Marie J. D. Caulfield

Indien, ich komme


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einen Ring sah Cartoon John nun am Himmel. John lächelte und verfolgte die Bewegung, die dieser Ring machte. Aus diesem Ring formte sich ganz elegant und heimtückisch ein Gesicht. Johns Augen wurden größer und sein Lächeln wurde flacher und flacher, bis aus seinem lächelnden Gesicht ein ängstliches Gesicht wurde. John sah nämlich, dass dieses Gesicht die feinen Umrisse seines Daddys bekam. In diesem Fall schaute dieses Daddy-Kringel-Gesicht ihn sogar verdammt ärgerlich an. So ärgerlich schaute ihn immer sein Daddy an, wenn er eine 5 von der Schule nach Hause brachte. Dann nämlich war es Zeit für Little John, in die Küche zu gehen, um den riesengroßen Teppichklopfer zu holen, den sein Daddy ihm dann kräftig auf seinen Hintern schlug. Sein Daddy wiederholte beim Schlagen die Worte: „Lerne, mein Sohn, lerne, mein Sohn. Nur so kommst du durchs Leben, mein Sohn. Lerne“ Dabei schaute sein Dad sehr, sehr ärgerlich. Und dieses Gesicht kam aus dem Himmel hinab, hinunter zu Cartoon John. Es sprach auch dieselben Worte. „Lerne mein Sohn, lerne, mein Sohn. Nur so kommst du durchs Leben.“ Cartoon John schaute stark verängstigt zu King, dann zu Papageno. Er wollte gerade rufen: „Bitte helft mir doch“, als das Gesicht seinen Mund öffnete, und der Mund groß und größer wurde. Der Mund verzog sich, nicht um Kringel zu blasen, sondern um zu saugen. John wurde von diesem Sog erfasst und das Gesicht nahm den 58 jährigen gezeichneten Amerikaner hoch in die Luft. John wurde förmlich wie von einem Wirbelwind schnell gen Himmel gesaugt. Die Wolke, eben noch Gesicht, schlängelte sich nun um John von den Füßen bis zu seinen Haaren und entführte ihn aus dem Land Lebendig Wasser. John wurde durch die Pforte, vor der er am Anfang von der jungen Kaiserin begrüßt wurde, in eine andere Welt befördert, in der der liebe und lächelnde John nichts mehr zu lachen hatte. Vorbei mit der glücklichen Welt, in der die Sonne ohne Wolken unendlich schien, in der alle Lebewesen, alle Tiere und Pflanzen über und in dem Wasser glücklich waren, in der dieser heillose Ich-will-hier-unendlich-leben-und-nie-sterben Zustand jeden ansteckte, der hierher kam. Nein, lieber John Feelgood, du hast nun die süßesten Schokoladenseiten, die herrlichsten Sonnenseiten des Lebens, in dem das meiste frei erfunden ist, kennengelernt.

       20. Das neue Leben, der erste Versuch

      Und so passierte es an einem regnerischen Tag um 14.36 Uhr, dass sich die Finger des im Bett liegenden John Feelgood rührten. John war Rechtshänder, also kam von der rechten Hand die erste abtastende Bewegung in Richtung Radio. John liebte die Musik zu jeder Tages- und Nachtzeit. Okay, er hatte gut geschlafen und wie jeden Morgen wollte er die LCC Radio 3 Frühaufdreher hören. Die Moderatoren im Studio waren zu Dritt hinter den Mikros. Eine Frau und zwei Männer. Alle Drei brachten News, seriöse und lustige Unterhaltung und Gags von 5 – 9 Uhr. Er bewunderte sie. Sie waren von Anfang an bestens gelaunt. Der eine Typ sprach im ausgeprägten Dialekt und gab seinen Sprüchen sinnvolle Lachpointen. Die hatten Niveau. Aber an diesem Morgen hatte das Radio gestreikt. Er lag auf dem Rücken, erreichte in dieser Körperlage nicht seinen Nachtschrank, also wollte er sich auf die rechte Seite drehen, um den Radiowecker selber einzuschalten. Aber irgendetwas hinderte ihn daran, sich zu drehen. Er musste nachdenken. Und das schon am frühen Morgen. Wie sonst auch, wenn er nachdenken musste, ging er über die Stirn und rümpfte dann seine Nase. Heute aber klappte das nicht, da John arge Probleme hatte, seine Stirn überhaupt zu berühren. Es war da etwas hartes, was seine Stirn berührte. Also musste er wohl oder übel seine Augen aufmachen. John erschrak, als er nicht das gewohnte Fenster sah, in das die Sonne jeden Morgen hereinschien. Er sah nicht seine Regalwand, in der er seine Rock and Blues CD `s liebevoll eingeordnet hatte. Er konnte nicht den Sternenhimmel an seiner Decke erkennen, den er mal vor Jahren da aufgemalt hatte. Stattdessen sah er in ein Gesicht, in ein fremdes Gesicht. Dieses Gesicht lächelte ihn an. Spätestens jetzt war John wach. Der Schrecken wurde größer, als er dieses Gesicht, ob lächelnd oder nicht, nirgendswo einordnen konnte. Es war ihm fremd, jetzt bekam er Angst. Und immer dann, wenn er Angst bekam, packte er sich an sein linkes Handgelenk, um den Puls zu prüfen. Das mit dem Puls haute auch nicht hin. Was war denn nun schon wieder? Er schaute auf seine rechte Hand und erblickte den Grund, warum er seinen Puls nicht fühlen konnte. Eben, weil seine rechte Hand verbunden war. Jetzt wurde ihm das alles zu viel. „Was ist hier los? Was passiert hier? Was habt ihr mit mir gemacht? Wer sind Sie überhaupt? Verdammt, wer sind Sie? Wo bin ich hier? Wo ist das Radio? Ich höre keine Musik? Hilfe!! Hallo. Hört mich denn keiner? Hilfe!“ John erkannte auch seine eigene Stimme nicht mehr. Diese Stimme war nicht seine. Jetzt hatte er das Gefühl, auszuflippen. „Hey, Hilfe, verdammt. Bitte helfen Sie mir“ Das für ihn fremde aber lächelnde Gesicht beugte sich über ihn, ihre Hände fassten sehr sorgsam seine Schultern an und mit einer mütterlich behutsamen Stimme sagte es: „Ruhig, ganz ruhig bleiben, Mr. Feelgood. Es passiert Ihnen nichts. Bleiben Sie ganz ruhig. schhhhh“ John fühlte ihre feminine Natur. Frauen hatten schon immer eine ganz besondere Ausstrahlung auf ihn gehabt. Für John hatte sich das Leben meistenteils mit und unter Frauen abgespielt. Aber erst viel später sollte es sich herausstellen, dass Frauen die Hauptrolle in seinem Leben spielen würden. Die Frau im Zimmer, die neben seinem Bett stand, wirkte auf ihn beruhigend. Ganz langsam sortierten sich seine Gedanken. Er schaute sich genauer seine rechte Hand an, dann seine Umgebung, dann beäugelte er diese Frau von oben bis unten und erkannte, dass sie eine Krankenschwester sein musste. Der Raum, in dem er lag, musste definitiv ein Krankenzimmer gewesen sein. Die helle, fast sterile Wand- und Deckenfarbe, der Geruch und das Bett neben ihm, in dem auch ein Mann lag, ließ nur diesen Schluss zu. John hatte sich etwas abgeregt, blickte die Schwester an: „Hi, wie komme ich hierher? Was ist mit mir passiert? Seien Sie bitte so nett und erzählen Sie es mir. Bitte erzählen Sie mir alles.“ fragte er Schwester Clarissa, die bereits im 1. Monat schwanger war. Sie hatte viele Jahre Erfahrung im Umgang mit Patienten, die schwerverletzt im Krankenhaus lagen und sie war sich der kranken Situation bewusst, in der Mr. Feelgood war. Er hatte unter anderem eine schwere Kopfverletzung erlitten, die ihm vorübergehend sein Kurzzeitgedächtnis lahm legte. So fragte er jeden Tag, nach dem Wecken und nach dem Mittagsschlaf, Schwester Clarissa nach den Gründen seines Krankenhausaufenthaltes. John lag seit 8 Wochen in der Sherwood County Universitätsklinik, wovon er die ersten 6 Wochen als beatmeter Patient auf einer Intensivstation verbrachte, dessen Überlebenschancen zu der Zeit gering waren. Er hatte es aber geschafft, er hatte den ersten Kampf gewonnen. Der Tod blinzelte ihm zu, John blinzelte zurück. Die Nebenwirkungen des Schädelhirntraumas aber waren ausgeprägter Natur. Nicht nur, dass er jeden Tag nach dem Wecken und nach dem Mittagsschlaf Schwester Clarissa dasselbe fragte, warum und wieso er im Krankenhaus lag, dazu kam eine ausgeprägte Logorrhoe. Unterhielt sich John, dann war er stets der perfekte Gesprächspartner in Form eines Monologes. Schwester Clarissa musste die letzten drei Wochen jeden Tag dasselbe erzählen, warum Mr. Feelgood auf Station lag. John wollte jeden Tag alles von neuem wissen. Schwester Clarissa hielt sich aber trotz seiner charmant gehaltenen Bitten an ihre Vorschriften und überließ dem Stationsarzt Dr. Redroof diese Auskunft. Bei der nächsten Visite würden die Diagnosen zur Sprache kommen. John indes schaute sich die Schwester genauer an. Wie sich eben ein Mann eine Frau genau anschaut. Er fing bei den Haaren an, die aus hygienischen Gründen streng zusammengebunden sein mussten. Er stellte sich gerade vor, wie diese Haarpracht wäre, hinge sie lang an ihren Schultern hinunter. Sie hatte dunkles Haar und die Phantasie von John verlieh diesem göttlichen Bild einen Windstoß.

      Oh, oh Johnny, lieber John Feelgood, du liegst hier als schwerverletzter Patient im Bett. Denke daran. Dein Kreislauf wurde gerade mal eben stabilisiert. Mehr nicht. Es reicht nur so weit, dass du in Lebendig Wasser als Cartoon Figur aufrecht gehen kannst. Also, jeder ausgeschweifte Gedanke kostet dir hier im Bett eine zusätzliche Rhythmusstörung.

      Johnnys Augen aber wanderten vom Gesicht hinunter auf ihren Oberkörper, der mit jedem Model konkurrieren konnte. Wie ein rauschender Fluss sich seine kurvenreiche Wege durch das Gebirge ebnet, wie eine Schlange sich durch die Steppe bewegt, all das spiegelte sich durch die zart angehauchten Kurven dieser Frau wider. Diese körperlichen Betonungen verliehen ihr die Erscheinung, nicht nur ihre Brüste, nein, ihren ganzen Körper von der Göttin Venus bekommen zu haben.

      Johnnys Gedanken schweiften in tänzerische Gefilde ab. Wow, jetzt einen Blues mit ihr schwofen. „A whiter Shade of Pale“ von den Procol Harum im verrauchten und gut besuchten Keller einer Fabrik am Stadtrand.

      Der Raum ist voller Menschen. Die Band spielt ihr seelisches Können auf den hochsensiblen Instrumenten, das musikalische Genie Gary Brooker