Beate Morgenstern

Ausm leben mittenmang


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      Um deinetwillen solltest du im Sommer kommen, nicht um meinetwillen!

      Allerdings traue ich mir im Sommer eine Fahrt über die Mitfahrgelegenheits-Zentrale nicht zu. Wenn es so heiß ist und Stau auf der Autobahn, da habe ich den Mut nicht.

      Und wie viel kostet's mit der Bahn?

      Den Sparpreis eben. Annette sagte die Summe.

      Das ist teuer.

      Für mich schon, dachte Annette.

      Vor zwei Jahren wärst du im Sommer mit der MfG gekommen, wenn du nicht deinen Fahrer verfehlt hättest! Wir hatten alles vorbereitet. Das war schon schade.

      Inga hatte sie damals auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, sich an einer Autofahrt finanziell zu beteiligen und war sicher verärgert, dass Annette ihr Geld verschwendete und mit dem Zug fuhr. Im Herbst oder Frühjahr, da kann ich's ja über dieses ... MfG probieren, sagte Annette schuldbewusst.

      Annette fragte nach Ingas Schwestern, den Eltern. Deinen Vater hab ich zum Geburtstag anzurufen versucht. Auch am Abend darauf habe ich ihn nicht erreicht. Er ist ja mein Patenonkel.

      Und deine Mutter meine Patentante, ergänzte Inga.

      Übrigens, im April sind die Eltern noch in Spanien.

      So lange?

      Ja, das ganze Winterhalbjahr.

      Ist das nicht etwas eng in so einem Wohnmobil?

      Was denkst du. Das ganze Leben spielt sich doch draußen ab.

      Das Telefon klingelte. Inga ging ins Zimmer. Das Klingeln brach ab. Inga schien zurückzurufen.

      Sie setzte sich wieder unter die Markise. Meine Eltern, sagte sie. Einen schönen Gruß. Sie wussten, dass du kommst.

      Ich hab schon gedacht, dass sie es sind. Aber ich war mir nicht sicher. Ich hätte sie gern gegrüßt.

      Meine Mutter wollte wissen, ob du einen Brief geschrieben hast, dass du sie besuchen willst. Sie finden ihn nicht.

      Nein, ich hab keinen Brief geschrieben. Ich hab leider keine Tagung, nichts, weshalb ich nach Süddeutschland fahren könnte. Und einfach so zu reisen. Die Zeit und die teure Fahrt.

      Meiner Mutter geht's nicht gut, sagte Inga bedrückt. Nachdem sie lange Jahre Ruhe gehabt hat, sind ihre Werte plötzlich wieder so schlecht.

      Das tut mir leid. Wenn Annette an Ingas Mutter dachte, sah sie die immer lächelnd. Sie war eine jener schlanken, großen, dunkelhaarigen Schönheiten, wie man sie in Süddeutschland hatte.

      Das Gespräch wollte nicht wieder in Gang kommen. Erst die Erinnerung an die gemeinsame Großmutter ließ Inga wieder lebhaft werden. Die Großmutter hatte in Annettes früher Kindheit in ihrer Familie gelebt, anschließend in der ihres Sohnes in Süddeutschland, hatte sich aber jedes Jahr die erlaubten vier Wochen im Osten aufgehalten, sodass die Großmutter sich auch Annettes jüngeren Geschwistern einprägte. Viele Briefe waren hin- und hergegangen. Pakete. Sie war eine Frau mit Eigenarten, Besonderheiten gewesen. Omi wurde sie zu ihrem Leidwesen genannt, obwohl sie die Anrede Großmutter lieber gehabt hätte. Man konnte sich gegenseitig erzählen. Indem man das tat, stand die Frau, die sechsundneunzig Jahre und ein halbes alt geworden war, wieder vor ihren Kindern, Enkelkindern, und stärkte - lange Zeit über ihren Tod hinaus - das Bewusstsein von Zusammengehörigkeit.

      Weißt du, Omi hatte immer so einen eigenartigen Geruch, sagte Inga.

      In Annette stieg die Erinnerung an einen Geruch nach Kräutern, frischer Luft auf.

      Sie wusch sich jeden Tag von Kopf bis Fuß, sagte Inga. Sie hielt sich tadellos in Ordnung.

      Sie machte jeden Morgen vor dem offenen Fenster ihre Gymnastik, sagte Annette, aß Schnittlauch die Menge, Heilerde innerlich und Leinsamen.

      Ja, sie war sehr um ihre Gesundheit besorgt. Übrigens ist mein Vater eines Morgens aus Versehen in ihr Zimmer gegangen und sah sie nackt von hinten. Er sagt, er hätte zum ersten Mal seinen Vater verstanden. In hohem Alter noch hatte sie einen muskulösen Rücken. Der Po straff, nicht wie sonst bei alten Leuten.

      Annette dachte daran, wie ihr Vater über seine Schwiegermutter ihrer hageren, angeblich unweiblichen Gestalt wegen gespottet hatte. Offenbar hatte ihr Sohn sie ebenfalls nicht als Frau gelten lassen, obwohl sie vier Kinder großgezogen hatte. Die zwei ältesten Söhne waren im Krieg umgekommen. Für ihn, den jüngsten, hätte es ihr an Kraft gefehlt, hatte die Großmutter Annette erklärt. Er sei nicht zu bändigen gewesen. Deshalb habe sie ihn zu ihrer Schwägerin und Jugendfreundin gegeben. Und weil mein Mann, so sprach die Großmutter wie vor einer Fremden, die Stille gebraucht hätte. Er war depressiv und lärmempfindlich. Lag stundenlang in seinem Zimmer. Seine Arbeit als Beamter erlaubte das. Wenn ich geahnt hätte, wie schlecht die Ehe meiner Schwägerin war!, hatte sich die Großmutter entschuldigt.

      Wir haben gedacht, wir tun dir das Beste. Tante Ines war eine geschulte Kraft. Und dann die herrliche Umgebung im Schwarzwald! So hatte die Mutter über Annettes Aufenthalt im selben Haus gesagt. Sowohl die Mutter wie die Großmutter hatten großes Vertrauen zu angeblichen Spezialisten gehabt. Die Meinung, andere seien geschickter und klüger, war nicht nur belastend, sondern zuweilen auch bequem.

      Sie hatte hübsche Beine, das weiß ich noch, sagte Annette.

      Ach ja? Da hab ich sie vielleicht von ihr, sagte Inga, als kämen hübsche Beine sonst in der Familie nicht vor.

      Annette lachte in sich hinein und sagte: Wahrscheinlich hatte Omi eine hübsche Figur, aber sie trug immer zu weite Kleider, in denen man das nicht sah, sagte sie. Und das passte ja zur Meinung, sie sei ein Blaustrumpf. Wie man die emanzipierten Frauen nannte. Dabei wäre sie nur gern emanzipiert gewesen. Unabhängig. Aber sie hat halt Ehefrau sein müssen. Lehrerin zu werden, haben ihr die Eltern verboten.

      Das weiß ich nicht. Und ihre Leib- und Seel-Hosen quetschten ihren Busen ab.

      Ihre Leib- und Seel-Hosen? Annette erinnerte sich an die Hemdhosen, die sie offenbar nicht nur in der Nachkriegszeit getragen hatte. Annette lachte.

      Jetzt ist es wieder, sagte Inga.

      Was?

      Dass du wie sie lachst. Erst zögernd, und dann überkommt es dich. Du öffnest den Mund, dass man die Zähne bis ganz hinten sieht. Bei dem Lächeln wird mir ganz heiß.

      Wie gut sie beschreiben kann, dachte Annette. Das Lächeln der Großmutter hatten sie und ihre Geschwister nicht zu entbehren. Sie beobachteten es an der Mutter, die im Alter in Mimik und Gestik manches bekam, was an die Großmutter erinnerte.

      Omi hat gedacht, wenn sie sich jeden Tag gründlich wäscht, reicht das, sagte Inga. Ihre Leib- und Seel-Hosen hat sie nicht gewaschen. Bis meine Mutter ihr eines Tages darauf gekommen ist. Deshalb der Geruch.

      Annette überlegte. Ihr kam wieder nur der Geruch von Kräutern und frischer Luft ins Gedächtnis, der schon wenige Tage nach Ankunft der Großmutter in das Gastzimmer einzog. In der Kindheit mochte vielleicht etwas Süßliches dabei gewesen sein. Jedenfalls hatte sie den Geruch gemocht. Und sie hatte hübsche Haare, sagte Annette. Früher trug sie die Haare fest zusammengeknotet. Aber seitdem ihr eine Friseuse riet, kam ihr volles Haar zur Geltung.

      Und sie wechselte nachmittags immer ihr Kleid. Zum Tee trug sie ein besonderes, sagte Inga.

      Das ist mir nicht aufgefallen. Aber sie besaß später schöne Kleider, festliche in Pastellfarben, das weiß ich noch. Natürlich geerbt von verstorbenen Freundinnen. Sie selbst leistete sich ja nichts.

      Und sie aß gern und mit großem Appetit.

      Annette lachte. Auch das passte nicht zu ihrem spartanischen Wesen.

      Ihre Religiosität nahm allerdings groteske Züge an, sagte Inga. In der Zeit, in der sie in einer Pension in lebte, besuchte sie zuerst wildfremde Leute, die nahe am Bahnhof wohnten. Und dann uns. Es waren Christen, die standen ihrem Herzen offenbar näher als wir.

      Dein Vater hat davon erzählt.

      Aber