Eike Stern

Der Tod des Houke Nowa


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erwiderte der Glatzkopf trocken. „Ich wünschte, ich hätte wenigstens selbst ein Enterbeil.“

      Langsam wurde der Takthammer der Bireme hörbar, und sie zog in scharfem Rudergang mit ihnen gleich. Wilde Gestalten sammelten sich um den Kielbogen, mit Messern im Mund und der Enteraxt in der Faust, und in Houkes Magen rumorte die Angst. Jeder wusste, sie legten vermutlich wenig Wert auf Gefangene, und suchte hitzig nach irgendetwas, das sich eignete, damit zuzuschlagen. Houke hatte das bronzene Kurzschwert seines Vaters zur Hand, sein Freund Schnotto ein weniger schlagkräftiges. Andere waren auf ihr Messer angewiesen, von denen Larban noch rasch ein Dutzend verteilt hatte. Schon schwangen sich die ersten Enterer aufs Schiff, und ein drahtiger Seemann drang mit einem Sichelschwert auf sie ein. Houke fing den Hieb auf, dass es klirrte und er erbebte. Aber sein Gegner drehte ihm routiniert den Arm nach hinten, bis er die Klinge fallen ließ. Als er aufschaute, wälzte sich sein Freund mit aufgeschlitzter Kehle am Boden und spie zuckend Blut. Für diese rauen Gesellen fand sich außer Larban kein einziger ernsthafter Gegner, und obwohl ein Großteil bald kapitulierte, machte man die meisten mit exakt plazierten Stößen oder Streichen einfach nieder. Auch Larban zwangen sie schließlich die Hände auf den Rücken, das entschied den Kampf. Nur Houke und ihn ließ man am Leben, wohl weil sie auffällig kräftig gebaut waren. Den Grund für die einkehrende Totenstille lieferte ein blondbärtiger Hüne in einem vom Wind geblähten, weißen Mantel und blanker Phrygermütze, bei dessen Erscheinen alle anderen die Waffen senkten. „Ich bin Suteman“, brüllte er. „Und ich stelle euch, die ihr auf diesem Kahn gearbeitet habt, vor die Wahl: Schließt euch uns an, oder geht mir aus den Augen.“

      Es bedeutete den Sprung ins Meer, und Houke konnte froh sein, dass man ihn für einen gewöhnlichen Decksmann hielt. Doch er rang um Atem. Ihm bibberten die Knie in seiner Todesangst, und er wählte den Weg der Schande, stellte sich geschwind zu Larban.

      Ein eigentümlich entspanntes Lächeln umspielte den Mund des Piratenhäuptlings und verlieh ihm einen grausamen Zug. Prüfend blickte er Houke in die Augen und fuhr ihn kehlig an. „Du willst es bei uns versuchen? Na dann, beim Zerberus, zeigt mal, was in euch steckt!"

      Er schaute vielsagend am Mastbaum empor. „Holt das Segel runter. Mal sehen, wie ihr euch anstellt."

      So kam es, dass Houke hinter Larban die Strickleiter am Mastbaum erklomm, und er bat ausgerechnet ihn, den er vor einer Stunde noch hasste: „Im Namen meines Vaters, der dich zu dem machte, was du bist - bitte hilf mir. Was muss ich tun?“

      Larban hatte sich vom Decksmann hochgearbeitet und wies ihm die Riemen, die das Segel an der Rahe hielten. „Einfach den Knoten lösen, und wenn du ihn durchbeißt.“

      Das rettete Houke sein Leben. Das Tuch schlug flatternd auf Deck, und er konnte mit klopfendem Herzen hinabturnen. Da, wo sein Freund verblutet war, blieb eine glitschige Lache vor der Reling zurück. Man hatte Schnotto, ebenso wie die anderen Toten, einfach über Bord geschmissen. Es kostete Überwindung, dem ehemaligen Schiffsführer „danke“ zuzuflüstern, und er kam sich charakterlos vor und schämte sich seiner Schwäche. Aber danach war alles anders. Die um den Mast verstreuten Seeleute nickten ihnen anerkennend zu, und er konnte aufatmen. Inzwischen gingen einige Leute dazu über, die erbeuteten Stoßzähne aus dem Laderaum zu ziehen. Andere reichten sie denen zu, die auf der Galeere verblieben, und auch das Segel nahm diesen Weg. Houke sah ohnmächtig zu, da klopfte ihm ein Bursche mit auffällig starker Nase und jugendlichen Zügen freudig die Schulter. „Ich bin Joktan, bis eben der Jüngste in der Mannschaft." Er hatte die unergründlichen Augen eines Puniers. „Du hast mich aus meiner Rolle erlöst“, fügte er hinzu und grinste diebisch.

      Houke fühlte sich schwindelig. Alle Hoffnungen, die sein Vater in ihn setzte, platzten wie eine Seifenblase, sein Leben hatte jeden Sinn verloren. Er fühlte sich hilflos wie ein verwöhnter Junge, den das Schicksal ins kalte Wasser beförderte, und so war es ja auch. Keiner musste ihm sagen, dass er für das Leben auf einem Segler ohne Flagge nicht taugte. Betrachtete er sein bisheriges, unbeschwertes Dasein, überkam ihn Wehmut, denn nun gehörte ihm bloß noch, was er am Leib trug. So schlug er in die gereichte Hand ein. Als das brennende Schiff seines Vaters in der Dämmerung entschwand, saß Houke mit Joktan am Mastbaum eines anderen Schiffes, wo haufenweise aufgerollte Seile lagen.

      „Vor knapp einem Vierteljahr“, erinnerte sich Joktan, „trat ich eine Seereise an. Ich wollte nach Sardes, in der vorderen Westsee. Vor dem Mündungsdelta des Nils kreuzten wir den Weg dieses Schiffes, und im Vertrauen, ich reckte gleich die Hände hoch, zum Zeichen der Aufgabe. Dafür schäme ich mich nicht, wäre schließlich tot sonst. Fiel mir schwer, in dieses Leben hineinzufinden, aber man lernt zu kämpfen und setzt alles dran, irgendwie zu überleben. Keiner zwingt dich, die härtesten Gegner anzugreifen. Du musst dir beim Entern einen ausgucken, der schwächer ist. Dafür kriegst du einen Blick, wirst schon sehen.“

      Er zwinkerte wie mit allen Schlichen vertraut, und Houke verstand. „Eigentlich ist das feige, aber nicht unklug.“

      „Du musst, bricht der Spektakel los, den Überblick bewahren“, riet ihm Joktan.

      Houke überdachte den Rat und fand das vernünftig. Aber ehe der nächste Tag anbrach, sollte er eines Besseren belehrt werden. Der Vollmond badete alles auf Deck in Silber, für Mitternacht war es seltsam hell. Houke lag zusammengekrümmt am Mast und versuchte vergeblich, innerlich zur Ruhe zu kommen - ohne sich bewusst zu sein, dass er unter allen, die an Deck schlafen mussten, den besten Platz belegte. Am Mastbaum spürte man den Seegang kaum, und er wäre bald eingenickt, da stellte sich ein nackter Fuß an die Seile, und er schaute an Joktans behaarten Beinen hoch. Hasdrubal aus Tyros leistete ihm Gesellschaft; einer von denen, die seit Jahren zur Mannschaft gehörten. Sein Kinnbart duftete stark nach frischer Salbe. Von der Kleidung her hätte Houke ihn für einen vornehmen Menschen gehalten, was leider trügte.

      Auch ein junger Armenier, den er der Nase nach für einen Hebräer gehalten hätte und der aus Karkemisch stammte, gesellte sich mit einem angenehmen Lächeln hinzu, sowie ein weißhaariger Greis mit Tränensäcken unter den Augen, dem die Verschlagenheit in den Augen lauerte. Es war kein Zufall, wenn sie hier am Mast zusammenfanden. Für diese vier gab es in der Nacht nach einer Kaperfahrt ein traditionelles Spiel. Hasdrubal zog geschwind einen Kreidestrich aufs Deck, und sie versuchten von einem bestimmten Punkt einen Gegenstand, der ihnen teuer war, über die Linie zu werfen. Wer am dichtesten an der Linie blieb, konnte die Gegenstände, die weiter entfernt landeten, gelassen einsäckeln. Mit wertlosem Plunder aufzuwarten hätte niemand auch nur zu denken gewagt, und Hasdrubal versuchte es mit einem polierten Stück Bernstein. „Hier“, bemerkte er lachend, „ein Andenken an Sardes.“

      Ein verächtliches Lächeln ging um, und die kleine Gemme aus Obsidian, die der Armenier warf, rutschte dichter an den Strich, keine Fingerkuppe hätte noch dazwischen gepasst. Houke überlegte, was er entbehren könnte, da kullerte ein walnussgroßes Jadestück zur Linie. Houke starrte Joktan offenen Mundes an. Sein Freund Schnotto hing an diesem Stein, und er musste unwillkürlich an eine gemeinsame Freundin mit rabenschwarzem Haar denken, um die er den Freund heimlich beneidete. Leise fragte er: „Hast du den, dem das Jadestück gehörte, selber getötet?“

      „Sonst hätte es ein anderer getan“, schnarrte Joktan über die Zähne. Und Houke musste sich bezähmen, ihm nicht vor die Füße zu spucken. Es hingegen wortlos zu schlucken hätte ihn den letzten Rest Selbstachtung gekostet. „Jetzt begreife ich, was du vorhin meintest“, fuhr er ihn an. „Du wusstest genau, du hast leichtes Spiel bei ihm und warst Schnotto überlegen wie ein Schakal dem Hasen. Mann, er ist mein Freund gewesen, und dich kann man nur einen erbärmlichen Feigling nennen!"

      Der Beschuldigte lächelte böse und erklärte den Umstehenden kaltschnäuzig: „Man sollte ihm den Mund zunähen!“

      Houke musste erkennen, wie beliebt Joktan an Bord war. Die unbefangene Sympathie, die jedem Neuen anfangs zuflog, wurde bei diesem Wortwechsel zu Asche. Die heimliche Zuversicht, früher oder später würde er sich eingewöhnen, gefror auf seinen Lippen. Er stahl sich aus ihren Augen, kauerte sich in eine Nische, vollgestopft mit Segeltuch, den Kopf in die Hände vergraben, sehnte sich nach seiner Mutter und drei liebenswerten Schwestern und dachte an die geborgene Behaglichkeit, die allein bei Lampenlicht im Kreis der Familie aufkommt. Sein putziger Hamster fiel ihm ein und Alda.