Eike Stern

Der Tod des Houke Nowa


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wo auch die Standarte mit dem Wolfskopf ihren Platz hatte, die zur »Zerberus« gehörte wie der Mastbaum und die Tonne an deren Spitze. Joktan kletterte in den Ausguck, im Bordjagon das Möwennest. Wenn er damit Archaz ablöste, bedeutete es nicht, dass der sich nun zu Houke und Semiris gesellte. „Was hat Archi so verdreht“, fragte Semiris leise.

      Houke zuckte mit den Schultern. „Er schneidet mich wie einen Leprakranken. Ich überlege, ob ich ihn gekränkt habe.“

      Er merkte Semiris an, sie war bedrückt, ihr Atem klang gestresst. „Da ist etwas im Busch“, stellte sie fest und seufzte gedehnt.

      „Ja, beunruhigend, die Stimmung. Ob es ist, weil ich mich zweimal beteiligt habe, beim Wurf auf den Strich? Sie könnten es falsch verstanden haben.“

      „Du hast es mit geilen Böcken zu tun, hielt sie ihm vor Augen. „Mit tumben Holzköpfen, ohne jedes Schuldbewusstsein.“

      Houke schüttelte den Kopf, denn verhielt sich seine jüngste Schwester Melis so, pflegte seine Mutter zu sagen - lass sie, die trotzt. „Sich zu schämen, bedarf es Anstand und einer gewissen Reife.“

      „Möglich, aber sie sind sich einig, und mir gefällt nicht, wie hämisch der Assyrer grinst, sobald ich ihn zufällig ansehe.“

      Ihre Augen suchten Ablenkung auf einem Dreschplatz am Nilufer. Schemenhaft hoben sich in golden flitternden Schleiern etliche Feldarbeiter ab, die durchgedroschenes Korn hochwarfen. „Was treiben die?“

      Um eine Auskunft war Houke nicht verlegen. „Der Wind trennt Spreu und Weizen.“

      Zögernd nickte sie. Vor dem fernen, hellblau verklärten Bergkamm trat der Urwald ans Ufer und bildete eine lebhaft umstrudelte Halbinsel im Strom.

      Als sie die ins Wasser hängenden Büsche streiften, erhob sich eine Wolke blauschwarzer Schmetterlinge. Dahinter bahnte sich eine Lichtung an. Zahllose spindeldürre Holzarbeiter in ärmlichen Kilts hackten das Geäst von einem jüngst gefallenen Urwaldriesen oder waren darin vertieft, mit Bronzeklingen die Rinde abzuschälen.

      „Es wurmt mich“, stellte Semiris ernst fest, „andauernd weiter stromauf zu segeln. Ja wohin denn? Wollen die denn zur Quelle des Nils?“

      Houke schmunzelte breit. Noch bewahrte sie sich offenbar einen Rest Humor. Doch je näher der Abend rückte, desto deutlicher merkte er ihr an, sie fürchtete sich davor, dann wieder von Hiram als Ruhekissen für die Nacht angepriesen zu werden wie Sauerteig,. Die Blicke, die alle ihr nachwarfen, waren lüstern, und man spürte, welchen Hoffnungen sich der Sarde hingab, wenn er ihr dann und wann auf das Gesäß glotzte. Houke konnte nachvollziehen, wie ihr bei dem Gedanken an Kirsa das Herz schlug. Immerhin wurde sie vor der anwesenden Mannschaft vergewaltigt vom Assyrer. Volle vier Tage waren verstrichen, seit sie die Kapitänskabine unter Deck verschluckte, die ihm Hiram vermutlich für einen Ring zur Verfügung stellte.

      „Warum kann ich nicht mit einem Schwert umgehen wie Pollugs“, seufzte er. Da kam einer von der Mannschaft zu ihnen, als gäbe es etwas, dass auch er wissen müsste.

      Der Berber verlor kein Wort zuviel. „Du bist dran mit Wache schieben.“

      Houke atmete dumpf aus. „Kommst du mit?“, fragte er tonlos, und sie nickte. „Meinst du, ich bleibe allein oben?

      Er überließ Semiris den Korbsessel und hockte sich neben die Tür. „Ich bin wieder da“, begrüßte er den Gefangenen.

      „Oh“, sagte die vertraute Stimme überrascht, „mein junger Freund?“

      „Ja“, hauchte Houke und sprach ohne Umschweife aus, wie es ihnen inzwischen erging. „Wir waren zu viert. Jetzt sind wir nur noch zwei. Und du könntest uns helfen.“

      „Ich dachte, du wolltest mir helfen“, erinnerte ihn der Atlanter.

      „Ja, wenn es sich ergibt, kannst du auf mich rechnen. Dabei wäre alles leichter, wenn du so tust, als wärst du bereit, bei der Bruderschaft mitzumachen.“

      „Mein Freund, glaubst du, mir wäre das nicht ebenso in den Sinn gekommen? Das ist eine Sache des Ehrgefühls und eine Charakterprobe. Mache ich mit, bin ich selbst nicht besser, und man könnte es mir später vorwerfen. Deshalb nicht.“

      „Keiner würde davon erfahren. Warum also?“

      „Es geht um Wahrhaftigkeit. Ich weigere mich, einfach alle Grundsätze über Bord zu werfen, bloß weil das bequemer wäre. Wer anders denkt, ist ein bigotter Heuchler und wertlos wie ein Blatt im Wind.“

      Houke konnte es nicht nachvollziehen. Für Momente hing er wieder seinem Problem mit den anderen an Bord nach und versuchte, sich von den bösen Träumereien zu befreien, indem er sich ablenkte. „Wie heißt du?“, fragte er.

      „Decgalor“, entgegnete der Atlanter. „Die Leute hier an Bord würden Desgalor sagen, aber das «S« wird nur ganz kurz und scharf berührt. Im Gegensatz zum Punischen verfügt unsere Sprache nämlich über einen Buchstaben mehr, wie du hörst, wenn du meinen Namen richtig aussprichst.“

      „Und du bist ein Prinz?“

      „Das will ich meinen. Der Sohn des Phöbos. Meine rechte Hand möge mir verdorren, sollte ich lügen. Aber da dich mein Wohl zu interessieren scheint, könntest du mir etwas zu essen besorgen? Sie lassen mich fasten, damit ich einer von ihnen werde.“

      „Jetzt?“

      „Ich habe Hunger“, drängte Decgalor – und Houke beeilte sich.

      Kaleb war nicht allein der Schmied und der, der Zähne ziehen konnte, er war zudem der Koch. Unwille zuckte um seinen Mundwinkel, als sei es ihm peinlich, mit Houke zu reden. „Du hast deine Schüssel mit Saubohnen bekommen.“

      „Du versäumtest, mir ein Stück Brot zu geben.“

      „Die Stücke waren abgezählt“, fuhr der alte Vollbart ihn barsch an, aber gab ihm doch ein kleines Fladenbrot.

      Als Houke die Tür spaltbreit öffnete, schob sie der Atlanter weiter auf, und Houke ließ ihn gewähren. „Keine Angst mein Freund, ich verschwinde gleich wieder in meinem Huck. Ich möchte dich nur einen Moment als Menschen vor mir sehen.“

      Decgalor musterte ihn und sagte, „du siehst nicht schwach aus, und du hast ein großes Herz. Ich werde mich einmal an dich erinnern.“

      Dann biss er in den Fladen, kaute in Ruhe aus und nickte ihm freundschaftlich zu. „Ich habe drei gute Freunde in meiner Heimat, und du sollst auch dazugehören.“

      „Wer sind deine Freunde?“

      „Fyfatrus ist einer mit einem Auge für das Wesentliche, ein wenig schwermütig manchmal, aber scharfsinnig. Und er pflegt seinen Kinnbart wie Frauen ihr Haar, alle drei Tage stutzt er ihn. Mit ihm und Feïgistos habe ich oft im Garten des Poseidon Äpfel vom heiligen Baum gestohlen.“

      Langsam fing der Fremde an, Houke sympathisch zu werden, denn er war so offen, und es schien ihm ernst zu sein, mit seinem Streben nach Wahrhaftigkeit.

      „Der andere heißt Fimago, ein entfernter Verwandter und der Künstler in unserem Quartett. Gib ihm den Meißel und einen Block Porpyr, und er treibt ein Gesicht heraus, lebensecht, als wäre jemand versteinert.“

      „Und zu welcher Rasse würdest du dich und deine Freunde zählen?“

      „Wir stammen letztlich von Siedlern aus Sidon ab. Sidonische Seefahrer gründeten Tartessos an der Küste der Westsee, und Atlantis war ursprünglich eine Tochterstadt von Tartessos, ehe es selbst zu einer Metropole wurde.“

      „Sidon liegt unter der Hethiterküste“, fiel Houke ein. Und sie unterhielten sich über Stunden, während Semiris im Korbsessel ihren Schlaf nachholte. Als der Sarde eintraf, die Wache zu übernehmen, kündigten gerade einige Erschütterungen von der Decke her an, eben gingen die ersten am Mast vor dem Strich in Wurfstellung. Semiris schlief. Ungern weckte sie Houke, doch es musste sein. Andernfalls hätte man sie gleich geholt, und an seiner Hand traute sie sich dann an Deck. Nach den Blicken des Assyrers war Houke