein Testament aufgesetzt hatte, das von Leslie persönlich als Zeugin unterzeichnet worden war.

      Über den Inhalt konnte sie allerdings nichts sagen. Sie wußte nur, daß der alte Herr ihr ein Legat von tausend Pfund vermacht hatte. »Ich machte ihn noch ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es ungültig sei, wenn ich als Zeugin seine Unterschrift bestätige.«

      »Haben Sie eine Ahnung, wo er das Testament verwahrt hat?«

      »Er hat es in die linke obere Schreibtischschublade gelegt.«

      Terry ging wieder in die Bibliothek zurück. Inzwischen war der Arzt erschienen und untersuchte den Toten.

      »Können Sie mir wirklich nicht sagen, wie Ihr Onkel in dem Testament über sein Vermögen verfügt hat?«

      »Nein – das weiß ich nicht«, erklärte Tanner zum zweitenmal. »Er hat mir nichts darüber gesagt.«

      Terry trat an den Schreibtisch und zog die ihm von Leslie bezeichnete Schublade auf. Sie war leer ...

      »Es ist Ihnen doch klar, wie ernst diese Situation für Sie ist, Mr. Tanner? Wenn Ihre Angabe stimmt, daß Ihr Onkel nie ein Testament gemacht hat, sind Sie, als sein einziger Verwandter, sein Universalerbe. Er hat nun aber, nach Feststellung mehrerer Zeugen, tatsächlich ein Testament hinterlassen, und es wäre möglich, daß er Sie darin enterbt hätte. Die Vernichtung des Testaments und die Ermordung Ihres Onkels sind Umstände, die deutlich auf ein wichtiges Motiv hinweisen ...«

      Tanner nickte. »Wollen Sie damit sagen ...?«

      »Nein! Im Augenblick will ich noch nichts sagen! Ich möchte Sie nur bitten, die Beamten nach Scotland Yard zu begleiten und mich in meinem Büro zu erwarten. Das bedeutet noch nicht, daß Sie verhaftet sind.«

      Tanner dachte einen Augenblick nach. »Kann ich mich mit meinem Rechtsanwalt in Verbindung setzen?«

      Terry schüttelte den Kopf. »Das ist hier bei uns nicht üblich. Wenn eine bestimmte Anklage gegen Sie erhoben wird, können Sie selbstverständlich Ihren Rechtsanwalt sprechen. Aber es steht noch nicht fest, ob eine Anklage erhoben wird. Die Umstände sind sehr verdächtig. Sie selbst geben zu, daß die Mordwaffe Ihnen gehört; der Sergeant hat festgestellt, daß die Fingerabdrücke den Ihren gleichen. Wir müssen die Sache genauer untersuchen, und es bleibt mir nichts