Ghyslyn Pomsel

Lieblingsnachbarinnen


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ziehen sie. Und haben die Welt damit fest im Griff. Keine Notlage, die sie nicht zu knacken wüssten.

      Denn:

      Wenn ich meinen Indianer nun fragen würde, was man, sagen wir einmal, mit Roter Beete anfängt oder mit Postelein oder mit Ringelblumen, Mangold, einem faulen Ei, einem Mordfall, Kakerlaken, einer Lebensversicherung oder einem Sexualverbrecher: Sie wüsste es. Sie brächte es glatt raus. Sie kriegte es, ja!, in den Würgegriff.

      Sie ist es schließlich, die stets weiß, wer wen heiratet, beerbt oder hasst, wer einen Preis im Lateinischen gewann oder verstarb und woran, oder was die Sonderangebote beim Discounter wert sind.

      Ich sage bei der Pistole am Kinn nur (ich gestehe) eilig und Hände-hoch-mit-erhobenen-Händen: Nichts wert sind die Dinger (Koffer, Kissenbezüge, Kloreiniger-Pastillen oder Kakaopulver), nichts. Nothing, Nicht die Bohne wert. Nichts!

      Sie dagegen weiß, warum nicht. Das zählt!

      Fachmann ist sie und Alleskönner. Sie ist Tausendsasa und Pfiffikus.

      Sie ist meine Rettung. Brennt es mal wieder in der chemischen Fabrik, legt sich mal wieder eine schwarze Wolke über uns alle, wird unsere Märchensiedlung mal wieder bepudert von Gelbem und Gift, erfüllt von Gestank oder zugedröhnt von unheimlichem Getöse, dann näht sie aus edelsteinfarbenen Stoffen eine Decke, die ihresgleichen sucht.

      Indianer halten nämlich die Welt in der Hand, und sie halten sie an.

      Ihnen eignet der Goldene Griff.

      Kein Schrittchen weicht mein Indianer, wenn es nur, kleinlich, um Wirklichkeit geht.

      Erschauert wer ratlos im Angesicht der Katastrophe, so hat sie den Trick raus.

      Klimaschock, Umweltzerstörung, Weltuntergang –

      gibt es nicht.

      Wen also könnte ich Besseren finden, um zu fragen:

      Indianer, sage mir an: Was ist das – die Zeit!

      Vergeht sie tatsächlich? Verstreicht sie, zerläuft sie wie Eier und Uhren in Salvatores Gemälden? Geht sie verloren, die Zeit? Gibt es sie neu, immer wieder?

      Bleibt sie, verhaftet, erhalten, gebannt?

      Ist sie verborgen, geheim, nur Eingeweihten bekannt?

      Zeigt sie sich, will sie entlockt, enträtselt, an Spuren erschlüsselt, herausgekitzelt nur werden?

      Ist sie ein Witz? Einer von Gottes allmächtigen Scherzen?

      Oder echt meine – Sülze?

      Und wir liegen drin?

      –

      Zuerst erzählte man mir nur davon. Dann sah ich es selbst, als ich das Federbett aufs Fensterbrett warf. Und nunmehr weiß ich es definitiv: Auch Indianer – gehen gebückt.

      Auch sie unterliegen dem unausweichlichen Zugriff der Zeit, dem Alter. Sie bekommen kaputte Hüften, Schultern und Knie.

      Selbst Säuglinge unterliegen dem Altern.

      Und auch für Indianer nützt Gibt’s Nicht! kein Bisschen.

      Und Dennoch:

      Mir hätt's so gepasst, dass mein Indianer drumrumkommt ums Altern!

      Eigentlich dachte ich: Für Indianer gibt es kein Altern.

      Der Goldene Griff, Mensch, der Goldene Griff! Zieh! Los doch! Den Goldenen Griff! Zieh! Zieh!

      –

      Zuerst erzählte man mir nur davon. Dann sah ich es selbst, als ich beim Super Tomaten und Dosenmilch kaufte.

      Sie hat ihn gezogen – den Goldenen Griff!

      Indianer sind nämlich findig und wissen genau, wann der Zug kommt.

      Indianer verstehen Zeichen, enträtseln die Welt.

      Spuren lesen Indianer, so wie ich die Zeitung.

      Zuerst erzählte man mir nur davon. Dann sah ich es selbst:

      Sie baute sich, so sprach sie, baute sich eine Maschine.

      Gegen das Altern.

      Indianer sind findig.

      Indianer halten nämlich die Welt in der Hand, und sie halten sie an.

      Ich glaube daran.

      Ihr wird es gelingen.

      Ich will es!

      Und danach möchte ich wissen, bitte, ist sie nun Sülze, die Zeit?

      Sülze, he, Sülze?

      Collage

      (mit lieben Grüßen an die Rhönradabteilung der TuS 1863 Aschaffenburg Damm)

      Alle meine Nachbarinnen haben ein Hobby.

      Ich habe keines.

      Ich habe nur Berufe:

      Mutter (wiewohl von Natur aus nicht besonders dafür begabt), Inhaber der Firma Doublecross & Chicken Feed, Vorgartengärtner, Maschinenparkwächter, Mutter, Nachbarin, Mutter, Backpulver-verleih, Mutter, Mutter, Ehefrau eines Mathematiklehrers, Eierverleih, Bindebandverleih, Poesie-liebhaber, Mailomateur, Mutter, Ehefrau eines Mathematiklehrers einer schwierigen Mittelstufe, Zuckerverleih, Opernliebhaber, Mutter, Mehlverleih, Reisebegleiter, Hauptgartengärtner, Cacao-pulververleih, Mutter, Kuchentester, Chefgärtner, Ehefrau eines Mathematiklehrers einer Mathe-matikfachkonferenz, Mutter, Teetrinker, Hersteller ansprechender Collagen und Chefgärtner.

      Die Collagen produziere ich zum Zwecke der Erstellung kostengünstiger Grußkarten für alle nur möglichen Gelegenheiten. Vom Namenstag über Verlobungen bishin zu Weihnachten und Ostern – mit einer selbst erstellten Collage bin ich stets gut dabei.

      Die meisten meiner Nachbarinnen haben ganz furchtbar übliche Leidenschaften.

      Deren beliebteste sind Kaufen, Telefonieren, Abnehmen, Rhönradturnen und Autofahren.

      Lieblingsnachbarinnen jedoch, die sind da ganz anders gestrickt.

      Durch die Bank pflegen sie ganz und gar außergewöhnliche Hobbys.

      Bei Licht betrachtet, dünkt mich sogar, dass ihre Kaprizierung auf das ein oder andere unübliche Hobby gut und gern den Grund abgeben könnte, warum sie meine Lieblingsnachbarinnen sind.

      Ich liebe das Außerordentliche. Zum Gewöhnlichen habe ich nur wenig Talent.

      Aus der Fülle der Lieblingsnachbarinnen mit weniger ordinären Beschäftigungen, womit man die Zeit tot schlägt, hebe ich gern einige lobenswerte heraus: die Filigranlöterin, die Quartett-digeridooin, die Hunderednerin, Grace Kelly, die Dollarbaroness, die Ehefrau, Marilyn Monroe, die Unfallgärtnerin, Kate Moss, Kate Winslet, Prinzessin Kate. Ich sehe, Kate ist überrepräsentiert.

      Welche soll ich auswählen? Von welcher meiner Lieblingsnachbarinnen soll ich berichten?

      Ich denke, ich wähle diejenige, die das viehischste aller Hobbys kultiviert: die Hunderednerin.

      Diese bemerkenswerte Nachbarin sieht sich, wie viele andere auch, (teilzeitlich) tragischer Weise genötigt, einem öden Broterwerb nachzugehen.

      Das hat Gründe, und es hat Folgen.

      Zu den Gründen: Verantwortlich für die Tatsache, dass sie 'arbeiten' muss, ist ein Ehemann, der einen (in dieser Siedlung jedenfalls) recht durchschnittlichen Job hat. Er ist Pleitier.

      Seine Gattin steht nunmehr in der Pflicht, diese Scharte auszuwetzen. Schließlich braucht man, allein schon der vielen, vielen Köter wegen, ein Dach über dem Kopf.

      Und meine Lieblingsnachbarin sorgt für das Dach.

      So sortiert sie – Perlchen.