Eike Stern

Der Tod des Houke Nowa


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oder was auch immer er für ein Landsmann sein mochte, unschädlich zu machen. Während sich dann Sanherib mit ihm maß, kehrte er mit einem Fischernetz zurück, das im Laderaum schon Staub ansetzte, weil keiner etwas damit anzufangen wusste. Sanherib ließ kraftvoll seine zweischneidige Axt kreisen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, da warf jemand von halber Höhe des Mastes das Netz. Der Assyrer sprang geschwind aus dessen Reichweite und senkte, mit sich zufrieden, die Waffe. Nun war es vorbei mit dem Widerstand des Unbesiegbaren. Seine Streiche führten nur dazu, dass er sich völlig in dem Netz verhedderte. Schließlich fiel er auf die Planken und hatte sich völlig darin verstrickt. Hiram kniete an seinem Kopf und hielt ihm ein Kurzschwert an den Hals. „Du stirbst, wenn du es darauf anlegst“, drohte er. „Wie heißt du?“

      Der Mann im Netz spuckte Hiram ins Gesicht. Die Zähne bleckend wische der sich die Wange ab und schluckte die Demütigung herunter. „Hast du jemanden, der für dich Gold gibt?“

      Er erhielt keine Antwort. Hiram erhob sich, und trat zornig auf den Liegenden ein. „Willst du wohl antworten, du Hund“, schrie er ihn an. „Unsere Leute würden dir am liebsten die Haut über die Ohren ziehen. Aber ich schenke dir das Leben, falls du bei uns mitmachst.“

      Der Gefangene presste stur die Lippen aufeinander.

      Die meisten wohnten neugierig diesem Schauspiel am Heck des geenterten Schiffes bei, während Hasdrubal und Tjalf, der Beutelschneider, in den Laderaum hinab stiegen. Ein fürchterliches Fauchen hub an, als hätte man einem Löwen am Schwanz gezogen. Hasdrubal kehrte mit blutigem Arm an Deck zurück und warf hastig die Klappe zum Laderaum hinter sich zu. „Dort unten tobt eine gestreifte Bestie herum, groß wie ein Löwe und flink wie ein Leopard.“

      „Ein Tiger“, bemerkte Hiram. „Mann, Hasdrubal, wo ist Tjalf? Der war doch mit runter.“

      Die Bestie nimmt ihn gerade auseinander.“

      „Na wenigstens hast du überlebt“, tröstete ihn Hiram.

      „Das schon“, stieß Hasdrubal über die Zähne hervor und blickte angestrengt atmend auf seinen Unterarm. Der war grausig zerfleischt, und der Verband, den ihm Kaleb anlegte, durchgeblutet, bevor er vermochte, ihn zu verknoten.

      Suteman fiel für Stunden aus, doch Hiram bewahrte den Überblick. „Ist Gold oder anderes Erz im Laderaum? Etwa Zink, Kupfer oder Bronze?“, fragte er mit vor Aufregung bebender Stimme.

      Hasdrubal schüttelte den Kopf. „Nein, auch keine Waffen oder wertvolle Stoffe; nichts außer einer gereizten Raubkatze.“

      Darauf lud sich Kaleb den Eingewickelten über die Schulter als wäre er ein Leichtgewicht und sie verließen ohne Beute die zum Heck hin mit Gefallenen gepflasterte Feluke. Im Laderaum blieb ein Tiger zurück, und bevor sie sich von der Bordwandung lösten, flog ein Brand hinüber.

      Unsagbar erleichtert stimmte es Houke, denn Pollugs hatte das Handgemenge unbeschadet überstanden. Sein Lendenschurz war mit Blut verschmiert, aber es war nicht sein eigenes. „Siehst du“, begrüßte er den Freund, „manchmal täuscht uns unser Gefühl.“

      „Der Tag hat erst begonnen“, raunte Pollugs.

      Das erinnerte Houke an die Kerze. Er war davon ausgegangen, zur Mittagshitze müsste die nächste angesteckt werden. Die Sonne würde jedoch noch geraume Zeit brauchen, ehe sie den Zenit erreichte, und der Wachsberg war zerronnen, das Holz darunter rußig angekokelt. Hätte der Kampf ein wenig länger gedauert, wäre ihr Schiff abgebrannt. Denn die beiden Frauen sahen vom Bug aus zu und erschienen erst nach ihnen in der Kammer. „Semiris“, sagte er bestürzt, „ich hatte gehofft, du behältst die Kerze im Auge.“

      „Ich… hatte Angst… um dich“, erwiderte sie stockend, und er zog sie in seine Arme. „Jetzt bleiben uns höchstens noch ein paar Stunden, fürchte ich. Ehe die Sonne untergeht laufen wir ein in Memphis, der Hauptstadt des alten Reiches.“

      In dem Moment klopfte es. Als Houke öffnete war es Hiram. „Räumt die Kammer“, befahl er.

      Es half nichts, sich auf die Abmachung mit Hasdrubal zu berufen. „Wir haben einen Gefangenen und brauchen die Kabine für den“, erklärte Hiram und gab ihnen so lange, wie es bedurfte, die Decken und Felle zusammen zu raffen und eiligst ihre Habseligkeiten in der Kiste zu verstauen.

      Houke und die Mädchen drückten sich auf dem Flur an die Wand mit ihren Sachen, weil ihnen schon Archaz und Kaleb mit dem eingenetzten Fremden entgegen torkelten, gefolgt von Pollugs; denn den hatte Suteman zur ersten Wache eingeteilt. Sie beschlossen, ihm Gesellschaft zu leisten, holten den Korbsessel auf den Flur und warfen Decken und Felle zu einem Lager auf dem Bretterboden aus. Wo Pollugs war, fühlte sich Kirsa sicher und vergaß ihre Scheu. Auch ohne ihre leicht quakige Sprache zu verstehen, bemerkte er an ihrem Lächeln, wenn sie Luft holte, sie taute auf. Ihn schmerzte, dass er selbst darum nicht mehr zum Zug kam bei Semiris, und er fürchtete sich wahrscheinlich mehr als die Mädchen vor ihrer Ankunft in Memphis. Nur dieser Nachmittag verblieb, mit ihr zu reden, und er sah Kirsa auf den Mund, bis die endlich verstummte.

      Als Semiris ihn wehmütig musterte, fehlten ihm die Worte, und er knüpfte an den Versuch mit den Kerzen an. „Es scheint, die Tagstunden sind zur Sommerzeit länger“, stellte er fest, „und die Nachtstunden kürzer.“

      Keinen Deut interessierte es Semiris, trotzdem nickte sie verständig. Da erhob sich eine Stimme mit einem scharfen Akzent aus der Kammer, in der sie die letzten Tage verbrachten. „Kindergeplapper! Gäbe es kurze oder lange Stunden bräuchte der Mensch sich nicht den Tag in Stunden einzuteilen.“

      Pollugs zog die Stirn kraus und war mit zwei Schritten an der Tür. „Na das überrascht mich, unser Gefangener kann reden wie wir.“

      „Der Tag hat 24 Stunden“, erklärte der Fremde. „Um diese Jahreszeit gehören der Sonne ungefähr fünfzehn bis sechzehn Stunden und der Nacht höchstens 9. Nach der Sonnenwende werden die Nächte dann täglich länger.“

      Houke nickte bei sich, weil es einleuchtete, und die klare Stimme jenseits der Tür stellte fest, „du bist kein Dummkopf. Welcher Dämon hat dir eingeflüstert, dich diesem Abschaum anzuschließen?“

      „Ich gehöre zwar zu denen, die dein Schiff überfielen“, erwiderte Houke befangen. „Aber ich fühle mich der Bruderschaft so wenig verbunden wie einem Rudel Schakale. Es war bei mir wie bei dir. Mache mit oder stirb, hieß es, und ich wollte leben.“

      Der Fremde begriff rasch, Houke konnte kein schlechter Kerl sein. „Ich muss fliehen“, flüsterte es hinter der Tür. „Helft ihr mir?“

      „Wenn wir dir helfen droht uns selbst der Tod“, gab ihm Pollugs unverhohlen zu bedenken. „Die Regeln der Bruderschaft sind nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich werde mich hüten, daran zu rütteln.“

      „Helft mir, zu fliehen, und ich verspreche euch, ihr geht straffrei aus.“

      „Bist du so mächtig?“

      „Das will ich meinen. Mächtiger als du ahnst“, entgegnete der Fremde forsch. „Ihr habt schon von dem Sperrturm gehört, der die Meerenge bewacht?“

      „Ja“, schaltete sich wieder Pollugs ein, da Houke die Achseln zuckte.

      „Ich gehöre dem Seevolk an, das ihn erbaute.“

      Pollugs stutzte. „Du bist ein Atlanter?“

      „Ja, und einer, von dem du noch hören wirst.“

      „Unglaubhaft“, knurrte Pollugs.

      „Ist aber so.“

      „Na auf die Erklärung sind wir gespannt“, flüsterte Pollugs zwinkernd Houke zu.

      Der Atlanter hatte sein auf Ablehnung beruhendes Schweigen überwunden und schöpfte offenbar Hoffnung. „Ganz einfach. Der höchste unter den Herrschern des Westens wird demnächst sechzig. Ich wollte ihm ein ganz besonderes Geschenk machen. Dafür streunte ich ein halbes Jahr in der Welt umher. Mein letzter Hafen vor Memphis war Ophir an der Küste des Landstrichs, den die Egypter Saba nennen und die Afrikaner Punt. Dort ist es mir gelungen, für eine Hand voll Perlen