schief und dünn und er musste andauernd zur Bewegungstherapie.
„Wollen wir vorm Lernen noch was Kiffen?“, fragte ich sie.
Wir kifften noch nicht lange, eigentlich noch gar nicht lange, denn wir hatten erst ein paar Mal gekifft und noch nie ohne die Clique.
Lissi gaffte mich an.
„Hast du was?“
Ich zeigte ihr den Brocken.
„Boah!“, meinte sie anerkennend. „Sieht aus wie getrocknete Kamelscheiße.“
Sie überlegte.
„Nur einen kleinen Joint, ok?“, sagte sie. „Meine Mutter ist in gut einer Stunde wieder da. Wir müssen echt was Lernen, die reißt mir den Kopf ab, wenn ich noch eine Sechs schreibe, dann ist Essig.“
Wir gingen in ihr Zimmer, das von einem Innenarchitekten eingerichtet worden war. Blaue Wände, hellblaue Decke, von der Fische und Krebse runter hingen. Das sollte wohl witzig sein, war aber meines Erachtens zu kurz gedacht, denn jeden Tag den gleichen Witz anzuschauen, war beknackt. Vielleicht war ich auch nur neidisch, denn Lissis Vater hatte ein Haus gebaut, dass sich nach den Bedürfnissen seiner Frau und seiner Kinder richtete, nicht wie bei uns.
Ich setzte mich auf ein Kissen und bastelte an einem Joint. Das dauerte Ewigkeiten. Ich versuchte, mir den Ablauf einer Joint Herstellung zu vergegenwärtigen, ich hatte schon ein paar Mal zugesehen, es aber noch nie selbst gemacht. Erstmal baute ich aus drei Blättchen in Form eines gleichschenkligen Trapezes eine Hülle, das war leicht. Die Hülle legte ich flach auf den Tisch und verteilte Tabak drauf. Gut, dass ich meine Zigaretten selbst drehte, eine wichtige Vorstufe zum Joint Bauen. Dann kokelte ich den Brocken an und krümelte das Angekokelte in den Tabak, dabei verbrannte ich mir höllisch die Finger. Ich war mir nicht ganz sicher, wie viel Hasch ich rein tun sollte. Ich entschied mich für die Devise: Viel hilft viel. Das Ganze rollte ich zu einer Tüte und verklebte sie. Das Ergebnis war mittelmäßig. Der Joint hing schlapp wie ein alter Silvesterböller, aber egal. Erster Joint „Marke Eigenbau“, Lissis Vater sagte ja auch immer „Eigeninitiative zählt“.
Lissi sorgte für das Hintergrundprogramm. Sie legte Cat Stevens „Tea for the Tillerman“ auf, den Soundtrack zu „Harald and Maude“. Wir hatten den Film gerade im Kino gesehen. Seitdem spielte Lissi die Platte rauf und runter. Ich fand den Film sensationell, aber mir ging es auf die Nerven, dass der Typ andauernd seinen Selbstmord vortäuschte. Eigentlich gingen mir die Leute im Kino auf die Nerven, die fanden das alle zum Totlachen. Ich nicht. Aus gutem Grund.
Wir öffneten das Fenster, hängten uns ganz weit raus und kifften. Da Lissi keine Zigaretten rauchte, hustete sie ganz schön rum, ich rauchte schon eine Weile Selbstgedrehte, das half beim Kiffen.
„Weißt du eigentlich, dass Evelines Mutter für das Kaffeekränzchen immer den Kuchen beim Konditor kauft und dann sagt, sie hätte ihn selbst gebacken? Sie bestellt den Kuchen immer mit dem ausdrücklichen Wunsch, er solle selbstgebacken aussehen!“
Lissi liebte diese Geschichte und erzählte sie bei jeder Gelegenheit. Noch so ein Mutter-Tochter Ding, bei dem ich nicht mitreden konnte. Meine Mutter war nicht wirklich integriert in die dörflichen Tratschgeschichten. Ich beschloss, die Geschichte unhippie zu finden. Lissi schreckte hoch.
„Shit, mein Hefezopf!“
Wir rannten runter in die Küche und glotzten in den Ofen, wo sich ein gigantischer Zopf entwickelt hatte. Es roch total lecker.
Lissi machte den Ofen aus.
Sie schaute mich mit roten Klüsen an, die man vom Kiffen bekommt.
„Und sie denkt immer, dass es keiner merkt.“ Sie kicherte. Ich fand sie jetzt doch süß. Nicht die Geschichte, sondern Lissi. Sie hatte total süße Zähne, die man beim Kichern sah, weil sie ihre Lippen hochzog.
Sie versank in Gedanken. Und schreckte wieder hoch.
„Komm, wir spielen Kaffeeklatsch und verkleiden uns als unsere Mütter.“
Wir rannten zum Kleiderschrank ihrer Mutter, der so groß war wie das Schlafzimmer meiner Eltern, inklusive der Arbeitsecke meines Vaters. Die Kleider waren den Farben nach sortiert, es waren tolle Farben und die Übergänge waren wirklich genial hingehängt. Ich war total geflasht. Ich war sicher, dass es neben der Farbanordnung ein tiefgründigeres System gab, nach denen die Kleider hingen, das ich nicht schnallte, vielleicht je nach Anlass, für den die Kleider waren oder für welche Jahreszeit. Oder je nachdem, wie teuer sie waren. Welche Gefühle Lissis Mutter bei anderen damit wecken wollte. Alle Kleider waren neu. Hosen trug sie nicht. Meine Mutter trug fast immer Hosen.
Ich griff mir ein figurbetontes Kostüm. Lissis Mutter hatte allerdings viel mehr Figur als ich.
Ich hatte mit knapp achtzehn Jahren nicht mal die Körbchengröße A. Mehr würde da auch nicht kommen. Ich fand’s ok, die Schwerkraft würde meinen Brüsten auch im Alter nicht zusetzen und kleine Titten passten voll in die Zeit, denn die hielten auch ohne BH'S, die von Hippiefrauen grundsätzlich nicht getragen wurden. Die gab’s auch nicht in der Größe „fast A“.
Den überschüssigen Stoff des Kostüms steckte ich mit einer Wäscheklammer im Rücken zusammen und schaute nach Schuhen. Ich griff mir froschgrüne Sandalen mit total hübschen Blümchen an den Riemen, so ein bisschen wie Gänseblümchen. Die Sandalen waren mir leider zu klein und ich riss einen Riemen ab.
Lissi hatte ein lindgrünes Alcantarakleid angezogen und dazu einen ausladenden bunten Hut mit Blumen. Sie saß am Schminktisch ihrer Mutter.
Ich klemmte mich neben sie. Zuerst puderte ich mir das Gesicht hell, dann zog ich mir dicke schwarze Balken um die Augen. Die Lippen malte ich mir dunkelrot. Ich fand eine Bob-Frisur-Perücke, leider nicht schwarz, sondern komisch grau-blond, schwarz wäre besser gewesen, aber egal, Perücke an sich war schon abgefahren genug. Ich steckte mein Haar mit Klämmerchen eng an den Kopf. Ich hatte hüftlanges, dichtes Haar und brauchte fünfundfünfzig Klämmerchen, um es komplett an meinem Kopf festzumachen. Lissis Mutter hatte irre viel Haarklämmerchen, bestimmt zweihundert und ich fragte mich, wofür und ob sie von allen Sachen so viel hatte. Und alles hatte seinen Platz, es war überall extrem ordentlich. Dann packte ich die Perücke auf meinen Kopf. Ich betrachtete mich im Spiegel. Ich sah mich zum ersten Mal geschminkt und dachte, dass Schminke viel ändert, aber ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich das gut oder schlecht fand.
Ich schminkte mich nie, weil es mir viel zu viel Gedöns war und fragte mich, was die Frauen mit Schminke bezweckten. Es gab ja auch Männer, die sich Farbe auflegten, die Kelten malten sich die Gesichter vor der Schlacht blau, Soldaten benutzten Tarnschminke. Sie schminkten sich, um ein Anderer zu werden, um brutaler vorgehen zu können. Angriff und Tarnung. Krieg und Liebe. Bei den Frauen war es wohl das Gleiche.
Ich schaute zu Lissi. Das Ziel ihrer Bemalung konnte keinesfalls als Tarnung missverstanden werden. Blauer Lidschatten, unechte Wimpern mit irre viel schwarzer Wimperntusche, ohne Ende Rouge und pinkfarbene Lippen. Sie schaute selbstvergessen in den Spiegel. Ich sah ihr Gesicht im Spiegel und erkannte sie nicht. Für einen Moment dachte ich, dass ich die Kontrolle über mich verlöre, man hatte so was ja schon gehört, dass man auch mit Haschisch ziemlich abdrehen kann, dann stieg mir aus dem Bauch ein krampfiges Lachen hoch, ich konnte das nicht abstellen, wollte ich auch eigentlich nicht, dann musste ich plötzlich ganz oft niesen, das hörte gar nicht auf, meine Augen tränten, ich sprang auf und pinkelte mir in die Hose. So richtig, nicht ein bisschen und so.
„Es ist etwas Schreckliches passiert“, stieß ich heraus, mehr zu mir als zu Lissi und rannte ins Bad. Ich zog mir meine Unterhose aus, schmiss sie in die nächste Ecke, wusch mich, versuchte, mich abzutrocknen, was mir echt nicht leicht fiel, weil alles sehr unübersichtlich war. Ich ging im Flur hin und her, zwischen Eichenregalen mit unzähligen Büchern, die dort ein Nischendasein führten und vorwurfsvoll aussahen. Ich atmete tief in den Bauch, das kannte ich vom Yoga, bis ich das Gefühl hatte, die Kontrolle über meine Körperfunktionen zurückgewonnen zu haben.
Dann ging ich in Lissis Zimmer und legte Janis Joplin auf. Ich drehte die Lautstärke auf. Sensationell. Die Musik drang