Marie J. D. Caulfield

Indien, ich komme


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in nichts auf.

      John befand sich augenblicklich in einer sehr belebten Einkaufsstraße. „Vorsicht, bitte“ kam es von der Seite. Er erkannte, dass er beiseitetreten musste und machte einen Ausweichschritt. Im gleichen Moment aber „Hey, passen Sie bitte auf, wo Sie hintreten“ hieß es von hinten. John entschuldigte sich und suchte einen Platz, wo er stehenbleiben konnte. Weiter vorne neben einem Kinderwagen und der Frau, die die Mutter gewesen sein musste, sah er eine Bushaltestelle mit einer kleinen Wartehalle. Das war okay und schon nach ein paar Metern hatte er es geschafft. Erst jetzt kam er dazu, sich umzuschauen. Es musste spät am Tag gewesen sein, denn die Straßen waren hell durch Straßenlichter und Neonreklame erleuchtet. Überall sah er Weihnachtsbeleuchtung, die aber etwas anders dekoriert war. Viele bunte, leuchtende Eier brachten harmonische Vielfalt in die weiße Leuchtkerzen Monotonie. Er hörte eine Turmuhr schlagen und die ließ ihn

      11.48 Uhr

      wissen. Das kam ihm komisch vor, denn dem abgedunkelten Tageslicht entsprechen musste es fast 17 Uhr gewesen sein. Bei ihm auf seiner Armbanduhr war es auch so. Okay, die Uhr da oben im Turm lag definitiv falsch. Jetzt erst fiel ihm sein eigentliches Ziel ein, er wollte doch zum Land Lebendig Wasser. Er rekapitulierte: Ganz am Anfang die Eingangstür, dieses Mal ohne dem zauberhaften Wesen davor, als nächstes wurde er von einem Hasen mit Eiern auf dem Rücken begrüßt und danach von den zwei süßen Hunden, die er irgendwo schon mal gesehen haben muss und zuletzt war er hier gelandet, wo viele Menschen mit vollbepackten Einkaufstüten es verdammt eilig hatten, von links nach rechts zu kommen und zu gehen und umgekehrt. Wie sollte er denn jetzt von hier nach Lebendig Wasser kommen? Er schaute sich weiter um und es fielen ihm diese Menschen auf. Die hatten etwas an sich, was John nun gar nicht mochte. Er empfand Hektik und Stress pur. Ja, aber wo waren denn seine neuen Tierfreunde? Wo war der King, mit dem er wieder fliegen wollte? Oder Antonio, der Barkeeper, die beiden müssten unbedingt wieder einen zusammen trinken? Okay, das alles hier würde bestimmt einen Sinn geben und beschloss, in das große Gebäude hineinzugehen, dessen Fassade in hellgelber Farbe war. Auf dieser Fassade war angemalt deutlich ein großer gelbschwarzer Football in einem goldenen Rahmen zu sehen, daneben las er den Schriftzug: -Wir vom Borussia Team raten ihnen: Machen Sie das Shoppen zu ihrer persönlichen Meisterschaft. Erst dann haben sie einen Grund, mit Freude bei uns einzukaufen. Wir helfen ihnen dabei. Viel Erfolg- Gute Idee, dachte John.

      Das Gebäude war auf der anderen Seite der belebten Einkaufsstraße und er ging los. Ihm fiel eine riesige Lichtreklame auf, die hängend über der Straße angebracht war. Es wurde ein Gesicht gezeigt mit einer Laufschrift darunter. Das Gesicht hatte Augen aber ohne richtige Pupillen. Die waren gerade mal angedeutet. Auf der rechten Wange erkannte er die indische Flagge, auf der linken die von der UNICEF. Zwischen den Augen sah er einen roten Punkt. Auf der Stirn war ein geschwungenes B zu sehen. Der Mund ging auf, dazu wurden Walgesänge abgespielt, bis er sich wieder schloss .Die Laufschrift darunter hatte folgenden Inhalt „B wanted for rescue“ Es schien so, dass John damit nichts anfangen konnte. Weiter vorne bei dem Losverkäufer sah er eine Mutter, die ihr Kind beruhigen musste. Denn es schien so, dass es nicht aufhören wollte, lauthals zu weinen. „Ja, Kleines“ sagte sie etwas genervt „Ich kaufe dir das. So beruhige dich doch. Gleich kauf ich es dir.“ und verschwanden dann eilenden Schrittes in das große Kaufhaus, an dem über dem riesigen Eingang viele Flaggen verschiedenster Nationaltäten angebracht waren. Ihn interessierte dieses Haus und wollte hineingehen, nahm aber noch Notiz von einem Schaufenster, in dem ein großer Monitor eingearbeitet war. John sah ein Video mit Musik im Hintergrund, wie er sie von der Copacabana her kannte. Samba Musik in höchster Lebensfreude. Im Video selbst sah er einen Chirurgen, der sich mit Skalpell an einem Gesicht zu schaffen machte, bis er nach ein paar Minuten etwas undefinierbar Blutiges in seiner linken Hand hielt. Wie ein Revolverheld wirbelte er dort mit dem ultrascharfen Skalpell vor der Kamera und legte es lässig auf den Tisch. Er kniff dabei ein Auge zu und gab seinen Kommentar ab:

      „Befreien sie sich auch von dieser Überflüssigkeit, die in ihrem Gesicht darauf wartet, entfernt zu werden. Ich als erfahrener und weltweit anerkannter Plastik Chirurg entferne ihre Lachmuskeln zu einem Preis, den auch sie bezahlen können. 10 Prozent Skonto bei Barzahlung oder auf 36 Monate bei kleinster Anzahlung ohne zusätzliche Prozente. Sie wissen doch selbst, Lachen ist Luxus und Luxus können wir alle nicht mehr gebrauchen. Schonen sie sich und seien sie immer entspannt, denn Lachen verursacht Stress. Ihr Hormonhaushalt dankt es ihnen. Geben Sie sich einen Ruck und werden sie ein Gewöhnlicher. Machen sie es sich nicht unnötig schwer. Leben sie ohne zu lachen. Auch dann, wenn es irgendein Comedian von ihnen erwarten sollte, nur weil er einen saudummen Spruch drauf hatte und sie fragt: „Hey Alter, hast du dein Smiley Face in die Arktis geschickt? Okay, deswegen gehören die Eisbären wohl zu den bedrohten Tierarten, nur weil dein Lachen die Unfruchtbarkeit potenziert. Ha, ha!“ Bleiben sie ihrer neuen Lebensphilosophie treu und schauen sie wie Arnold Schwarzenegger in Terminator 1, denn nur so werden sie von ihren Mitmenschen akzeptiert und ihre Kinder lieben und achten sie. Ihr neuer Führungsstil findet Beifall auf höchster Etage. Melden sie sich gleich an und besuchen sie mich auf www.vielefreunde.com. Seit 17 Minuten lieben und liken mich 25.799.678 Menschen und das bestimmt nicht ohne Grund. Werden auch sie mein Freund. Ihr Doktor Hatemaker. Ich sehe Sie hier. Bye, bye“

      Hallo Johnny, erinnere dich, warum du hier bist. Du erinnerst dich doch, oder? Denn nur dann, wenn du dich erinnern kannst, warum du hier bist, erst dann wirst du einen Sinn in dem erkennen, was du hier siehst und was du hörst.

      John dachte nach, wann er das letzte Mal gelacht hatte. Es kam ein Junge auf ihn zu. Er hatte eine Klingeldose in der rechten Hand, weil ihm die linke Hand fehlte. An der Dose war ein Papier angebracht mit den Worten „Kriegskind bittet um Spende“. John griff zum Geldbeutel, den er nicht dabei hatte. Er zuckte seine Schultern, wollte etwas sagen, aber das Kind war schon verschwunden. Eine dunkelhäutige Frau mit leblosem Gesicht und einem lila Stirnband um ihre langen schwarzen Haare kam auf ihn zu. Sie hielt ein Demoschild in ihren Händen mit der Aufschrift „Go for Zombie. Sag ja zum Leben!“ Ihr indischer Sari war blutbespritzt, sie hatte ein Messer im Bauch und sprach zu John: „Bitte unterstützen sie unsere Bewegung. Stimmen Sie für die Zombiefizierung der bedrohten Frauen Indiens, nur so haben wir ein Recht auf eine sichere Zukunft.“ Sie ging weiter. „Hey Mister, ich putze ihnen für wenig Geld die Schuhe. Meine Eltern und Geschwister müssen etwas zu essen haben.“ sprach ein kleines Mädchen, das Schuhputzlappen in ihren Händen hielte. John nickte und sagte „Oh young Lady, ich habe meine Schuhe zwar erst heute Morgen geputzt, aber bitte“ zeigte auf seine Schuhe und bemerkte, dass er überhaupt keine trug. Socken auch nicht. Er bekam einen Schrecken und wurde rot im Gesicht. Das Mädchen kicherte und bot ihm an, seine Füße zu waschen. John hatte nicht die saubersten Füße. Er lief nämlich von Anfang an barfüßig und war nur mit dem Schlafanzug bekleidet, mit dem er im Krankenhausbett geschlafen hatte, was er hier aber nicht wissen konnte.

      Hmm John, lass mich mal überlegen. Ich schätze, dass dir diese Situation nicht passt. Dir muss das peinlich sein, verdammt peinlich. Okay, vielleicht etwas meine Schuld. Aber, ich musste schnell handeln, um dich hierher zu holen. Alle hundert Jahre fallen hier mehrere Feiertage auf einen Tag. Ja, da war mir jedes Mittel recht. Ich musste dich aus deinem gemütlichen Bett schmeißen. Wie schade. Du wirst aus deinem Schlaf geholt und sollst sofort nachdenken. Denk dir nichts dabei, oder doch? Nun, warum bist du hier? Also, ich gebe mir die größte Mühe, dir das Lernen beizubringen und das gestaltet sich manchmal als sehr schwierig. Warum wohl? Weil du A. nicht mehr der Jüngste bist und B. meine Art, dich auszubilden, ziemlich heftig, unmenschlich und manchmal auch ganz schön verrückt ist. Das gebe ich ja zu. Aber, je mehr ich dich leiden lasse, desto eher prägen sich viele Dinge in dir ein, die du sonst für überflüssig gehalten hättest. Wie sagtest du ab und zu? Überflüssig wie ein Kropf? Nein, ich gehöre nicht zum Club des Marquis de Sade, auch wenn ich manchmal Neigungen dazu verspüre. Also noch einmal, als geduldiger Ausbilder mache ich dich immer wieder auf folgendes aufmerksam: Verdammte Scheiße, Kadett, benutze deine Augen und Ohren!! Okay, okay, der militärische Ton mag unkommod sein. Stimmt. Aber verdammt noch mal!! Ich will an deiner Sensibilität feilen. Kapiert? Ich meine es doch nur gut mit dir. Ach ja, stopp, stimmt ja. Diesen Spruch kannst du auch nicht