erhob Gerdmann seine warnende
Stimme. Jetzt sprang der Fuchs zu und packte Alheid
beim Halse. Da schrie sie kläglich:
»Gerdmann, Gerdmann, sühste nich,
wo häi mi ritt, wo häi mi tüht?«
Aber Gerdmann rief:
»Recht di da–t, recht di da–t!«
breitete seine Fittiche aus und flog ins Dorf zurück.
6. Das harte Gelübde.
In einem wilden, wüsten Walde verirrte sich eine
Frau. Als nun die dunkle Nacht hereinbrach, überkam
die Frau eine große Angst, so daß sie seufzend
sprach: »Weh! Wie komme ich zu Haus! Wenn doch
wer käme und mir den Weg wiese aus dieser Wildnis!
« Da trat aus dem Gesträuch ein graues Männchen.
»Wenn du mir versprichst, Frau, was du jetzt
unter deinem Herzen trägst, so will ich dich hinausgeleiten,
daß du bald zu Hause bist.« Das versprach die
Frau in ihrer Angst, und als sie es versprochen hatte,
lachte das Männchen mit Hohn laut auf und rief: »Der
Knabe unter deinem Herzen ist mein! Nach zwölf
Jahren bringst du ihn mir zu dieser selben Stunde, zu
dieser selben Stelle, oder ich fordere ihn selbst. Dann
will ich ihm drei Fragen aufgeben; kann er die beantworten,
so habe ich keine Macht über ihn; sonst gehört
er mir für alle Ewigkeit.«
Darauf brachte das graue Männchen die Frau bald
aus dem Walde, daß sie wieder zu Haus kam.
Eine Zeit darnach kriegte die Frau einen kleinen
Jungen, der war ein stilles gutes Kind, wuchs heran
und war so gelehrig, daß sich alle Leute darüber verwundern
mußten. Seine Mutter aber hatte keine frohe
Stunde mehr; immer und immer mußte sie daran den-
ken, daß sie ihr liebes gutes Kind dem Bösen versprochen
hatte. Wenn sie dann dem Knaben sein Brot
schnitt, so sah sie ihn immer so traurig dabei an und
konnte das Weinen nicht lassen. Da faßte das Kind
ihre Hand und sagte: »Mutter, warum seid Ihr nur so
traurig und weint in einem fort? Gebt Ihr mir das Brot
nicht gern, oder bin ich nicht gut und folgsam, daß Ihr
immer weinen müßt, wenn Ihr mir das Brot gebt? Das
sagt mir doch!« Aber sie weinte nur immer mehr und
mochte es ihm nicht sagen, was ihr das Herz so
schwer machte; bis der Knabe so lange bittend in sie
drang, daß sie es doch endlich erzählte, wie sie sich in
dem wilden Walde verirrt habe, wie das graue Männchen
gekommen sei und daß sie ihm das Kind unter
ihrem Herzen versprochen habe. »Mutter,« sagte da
der Knabe, »das war hart! Doch laßt das Weinen und
seid nur wieder froh; mit Gottes Hülfe mag noch endlich
alles gut werden.« Darauf ist der Knabe noch
lerneifriger geworden als vorher, und in der Schule
haben ihm seine Lehrer alle Fragen, die nur zu erdenken
gewesen sind, aufgeben müssen, und als er nun
sein zwölftes Jahr erreichte, da hat er alle und alle
Fragen beantworten können.
Zu der bestimmten Stunde brachte die Frau den
Knaben in den Wald, und gingen auch seine Lehrer
und viele Leute mit. Als sie nun bald zu der Stelle
kamen, mußten sie alle zurückbleiben; da ging der
Knabe allein freimütig in den Busch, und ob ihm
gleich durch des Bösen Anstiften allerlei feurige Gespenster
begegneten, auch ein Fuder Heu mit Ochsen
bespannt auf ihn zu kam, ihn zu schrecken, so ließ er
sich doch nicht wirren, ging weiter und kam zur Stelle,
wo das graue Männchen ihn erwartete. »Es ist dein
Glück, daß du gekommen bist!« sprach er; »nun gib
mir Antwort auf drei Fragen; kannst du sie nicht
lösen, so greif ich dich.« »Sag her!« erwiderte mit ruhigem
Mute das Kind. Da fragte das Männchen:
»Was ist härter als ein Stein?« Das Kind antwortete:
»Mutterherz.« »Was ist weicher als ein Daunenbett?«
Das Kind antwortete: »Mutterschoß.« »Was ist süßer
als Milch und Honig?« Das Kind antwortete: »Mutterbrust.
« Da ist das Männchen verschwunden und
abgestunken.
Als nun das Kind unversehrt heraustrat, sahen die,
welche zurückgeblieben waren, daß ihm der Arge
nichts hatte anhaben können, und freuten sich, denn
alle hatten das Kind lieb, weil es so klug war und so
gut; da hat auch seine Mutter wieder frohe Tage erlebt.
7. Die böse Stiefmutter.
Meine Großmutter hat mir erzählt, es wäre mal eine
kleine hübsche Dirne gewesen, die hat eine Stiefmutter
und auch eine Stiefschwester gehabt. Die Stiefmutter
ließ ihre rechte Tochter immer in schönen Kleidern
gehen und that ihr alles zu Willen; sie brauchte auch
gar nicht zu arbeiten; aber die Stieftochter mußte den
ganzen lieben Tag draußen am Brunnen sitzen und
Garn winden, daß ihr der Faden zuletzt die Finger ordentlich
blutig schnitt. Davon hatte sie aber wenig
Dank, mußte immer in lumpigem Zeuge gehen, und
ihre Stiefmutter sagte ihr nichts als böse Worte. So
saß sie auch mal wieder und wand und wand, und die
Hände wurden ihr zuletzt so lahm von allem wickeln,
daß ihr unversehends der dicke Knäuel in den Brunnen
sprang. Da kriegte sie große Angst, denn die böse
Stiefmutter hätte sie gewiß geschlagen, wenn sie den
Knäuel nicht wiederbrachte. Darum stieg sie in den
Brunnen hinab; der war wohl tief, aber ganz zerfallen
und kein Wasser mehr drinn.
Wie das Mädchen nun unten auf den Boden kam,
so war da eine ordentlich kleine Thür, die machte sie
auf und ging hindurch; da war alles frei und schön.
Dicht neben der Pforte lag auf einem Blocke ein großes
scharfes Beil und Holz dabei, das rief: »Hau mich
entzwei, hau mich entzwei!« Da nahm das Kind