Eike Stern

Der Tod des Houke Nowa


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lächelte milde. „Oh. Vermutlich schrieb er sich bei der Karawane ein, die zwei Tage vor uns Medina passierte.“

      Er trat dichter an Houke heran und senkte die Stimme. „In dem Fall habe ich üble Neuigkeiten. Bei Omars Oase gab es ein Massacker. Sämtliche Geier, Schakale und Hyänen von hier bis Damaskus haben sich eingefunden.“

      estürzt starrte Houke auf das lebensfeindliche öde Sandmeer hinaus und verzog den Mund, als hätte ihm etwas den Appetit verdorben. Die heimliche Befürchtung, räuberische Beduinen könnten das Ausbleiben der überfälligen Gewürze verschulden, hatte sich erschütternd bewahrheitet. Der Verlust einer kompletten Sendung dürfte die Geschäftsbeziehung mit ihrem Mann in Babylon erheblich trüben. Weil nämlich sein Vater mit dem, was Kardamon und Pfeffer aus Babylon einbrachte, das Olivenöl bezahlte, das er seinerseits per Karawane in den Fernen Osten sandte.

      Houke war alt genug, es nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und zu jung, die wahre Tragweite für die eigene Person so schnell zu erfassen. Für gewöhnlich oblag ihm, den Händler für Gewürze abzufangen und ins Haus der Väter einzuladen. Nun fiel ihm zu, die folgenschwere Nachricht dem Vater zu überbringen, und sein Freund merkte, wie einsilbig er wurde und verabschiedete sich.

      Langsam breitete sich schon das Zwielicht in den verwinkelten Gassen aus, die hinter dem Stadttor auf die Hauptstraße mündeten. Wie immer zu dieser Stunde spielten die nackten Kinder aus dem Gesinde vor dem Hauseingang mit ihren Murmeln.

      Sein greiser Vater verbrachte die Stunde des Dämmerns gewöhnlich im Garten des Innenhofs, unter offenem Himmelszelt. Der Geruch reifender Früchte lag in der Herbstluft, und der verflieste Säulengang versank allmählich im Schatten der Nacht. Hartak, der Patriarch, der die Fäden im Haus Nowa zog und das Siegel verwahrte, saß vorgebeugt auf der Steinbank, die Hände im Nacken gefaltet, die Augen düster gesenkt auf das vergilbte Laub zwischen dem Immergrün.

      Houke fasste sich ein Herz, berichtete also und schloss mit dem Gedanken, „demnach dürfen wir davon ausgehen, unser Olivenöl erreichte unbeschadet Egibis Lagerhaus. Uns trifft kein Verschulden, da wir unseren Teil des Geschäfts erfüllt haben. Du solltest froh sein, Vater.“

      Ohne mit einer Wimper zu zucken hörte der Alte ihn an und musterte Houke mit einem ganz und gar ungläubigen Ausdruck um den Mund, wie im zarten Knabenalter, als er allen Ernstes fragte, ob andere Städte auch einen so großen Mond hätten. „Froh?“, wiederholte er tonlos. „Das wäre zuviel. Wenigstens haben wir Klarheit.“

      Dann hob er die Stirn und zog scharfsinnig die Brauen hoch. „Es ruiniert uns nicht, mein Sohn, wenn wir Anstand zeigen und uns den Schaden mit Egibi teilen. Nur leider schwindet mein Augenlicht. Eine Reise in den Fernen Osten ist für einen gebrechlichen Mann wie mich zu beschwerlich. Du wirst das richten müssen. Geh also zum Haus der Astarte-Priesterin, denn die geweihten Tage, in denen Astartes Stern heller blinkt, stehen vor der Tür und der Schirmherrin der Seefahrer und Händler gebührt ein Opfer. Nimm unser bestes Lamm, dann wird sie ein hütendes Auge auf dich werfen. Und ist das getan, schreibe dich bei der nächsten Karawane ein. Wie soll Egibi sonst erfahren, was unseren Handel hinfällig macht? Mal sehen, ob du zu einem Kaufmann taugst.“

      Betreten schluckte Houke, hatte er doch Freunde, mit denen er täglich abends loszog, und der Vater nahm sich bedenkenlos heraus, sein Leben auf den Kopf zu stellen. Unter der Vorstellung, die Beduinen könnten sich in der Bergwildnis eingenistet haben, wurde ihm mulmig. Die unheimlichen Wüstenkrieger galten als Geißel des Handels, und jede von hier gen Osten aufbrechende Karawane zog auf Gedeih oder Verderb an der Oase von Omar vorbei.

      Geistesgegenwärtig entfuhr ihm, „das kann mich den Hals kosten. Wozu? Die Eypter haben einen vergessenen Kanal wieder schiffbar gemacht, heißt es, über den sie in das südliche Meer gelangen. Und du verfügst über einen Seemann wie Larban. Schick ihn mit der Holka nach Babylon.“

      „Ach Larban“, schnitt ihm sein Vater gereizt das Wort ab. „Du redest hohl daher, es gilt, zu handeln. Zeig wozu du fähig bist. Jetzt bist du an der Reihe, Houke. Du hast das Alter, muss ich sagen.“

      Wie ein Urteilsspruch klang es und traf ihn mit Wucht, obwohl sich Houke bemühte zu lächeln. „Die Sache bei Egibi zu klären traue ich mir zu“, wandte er hüstelnd ein. „Aber ich ertrage einfach keinen Seegang. Mir wird übel, sobald ich ein Schiff besteige. Der Magen, weißt du…“

      Sein Vater wollte das nicht hören. „Schütte was hoch will über die Fische und gönne es denen. Das gibt sich, mein Sohn.“

      Houke fühlte sich beengt im Brustkorb. Es raubte ihm die Ausrede. „Haben wir keine Rücklagen?“ Vorsichtshalber langte er in die Hüfttasche, um nicht beim Hinsetzen versehentlich seinen Hamsterfreund zu zerquetschen.

      Sein Vater wies mit dem Kinn auf die Elefantenzähne, die der Sitzecke am Immergrünbeet einen würdevollen Rahmen verliehen und sich fabelhaft als Rückenlehnen eigneten, und Houke lächelte erleichtert. „Das reißt uns doch schon raus.“

      Mit strengen Augen hielt ihn Hartak Now fest. „Es ist die Mitgift deiner Mutter, ich wollte nie daran rühren.“

      Dessen war sich Houke bewusst, doch ganz sachlich betrachtet, drohte der Ruin, und er überlegte: „Woher stammen die weißen Figuren, die sie im Hafen feilbieten?“

      Abschätzend zog er die Hände auseinander. „Bei der Strandtreppe sitzt immerzu ein gewievter Junge in einem Lammfell, der bietet so große gewölbte Elfenbeinbrücken an, mit einer Reihe darüber wandernder Elefanten oder Pyramiden aus winzigen Affen, ganz haarfein gearbeitet. Wer das zu schnitzen vermag, dürfte einen Batzen Handelsmetall für so einen Stoßzahn geben.“

      Sein Vater rieb sich andächtig das spitze Kinn, ehe er sich erhob und seinen Sohn an sich drückte. „Womit wir die nächste Lieferung Kardamon anzahlen können.“

      Dann legte er ihm vertrauensvoll die Hand auf die Schulter. „Unten, in irgendeinem Winkel der kalten Gruft lagern noch mehr. Es müssten acht Stoßzähne zusammenkommen. Meinen Segen hast du, nur packe es an. Und packe es bald an, mein Sohn, denn wir müssen uns bei Egibi melden. Seine Gewürze sind die Quelle unseres Wohlstands.“

      Houke fasste sich an den Kopf, erwog, dem Vater die Füße zu küssen und sich aufs Betteln zu verlegen, aber der wusste ihn bei der Würde zu nehmen. „Heute Abend, mein Sohn, da wird gefeiert. Du wirst im Mittelpunkt stehen. Ich denke, Alda wird dich danach mit anderen Augen sehen.“

      Bei dem Namen schlug sein Herz höher, und ihm schoss das Blut in die Wangen. Nur leider bemühten sich auch sein Vetter Mazad und Schnotto um Alda, und sie schien zu wissen, was sie Wert war. Es gefiel ihr, für alle drei der Sonnenschein zu sein. Allerdings machte sie auch nie einen Hehl daraus, dass sie eben nur eine Freundin sein konnte. Sie wusste genau, warum sie sich nicht festlegte. Jedenfalls würde er die Gelegenheit, ihr zu imponieren, beim Schopf fassen.

      Für die Hühner des Anwesens wurde es ein schrecklicher Tag. Drei Dutzend mussten dran glauben. Die meisten dienten als Bordverpflegung, ein Teil für das Abschiedsmahl. Da man nach Flügeln rechnete und 15 für das Mahl benötigte, widerfuhr einem Tier, dass ihm über die Tischkante ein Flügel abgerupft wurde. Houke hatte immer einHerz für Tiere und konnte sich eines Schauderns nicht erwehren. Dann und wann schweifte seine Aufmerksamkeit zur Angebeteten hinüber. Ein milder Zug und Grübchen um die Wangen machten Aldas Liebreiz aus. Obendrein das rabenschwarze Haar, im Nacken gebunden, sodass es ihr bis auf die weiblichen Hüften floss. Wie die meisten Weiber trug sie einen schlichten mausgrauen Leinenkittel, aber wo sie sich aufhielt duftete es dezent nach Ambra. Unbestritten war sie die Königin des Abends, sowohl für Houke als auch für Schnotto und Mazad, während der Feuerschein von drei Ölschalen das Schnitzwerk in den Ecken des Saals in unruhig flatterndes Licht hüllte und es bald nach Fisch, Fleischresten und Wein roch.

      Aldas Anwesenheit genügte dem tonangebenden Vetter, mit dem er manchmal durchs Tavernenviertel bummelte, sich gehörig aufzublasen. „Jetzt mal ehrlich, wie hast du deinen Vater dahin gebracht, dich auf Fahrt zu schicken?“, fragte er herausfordernd.

      Mit derartigen Spitzen aufzuwarten, darauf war Houke eigentlich vorbereitet. Er kannte ja das Großmaul Mazad. Natürlich sah der, dass