Mona Busch

Aufgeflogen


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Caspari, zurückgegriffen zu haben. David schreibt in dem Brief, dass sie vertrauenswürdig ist und ich ihr gegebenenfalls eine Rückantwort mit Anweisungen mitgeben kann.“

      Er machte eine Pause: „Zu welchem Ergebnis sind Sie in der Zwischenzeit gekommen?“

      Der Kriminaldirektor räusperte sich: „Naja. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir ziehen Frau Caspari präventiv mehrere Wochen lang aus dem Verkehr – oder wir lassen sie laufen. Beides ist problematisch: Um sie wochenlang festzuhalten brauchen wir natürlich einen richterlichen Beschluss, und eine solche Maßnahme stößt bei ihr sicher auf Widerstand. Lassen wir sie laufen, kann sie ausplaudern, was sie gehört hat. Ich habe jemanden beauftragt, ihre Lebenssituation zu überprüfen. Die Ergebnisse sollten bald da sein.“

      Tatsächlich ging zehn Minuten später, nach weiterer Beratung, die Tür auf. Ein junger Mann reichte einen Zettel herein und verschwand dann wieder.

      Der Kriminaldirektor las vor: „Isabella Caspari, geboren am 14. Mai, zurzeit 20 Jahre alt, ledig, eine Vorstrafe, nicht geheimdienstlich bekannt. Wohnt in einem Einfamilienhaus in der Kemnatenstraße in München. Ihre Eltern wohnen in Karlsruhe und haben ihr das Haus hier, das ursprünglich den Großeltern gehörte, während des Studiums zur Verfügung gestellt. Stabile Lebensverhältnisse: macht eine Schauspielausbildung an der München Film Akademie, hat einen Job als Kellnerin beim Backstage Werk München und ist in mehreren Vereinen Mitglied.“

      Er sah auf: „Demnach besteht wohl keine Fluchtgefahr. Trotzdem – gerne ließe ich sie nicht laufen.“

      Herr Amper meinte: „Nein, aber dennoch würde ich mich dafür entscheiden.“

      Er sah den Kriminaldirektor an: „Sie festzuhalten wäre eine ziemlich drastische Maßnahme. Dazu kommt ihre Beziehung zu David, die sie sicher nicht aufs Spiel setzen will. Vermutlich hat sie von Ihrem Gespräch vieles gar nicht verstanden und behalten. Ich würde vorschlagen: Lassen Sie die junge Frau laufen, wenn sie uns eine Verschwiegenheitserklärung unterschreibt, nicht über das heute Gehörte zu sprechen. Außerdem könnten wir sie observieren lassen, wenn Sie das für sinnvoll halten. Auch ihr Telefon und ihr Handy können wir in den nächsten Wochen zur Sicherheit abhören bzw. überwachen lassen.“

      Die Männer berieten noch eine Weile. Dann kamen sie überein, es so zu machen, wie Herr Amper vorgeschlagen hatte. Der Kriminaldirektor beantragte einen richterlichen Beschluss für die Telekommunikationsüberwachung sowie für eine Observierung.

      Isabella musste eine ganze Weile warten. Als ihr Magen vor Hunger knurrte, aß sie ihre Brotzeit, die sie sich eigentlich für die Schauspielschule eingepackt hatte. Dann zog sie das dicke Manuskript hervor, aus dem sie zurzeit einige Szenen übten. Schließlich kannte sie die ganze Story und wusste den Text, den sie lernen sollte, in- und auswendig.

      Gegen 16.30 Uhr klopfte jemand an die Bürotür. Endlich!

      Herr Amper trat ein.

      Isabella saß auf dem Stuhl und sah ihn erwartungsvoll an, doch er umrundete wortlos den leeren Schreibtisch und setzte sich ihr gegenüber. Verunsichert wartete sie, was nun geschehen würde.

      Mit ruhiger Stimme verkündete er: „Frau Caspari, wir haben eine Entscheidung getroffen.“

      Sie machte ängstlich fragend: „Aha? Und… welche?“

      Er fuhr fort: „Da der Absender des Briefes Sie für vertrauenswürdig hält, werden wir Sie freilassen“, – sie lächelte, „…wenn Sie eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben, mit niemandem über das zu reden, was Sie heute im Konferenzraum mit angehört haben.“

      Isabella wurde wieder ernster: „Ja, in Ordnung.“

      Herr Amper schob ein Blatt Papier über den Schreibtisch, auf dem sie ihren Namen, ihr Geburtsdatum sowie ihre Adresse eintragen musste und auf dem sie versicherte, das heute Gehörte niemandem mitzuteilen, da dies sonst eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen könnte.

      Sie unterschrieb das Verlangte.

      Danach erklärte Davids „Führer“ streng: „Momentan kommen Sie mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs sowie Verstoßes gegen das Waffengesetz davon. Wenn Sie ihre Verschwiegenheitserklärung brechen sollten, hätte das aber ernsthafte Konsequenzen für Sie! Wir würden Sie sofort festnehmen, und dann kämen Sie nicht mehr so schnell auf freien Fuß. Dann würden wir nämlich Anzeige gegen Sie erstatten wegen Spionage und Landesverrat. Haben Sie das verstanden?“

      Isabella nickte beklommen.

      Herr Amper wandte sich an die Leute von der Haussicherheit: „Okay, Sie können sie freilassen.“

      Isabella schaltete sich nochmals ein: „Moment! Was ist mit David? Haben Sie ihn erreicht? Geht es ihm gut?“

      Bedauernd antwortete er: „Tut mir leid, aber ich konnte keinen Kontakt zu Ihrem Freund aufnehmen. Wir müssen abwarten. Auf Wiedersehen! Denken Sie an Ihre Verschwiegenheitspflicht!“

      Er nickte ihr zu und verließ das Büro.

      Die Sicherheitsleute ergriffen Isabella nun wieder an den Armen und führten sie aus dem Büro. Wieder ging es durch lange Gänge und über einige Treppen nach unten. Bei der Glastür, hinter welcher der Ausgang lag, stoppten sie. Unangenehm berührt blickte Isabella zu Boden. Auf einen Wink der beiden Sicherheitsleute hin öffnete sich die Tür für Isabella. Mit großer Erleichterung ging sie hindurch.

      Noch ein schnelles „Wiedersehen!“, das sie sich aber nicht wünschte, dann stand sie draußen auf der Straße und atmete tief durch: Gott sei Dank! Sie war wieder draußen! Wieder frei!

      8. Kapitel

      Der Münchner Feierabendverkehr rauschte an Isabella vorbei. Es roch nach Abgasen, doch die Sonne schien noch und beleuchtete das emsige Treiben in der bayerischen Landeshauptstadt.

      Isabella schritt weit aus, in Gedanken versunken. Jetzt hatte sie also Davids Auftrag erfüllt und den Brief übergeben… und als Dank dafür eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs am Hals! Aber sie wusste immer noch nicht, was mit David los war. Wo war er? Ging es ihm gut? Hoffentlich meldete er sich bald wohlbehalten bei ihr!

      Erst bei der dritten Trambahnhaltestelle war sie innerlich ruhig genug, um auf die Linie 16 zu warten. Die kam schnell, war aber – wie immer um diese Zeit – vollgestopft mit Menschen. Isabella war sehr erleichtert, als sie diese nach zehn Minuten wieder verlassen konnte. Nun musste sie noch einmal umsteigen. Mit dem Bus 51 erreichte sie nach wenigen Minuten die Straße, in der sie wohnte.

      Isa war ein richtiger Glückspilz, wie ihre beste Freundin Carina fand, denn sie durfte in einem kleinen Häuschen direkt am südöstlichen Rand des Nymphenburger Parks wohnen. Das spitzgieblige Haus war ein Überbleibsel aus alten Zeiten. Es war vor langer Zeit von ihren Großeltern erworben worden. Das buttergelb angestrichene, zum Teil mit Efeu berankte Häuschen stand inmitten von prachtvollen Villen und inzwischen oft aufwändig renovierten großen Einfamilienhäusern. Hier ein Haus neu zu kaufen konnte sich kaum jemand leisten. Isabellas Eltern hatten die großzügigen Kaufangebote etlicher Immobilienmakler bisher ausgeschlagen. Gelegentlich kamen ihre Eltern ebenfalls hierher, ansonsten wohnte Isa alleine in dem alten, freundlich-warm wirkenden Haus. Von hier aus waren es nur ein paar Schritte, dann war sie im Nymphenburger Park und konnte im Wald und auf den Wiesen spazieren gehen oder joggen.

      Der einzige Nachteil war der lange Weg, den sie zu ihrer Schauspielschule zurücklegen musste, denn die München Film Akademie lag mehr oder weniger am anderen Ende von München, in Unterhaching. Isa überlegte gelegentlich, ob sie sich für das nächste Jahr an einer anderen Schauspielschule bewerben sollte, war aber noch unschlüssig.

      Vor dem Haus kam Isa ihre Nachbarin samt ihren zwei kleinen Kindern und einer noch leeren Einkaufstasche entgegen.

      Isabella lächelte: „Grüß Gott, Frau Brenner. Hallo Tommy, hallo Lisa!“

      Frau Brenner grüßte freundlich zurück, und die vierjährige Lisa hüpfte freudig in Isabellas Arme: „Hallo Isa! Was