Eike Stern

Der Tod des Houke Nowa


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es, und von da ab kam es zusehends näher – bis man die Wegelagerer gewahr wurde. Dann drehten sie bei.

      „Das hilft ihnen wenig“, raunte Pollugs. Sie befanden sich unterhalb der Heckflosse, und er suchte Halt an der zum Mast führenden Stage, als auch sie ein Windstoß erfasste.

      Im nächsten Augenblick saßen sie auf einer Ruderbank und zogen zum Takthammer ihr Ruder. Houke geriet in Schweiß, und es brannte wieder heftig in den Oberarmen. Er verbiss sich jedes Aufbegehren, gab, was an Kraft in ihm steckte und hielt ohne Aussetzer den Takt. Doch die Verfolgung streckte sich hin. Nur weil Pollugs ihm zuzwinkerte, als müsse es gleich so weit sein, hielt er durch. Suteman und Hiram begaben sich schon nach vorn in den Bug, während sie noch ruderten.

      Dann wirbelte ein Enterhaken hinüber, und alle, die eben auf der Bank schwitzten, sprangen hoch und ergriffen ihre Waffen. Es war nicht schwer, mit Pollugs hinten zu bleiben, denn andere drängelten sich vor. Houke blieb keine Zeit, großartig Angst zu bekommen. In der Eile sprang er wie die anderen auf eine phönikische Galeere hinüber und merkte, da neben ihm die Leute mit Säbel und Axt um sich hauten, dieser Kampf wurde erbitterter als der um sein Schiff. Der Kaufmann heuerte zur Absicherung seiner Ladung in Knossos einige Hopliten an. Nur weil Suteman selbst wie ein Wirbelwind unter sie fuhr und im Handumdrehen vier niedermachte, ging es glimpflich ab. Und weil Hiram der Ehrgeiz beflügelte, noch mehr auszurichten, aber sechs der Mannschaft büßten den Überfall mit ihrem Leben.

      Pollugs erledigte pflichtgemäß einen der Söldner, aber er hielt sich zurück, und Houke hatte hinterher als einziger kein Blut am Schwert. Es fiel kaum auf, da alle ihre Klingen am Zeug der Gefallenen abwischten, und ihm war zumute wie an dem Tag, als ihm beim Schächten der störrische Hammel entglitt. Die Hände zitterten noch, obwohl längst alles hinter ihm lag, so aufgewühlt war sein Innerstes. Wohlweißlich blieb er bei Pollugs, während Suteman über die Toten hinweg stieg und sich breitbeinig vor die Klappe zum Laderaum stellte. Anuhlada, der hochgewachsene Schwarze in der Mannschaft, hob die Klappe, und Hasdrubal reichte ihm eine Fackel. Suteman und Hiram verschwanden die Stiege hinab und kehrten mit zwei jungen Sklavinnen an Deck zurück. „Das“, grölte Suteman, als bestünde die Ladung somit aus Gold. „Und einige Barren grobes Eisenerz! Hat sich gelohnt, Leute! Ansonsten lagern im Laderaum Unmengen fertig gezogener Kerzen. Damit sollten wir uns nicht belasten, die schenken wir Poseidon.“

      „Wozu das?“, widersprach Hiram und bleckte die Zähne. „Gib jedem zwanzig Kerzen, und ich für mein Teil habe die auf dem nächsten Markt an einem Vormittag verhökert. Die Übrigen eignen sich, uns für Jahre Licht zu spenden.“

      In dem Fall gab Suteman nach, und sie hatten danach fünfhundert Kerzen im Bauch der »Zerberus« verstaut undließen wieder einmal ein brennendes Schiff an den Klippen zurück.

      Für die, auf deren Kerbholz es ging, warf es die wesentliche Frage auf, was das Gemetzel einbrachte. Von Wert waren vor allem die Barren aus Eisenerz, auf die Suteman gleich den Fuß stellte, dazu eine mit Silber beschlagene Holztruhe mit einem zusammengefalteten Umhang aus dunkelroter Seide und einer blauen Schärpe darin. Auch einen Sack voll Goldstaub hatten sie aufgestöbert, Pantherfelle, Fächer und Straußeneier, die bei Vornehmen sehr beliebt waren - sowie das beim Fleddern der Toten zum Vorschein kommende. Man verband einander reihum die Wunden und ein unterdrücktes Tuscheln hub an. Aller Augen richteten sich auf die Frauen, die in Ketten hinter dem Kapitän warteten. Houke ahnte, was in ihnen vorging. Vermutlich stammten sie vom Sklavenmarkt und wähnten sich am Ende ihres Leidensweges. Tatsächlich sanken sie sich im ersten Moment vor Freude in die Arme, weil die Freiheit so nahe schien. Doch die wilden Gesellen, die sich um sie scharten, waren großteils halbnackt und sorgten für sofortige Ernüchterung: Narbengesichter mit abgrundtief bösen Augen, vor denen die Mädchen geknickt auf ihre Füße starrten.

      Suteman hing finsteren Gedanken nach. „Ich frage mich“, herrschte er Hiram und Hasdrubal an, „wie ihr in der Hafenmeisterei aufgetreten seid.“

      „Du meinst die Hopliten?“ Hasdrubal winkte ab. „So viele sind es auch wieder nicht gewesen.“

      Hiram verschränkte die Arme. „Du meinst, ob die Wind gekriegt haben, als wir uns nach auslaufenden Schiffen erkundigten? Wenn ja, hätten sich nicht zwölf Bewaffnete, sondern drei Dutzend im Laderaum versteckt gehalten."

      Andächtig nickte Suteman, und der Schwarze rief ihm zu: „Was ist mit den Frauen, willst du beide für dich?“

      „Ihr wollt, dass ich einen Hahn köpfe? Bedauere, ich habe keinen“, erklärte Suteman schnippisch.

      Der Schwarze grinste hämich. „Der Strich von Gestern ist noch deutlich sichtbar, einmal geht der noch.“

      Die beiden Frauen waren genau genommen Mädchen. Eine war blond und zierlich, die andere wirkte befremdend. Es war die wie Bronze getönte Haut und die mandelförmigen, schrägen Augen. Beide nestelten vor Angst an ihren Leinenkleidern. Ihr Los bei der Verteilung der Beute war unschwer zu erraten. Aber Pollugs trat selbstbewusst aus den Versammelten vor, weil er bei der Situation nicht tatenlos zusehen wollte.

      „Sie waren Sklaven und sollten ab heute frei sein. Wer anders redet ist schlimmer als der Kaufmann, der sie in Knossos erstanden hat!“

      Berstendes Gelächter brach los und gab ihm Bescheid, wie andere darüber dachten.

      Der Mann aus dem Kaukasus rief: „Was faselt der da? Man sollte ihm den Mund zunähen!“

      „Sie werden es euch danken“, erwiderte Pollugs unbeirrt. „Oder gibt es unter euch einen, der wie ein Tier seine viehischen Triebe austoben will. In meiner Heimat jedenfalls nimmt sich kein Mann gewaltsam, was nur als Geschenk wirklich gut tut.“

      Es beschämte die Leute und das war seine Absicht. Houke hätte es nicht für möglich gehalten, wie gekonnt sein älterer Freund mit Worten umzugehen vermochte. „Ihr solltet den Mädchen nicht weiter Angst machen!“ warf er der Meute vor. „Zeigt ihnen, dass auch Schwertfischer so etwas wie Ehre und Anstand kennen.“

      Suteman blickte Pollugs scharf an. „Du bist nicht der Kapitän.“

      „Sicher, Suteman – du entscheidest über das Schicksal der Weiber.“

      „So denn“, schnaubte der Kapitän. „Wir segeln von hier in Richtung Nil-Delta. Bis wir in Memphis anlegen, wird keiner ihnen Gewalt antun. Und wenn doch - wird der Mann kielgeholt!“

      Er war ein Draufgänger, stark und oft mürrisch, aber er war nicht dumm. Durch das, was ihm von Pollugs in den Mund gelegt wurde, hatte das alte Spiel um die Gunst des anderen Geschlechts an Bord begonnen, und ein väterliches Lächeln signalisierte, wie sehr er sich in seiner Rolle sonnte. „Seht ihr den Holzblock, den bei uns der Takthammer schlägt?“, wandte er sich an die Frauen. „Ihr braucht nur den Mut, euch davor zu knien. Kaleb, unser Koch und Schmied hat schon anderen den Armreif geknackt.“

      Das blonde Mädchen mit dem hochgesteckten Haar und der spitzen Nase, das zuerst von seinen Ketten befreit wurde, sprach punisch, wie die meisten auf dem Schiff. Es hatte Pollugs’ Rede gehört und suchte instinktiv Schutz bei dem und einem, der ihn wie ein Schatten begleitete. „Ich bin Semiris“, stellte sie sich vor.

      Houke fiel so rasch nichts ein, was er sagen könnte, aber das Kleid aus Leinen hing von ihren schmalen Schultern wie ein Sack, und er gab ihr das Stück Kordel, das von dem Sonnendeck am Heck des Handelsfahrers stammte.

      Sie band es sich um und lachte ihn dankbar an. „Du kannst wohl Gedanken lesen. Dabei vergesse ich ja, dass ich eine Sklavin bin.“

      „Eine Sklavin war“, verbesserte Houke.

      Nun gesellte sich auch das andere Mädchen hinzu. Nie hatte Houke eine Frau getroffen wie diese. Nie würde er diese brennenden Augen vergessen können. Sie war nicht größer als in Aschkelon die Kinder, und die Heiterkeit, mit der Semiris das Kleid um sich gerade zupfte, ermutigte sie, Vertrauen zu Pollugs zu schöpfen.

      Schnell merkte sie, der verstand wenig aus ihrem Sprachschatz, und ihre Schicksalsgefährtin nahm sie beiseite, hörte ihr zu und erklärte: „Kirsa stammt aus Batawe, einer großen Stadt am Gestade südlich des Pharaonenreiches. Kirsa wurde, wie alle vierzehnjährigen