Eike Stern

Der Tod des Houke Nowa


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      „Ich weiß nicht“, klang es etwas gelangweilt aus der Kammer, „was du von der Welt weißt. Ein Egyptischer Pharao, der lange vor uns lebte, verfiel einst auf die Idee, einen Kanal auszuheben, über den man vom Delta des Nils in die Sudische See segeln kann. Der Weg war über drei Menschenalter versandet und geriet in Vergessenheit, aber Ramses der II. hat das Kanalbett wieder schiffbar gemacht und sogar verbreitert.“

      Pollugs schnappte vor Jahren ein Gerücht auf, das ähnlich klang und fing an, dem Gefangenen zu glauben. „Du meinst“, folgerte er, „die Bestie im Laderaum ist für den Herrscher des Westens bestimmt gewesen?“

      In dem Moment kam Sanherib die Stiege hinunter. „Suteman braucht dich oben“, sagte er kalt. „Ich übernehme die Wache.“

      „Wir reden nachher weiter“, flüsterte Pollugs an die Tür und erwiderte Sanheribs schroffe Miene mit einem entnervten Blick, da die beiden einander seit langem Spinnefeind waren. Nach ihm betrat auch Houke ernst das hintere Deck, wo sich die Mannschaft zusammengerottet hatte.

      Suteman schien auf ihn gewartet zu haben. „Wie ihr wisst, fällt Hasdrubal für den nächsten Mondlauf aus“, erklärte er und fasste Pollugs in die Augen. „Deshalb übernimmst du die Ruderpinne.“

      Ohne mehr dazu hören zu müssen begab sich Pollugs auf den Kasten, unter dem sich die Ruderbänke reihten. Das war der Platz des Steuermannes, und Houke, gefolgt von Semiris und Kirsa, leistete ihm Gesellschaft, während er das Ruder übernahm und sie unablässig stromauf segelten.

      „Memphis ist das Herz des Niltals“, schwärmte Pollugs. „Man spürt die Jahrtausende, die das alles schon so währt.“

      Houke stutzte. „Manchmal sagst du Dinge, die ich einfach nicht verstehen kann.“

      Je länger er bei seinem Freund stand, desto mehr empfand er nach, was der meinte. Er meinte nicht die goldbraunen, mit silbergrauer Patina überzogenen Berge. Eher die sich davor unter flimmernder Hitze erstreckenden Getreidefelder, die sich abwechselten mit Palmenhainen und Zitronenbäumchen. Es waren die regelmäßig vom Nil abzweigenden Kanäle oder besser, das professionelle Bewässerungsnetz und die alljährlichen Überschwemmungen, was das Pharaonenreich zur Kornkammer der Welt machte. Sattgrüne Arkazien beschatteten Alleen und trennten die breitflächigen Äcker, auf denen mit Getreide bepackte Esel zu den Dreschplätzen trotteten.

      Auf einmal fing Kirsa an zu singen. Ihre samtige Stimme mit dem quakigen Unterton verbreitete eine wohltuende Ruhe und war Balsam für die Seele. Einige hoben verdutzt den Kopf, andere gingen in sich, wo sie eben saßen. Keiner außer Semiris wusste, sie sang von einer Ziegenhirtin und ihrem Herren, der sie Mal um Mal erweichte, indem er ihr ein Leben in Freiheit versprach. Eine traurige Weise, und Semiris übersetzte es Houke leise.

      Weil sich bei Pollugs die beiden einzigen an Bord befindlichen Frauen aufhielten, bildeten sie seit dem Wechsel am Ruder einen Unruheherd auf Deck. Pollugs beobachtete argwöhnisch, wie Hiram die Leute für sich einnahm und drohende Blicke zum Baldachin sandte, oder auf sie, da sie sich ja aus deren Sicht dahinter aufhielten. „Die syrische Natter hetzt schon wieder“, entfuhr ihm.

      „Auf uns?“, fragte Semiris betroffen.

      Um Pollugs Mundwinkel zuckte Unbehagen. „Der will die Macht an Bord. Das gilt Suteman“, rief er Houke ins Gedächtnis. „Und ich möchte nicht in seiner Haut stecken.“

      Kirsa war in ihrem Gesang verstummt. Semiris schaute schwermütig zum Ostufer, wo sich binsengedeckte Lehmhütten am Schilfstrich drängten und sich an der von Dattelpalmen überschatteten Umgatterung der örtlichen Speicherschlöte eine Menschentraube staute. „Wann kommt endlich Memphis“, seufzte sie und nippte an ihrer Oberlippe. Wie um sich zu vergewissern, ob sie auch Grund hätte, sich darauf zu freuen, betrachtete sie Houke, und der tastete, wie meist, wenn er verlegen wurde, nach seiner Nase. Augenblicklich wandelten sich Haltung und Gesicht und gaukelten ihr Entschlossenheit vor. Aber ihm wurde bewusst, er riskierte seinen Hals bei diesem Vorhaben.

      „Wenn…ich mit dir abhaue“, forderte er, „musst du mir auch nach Aschkelon folgen.“

      Verdattert rieb sich Semiris die Stirn. „Wir kennen uns ja kaum.“

      Er nahm es als Aufforderung, von den Umständen zu berichten, die ihn veranlassten, sich auf Planken zu begeben, ebenso von seinem verschollenen älteren Bruder, dem in die Wiege gelegt schien, einst in die Führung des Unternehmens hineinzuwachsen, doch soff sein Schiff kurz vor dem Pessach-Fest mit Mann und Maus ab. Das lag zwei Jahre zurück, und der Gram darüber war seinem Vater oft anzumerken gewesen.

      „Mein Großvater“, erinnerte er sich, „zählte zu denen, die sich noch Dromedare aus der Wüste lockten, um sie zu zähmen. Und er hatte den richtigen Riecher, denn das Kamel als Lasttier revolutionierte die Logistik und ermöglichte Karawanen einer ganz anderen Größenordnung. Jedenfalls baute mein Vater mit dem dadurch erworbenen Vermögen seinen Gewürzhandel auf. Mir oblag es“, fügte er hinzu, um sich nicht völlig unter den Scheffel zu stellen, „beim Karawanen-Rastplatz ein Auge auf die eintreffenden Händler zu werfen und die zuhause anzubringen.“

      Er verstand es immer, auch lästigen Dingen am Ende eine positive Wendung zu geben und fing an, laut zu denken. „Ich war der Jüngste im Kreis der Familie, behütet und bemuttert von drei Schwestern. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich diese schrecklichen Wochen der inneren Verlorenheit, die ja in absehbarer Zeit enden, überstand, ohne großen Schaden im Gemüt davongetragen zu haben. Seeraub ist ein dreckiges, anrüchiges Geschäft. Wer sich dem verschreibt, verändert sich. Aber man sagt ja, bloß der Schlechte wird durch schlechte Erfahrungen schlechter.“

      Er wies unauffällig mit dem Kinn auf Hiram, der von einer Kiste am Bug die Stimmung aufheizte. „Er mag mit allen Wassern gewaschen sein, aber sein Innerstes ist so schäbig, dass unter seinem Atem die Blumen verwelken.“

      Semiris rümpfte angewidert die Nase, und aller Frohsinn wich aus ihren Zügen, weil sie ein trauriger Gedanke bewegte. „Sein Auswurf ist schlierig blutig wie der meiner Mutter zum Schluss. Sieh dir seine brennenden Augen an oder sein ausgehärmtes Gesicht. Das sind die Spuren der Schwindsucht.“

      „Das heißt?“

      „Er siecht langsam dahin und ist so ziemlich am Ende seines Weges angelangt.“

      „Bis vor kurzem gab es noch jemand in der Mannschaft“, fiel Pollugs ein. „Der stammte aus dem gleichen Stall wie er, und jeder an Bord weiß von daher, was für ein Schuft er sein kann. Der Aufseher eines Landguts nahe Tyros war er. Es war Brauch, einen Freigelassenen mit dem Regiment über die Feldarbeit zu betrauen, und so einer ist Hiram. Auf den zahlreichen ländlichen Festen suchte und fand er Händel, verstand es aber immer, die Zusammenstöße so darzustellen, dass er am Ende der Beleidigte, der Herausgeforderte war. Um ihn scharte sich eine Clique gleichgearteter Burschen, vor deren lüsternen Untrieben keine Magd außer Hauses sicher war. Da die Leute unter ihm spurten, wie man so sagt, ließ man ihn gewähren, solange die Arbeitsergebnisse befriedigend ausfielen, obwohl er dafür keine sittlichen Qualitäten mitbrachte. Hiram ist jener Typ, der aufgrund seiner versteckten Aggressivität, verbunden mit Bauernschläue und Triebhaftigkeit, bei naiven Menschen Respekt heischt.“

      „Eben ein Feigling“, ergänzte Houke, aber Pollugs korrigierte ihn. „Eher eine gewievte syrische Natter.“

      In der Tat wiegelte Hiram die Leute auf, und es braute sich etwas hinter dem Mastbaum zusammen gegen Suteman. Es machte den Eindruck, sie wären uneins, und nach einem kurzen Handgemenge entschied sich Larban, die Seiten zu wechseln. Pollugs kam er wie gerufen, Houke schnappte nach Luft.

      „Seid ihr für Suteman?“, fragte er, als er mit wiegenden Schultern vor Pollugs erschien, und Pollugs belächelte ihn. „Sagen wir, ich will, dass alles bleibt wie es ist.“

      Dann nahm das Schicksal seinen Lauf. Hiram kam Larban aufgebracht nachgestürzt, und das Geschehen verlagerte sich zum Mastbaum und dem kupferfarbenen Baldachin des Piratenhäuptlings. „Du hast uns angeführt bis zum heutigen Tag“, ereiferte sich Hiram und ballte Suteman vom Mast her eine Faust. „Aber wir brauchen einen der vorangeht beim Entern. Tritt ab