Eike Stern

Der Tod des Houke Nowa


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an dem Tag als meine Mutter starb. Kirsa ist vor vier Tagen siebzehn geworden.“

      „Du sprichst zwei Sprachen?“, staunte Houke.

      „Nur das Phönikische richtig“, erklärte Semiris, „aber wir sind aus dem gleichen Stall. Ich kenne ihre Geschichte.“

      Pollugs schaute sich beunruhigt um. Die Tatsache, dass die Ziele der allgemeinen Begierde sich mit keinem außer Houke und ihm abgaben, trug den beiden Freunden den Groll der übrigen Mannschaft ein. „Das hat Folgen“, raunte Pollugs.

      „Was meinst du?“, fragte Semiris betroffen.

      Pollugs lächelte entschuldigend. „Nichts. Es genügt bloß nicht, die Leute bei ihrem Ehrgefühl zu packen. Denen etwas von Anstand zu erzählen, hätte ich mir schenken können.“

      Semiris zuckte hilflos die Achseln. „Was soll ich denn tun? Du machst mir Angst.“

      Auch Houke vergewisserte sich über die Schulter, wie die Stimmung bei Sutemans Leuten war, und er merkte nicht, wie Semiris ihn mit Herzklopfen entzückt betrachtete. Pollugs mochte ein nettes, wenn auch ernstes Gesicht haben, sein schulterlanges Haar war schon schütter und an den Schläfen ergraut. Dem Alter nach hätte er ihr Vater sein können. Houke war jung und unverdorben, und was er bei den Schwertfischern erlebte, gab seinem Gesicht den nötigen Ernst, der ihm früher fehlte. Der breiten Stirn und seinen Augen aus Bernstein wohnte eine natürliche Heiterkeit inne, die ihr gut tat. Von Anfang an redete er mit ihr, als wären sie in der gleichen Gasse aufgewachsen, und sie überlegte ernsthaft, ob sie ihn von früher kennen könnte und verwarf das. Aber sie liebte dieses schüchterne Lächeln um seine Mundwinkel. Ihre Mutter, besann sie sich, hatte ihr einmal über Männer mit so ausgeprägten Lippen verraten, die seien leidenschaftlich und willensstark. Für sie war er ein ganz besonderer Mensch, und er hatte etwas gut bei ihr.

      Am Blutstrich wartete unruhig die ganze Bruderschaft, weil auch eine Truhe und vier Amphoren Wein zur Beute zählten. Houke ließ es sich nicht nehmen, ebenfalls sein Glück zu versuchen. Am Tag vorher, als er das kretische Bronzeschwert einstrich, hielten die meisten es für Zufall.

      Heute bewies er sich und allen, er hatte tatsächlich ein goldenes Händchen für dieses Spiel, und Pollugs half ihm, die mit Seide gefüllte Truhe zur Heckflosse zu schleppen.

      Als Suteman die Amphoren zum nächsten Preis erklärte, flüsterte Pollugs ihm zu: „Das ist egyptischer Wein, mein Freund, gewürzt mit Anis und Koriander, berühmt für seine süßen Träume. Das gäbe ein Fest! Komm, tritt noch einmal an.“

      Houke winkte sachte ab. „Mir ist lieber, sie halten es für Anfängerglück.“

      4. Kapitel

      Um von den Kykladen nach Egypten zu gelangen, mussten sie südwärts segeln und überquerten das Mittelländische Meer. Die Nacht, die folgte, war lau, der Mond eine dünne Sichel, da näherte sich die Bireme der Küste des Pharaonenreiches. Um diese Jahreszeit hatte der Nil in der Mündung eine ungeheure Breite, beide Ufer erstreckten sich in nebelhafter Ferne, hielt man sich in der Mitte des Stromes.

      Semiris verbrachte die dritte Nacht bei Pollugs und Houke unter der Kielflosse. Weil sie nach einem bösen Traum nicht wieder einschlafen konnte, schlug sie die Decke zurück und stand auf. Sie konnte leise das Schnalzen der Dünung wahrnehmen und dazu vereinzelt ein leises Schnarchen von verstreut Schlafenden. So geisterte sie ziellos über das Deck. Plötzlich wurde sie unter dem Mastbaum drei Gestalten gewahr, die Schatten gleich im Flüsteron miteinander stritten. Da sie keine Notiz von ihr nahmen, drückte sich Semiris in eine nahe Nische und hockte sich auf ein verknülltes Segeltuch, und sie spitzte neugierig die Ohren. Ein hochgewachsener Mann in knielangem Schuppenhemd sprach in einem assyrischen Akzent.

      „Der Alte sagte, wer sich an den Frauen vergreift, wird kielgeholt“, entfuhr dem Mann, und da er sich umdrehte, um ein Auge aufs ferne Gestade zu werfen, wo bald die Pyramiden auftauchen mussten, fiel Semiris auf: er trug die langen Haare zusammengebunden im Nacken.

      „Eben, ich lebe zu gern und bin nicht von Sinnen“, unkte ärgerlich ein hagerer Kerl, den sie, der dunklen Haut nach, zuerst für den Nubier hielt. „Also lassen wir das.“

      „Du verstehst nicht, Habiru“, beschwichtigte ihn der Assyrer.

      Auch Semiris wusste schon, dass Habiru ein übles Schimpfwort für die Egypter war, und auch, wen alle so nannten.

      „Pass auf“, erklärte ihm der Assyrer. „Die kleine Frau mit den Schlitzaugen und der platten Nase versteht kein Punisch. Was immer wir ihr antun, sie kann sich nicht mitteilen. Sobald einmal ihre Freundin nicht bei ihr ist, werde ich nach Pollugs rufen. Und kommt er, greifst du der Kleinen unter das Kleid. Wirst staunen, was die für ein Geschrei anstimmt.“

      „Oh nein, nein, nicht ich!“ Habiru wehrte händefuchtelnd ab. „Hast du Suteman vergessen, Sanherib? Sie werden mich kielholen!“

      Sanherib hieb die Faust an den Mast und sah mit geballter Rechter himmelwärts, stöhnte auf. „Großer Baal, warum hast du diesen Mann nicht als Huhn auf die Welt geschickt? Wenn er schon mit dem Gehirn eines Huhnes ausgestattet wurde.“

      Er rieb sich nervös über das Kinn. „Dann leite ich es ein und du holst Suteman. Aber so muss es ablaufen.“

      Habiru starrte ihn ungläubig an. „Dann werden sie dich kielholen. Suteman hat gesagt, wer den Frauen Gewalt antut, wird ...“

      Die Hand des Assyrers fasste auf seine Schulter und schüttelte ihn leicht. „Nein“, unterbrach er den Kleineren. „Ich werde nicht kielgeholt. Du hättest ja zuvor Pollugs gerufen, und ich werde, wenn Suteman hinzukommt, den beschuldigen.“

      „Der Alte wird die Kleine ausführlich befragen“, mischte sich der Schwarze ein.

      „Na soll er doch“, versetzte der Assyrer und lachte leise. „Ich werde ihr die Worte im Mund umdrehen, und ihr werdet bezeugen, was ich sage. Nicht ich, sondern Pollugs wird kielgeholt.“

      „Ohne Pollugs wird der Neue beim nächsten Kaperzug draufgehen“, folgerte der Egypter.

      „Genau das wird geschehen, Habiru. Und dann wird ein Wurf nach dem roten Strich entscheiden, wer eine der Frauen abkriegt."

      „Nicht übel der Plan, Sanherib“, gab der Schwarze heiser zu. „Aber was ist, wenn Pollugs das Kielholen überlebt? Der ist zäh.“

      „Das liegt ganz bei uns“, gab ihm der Assyrer zu verstehen. „Wenn er unter dem Schiff ist, lassen wir das Seil los, an dem er hängt, und er wird ersaufen, ehe er wieder an die Luft geholt werden kann.“

      Habiru räusperte sich. „Wenn das so ist, mache ich das, so wie du gesagt hast Sanherib. Und du rufst Suteman.“

      „Na also, ich wusste doch, du bist brauchbar.“

      Semiris wurde speiübel über das mitgehörte, und sie bekam einen trockenen Hals, so ging es ihr unter die Haut. Sie legte sich hinter dem am Heck aufgeschlagenen Baldachin auf die Planken, bemühte sich, nicht mit den Lidern zu zucken und den Anschein friedlichen Schlummerns vorzutäuschen, bis die drei Männer wieder ihre Schlafplätze aufsuchten. Dann schlich sie zum Heck zurück und rüttelte Houke hoch. „Sie wollen Pollugs umbringen“, berichtete sie aufgeregt.

      Houke war sofort hellwach, und sie weckten Pollugs.

      „Ihren Plan zu kennen“, stellte der fest, „Ist jetzt unser Vorteil. Jedoch nur, so lange sie von einer Zeugin nichts wissen.“

      Zunächst berichteten sie es Kirsa und verabredeten, sobald sie schrie, würde Pollugs die Nähe von Suteman suchen und mit dem gemeinsam zu Hilfe kommen. Und gegen Nachmittag geschah es. Kirsa hielt sich allein am Mast auf, und Sanherib wähnte den Moment günstig und rief nach Pollugs. Aber Pollugs dachte nicht daran, gleich hin zu eilen. Habiru näherte sich ihr, ohne die Falle zu ahnen. Er baute sich mit einem frechen Grienen vor Kirsa auf und langte der ungehobelt zwischen die Beine. Kirsa strafte ihn mit einer schallenden Ohrfeige. Wie ihr Pollugs eingeschärft hatte, rief sie nach Suteman. Der rote Handabdruck