Ghyslyn Pomsel

Lieblingsnachbarinnen


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Fehlverhalten ihres Bankrotteurs entgegen setzen muss. An drei Tagen in der Woche sitzt die Gute nunmehr mit einer Lupe im Auge da und ordnet Rot zu Rot und Rosa zu Rosa.

      De facto ist dies eine wertvolle Arbeit – denn: Wie sollten sonst unzählige Perlenstickerinnen und Perlenkettenfädlerinnen, die es weltweit gibt, an ihren farblich passenden Nachschub kommen? Woher das entsprechende Material nehmen – für diese tollen Hobbys, die etwas mit Perlchen zu tun haben, he?

      Meine Lieblingsnachbarin sorgt dafür. Ihr Augenlicht und sämtliche Muskeln des Rückens strapaziert sie, um das richtige Grün zum richtigen Grün zu legen.

      Es fällt ihr nicht leicht, nein, nein, wahrlich nicht, denn sie säuft.

      Bereits während der Arbeit (so verriet sie einer weiteren Lieblingsnachbarin, die es wiederum mir petzte) steht das Weißweinglas hart am Ellenbogen bereit. Und Abend für Abend dann kippt sie das Zeug literweise. Herbeigeschafft wird es vom Pleitier, dem Guten, höchstselbst, fürsorglich im Kofferraum seiner Riesenkarre herbeigeschafft.

      Er hält sie bei Laune, könnte man sagen.

      Auf der Rückbank seiner Nobelkiste klirren die Pullen seines Höherprozentigen, womit seinerseits er sich bei Laune hält.

      Bankrottieren scheint mir eine nervenzehrende Tätigkeit.

      Wundert es wen, wenn sie in ihrem Hobby aufgeht?

      Kann man nicht mühelos nachfühlen, wie entspannend, wie bereichernd es sein muss – am Abend mit jemandem zu sprechen?

      Der Gatte nämlich tut es nicht.

      Nicht, dass er stumm wäre, der Arme.

      Er spricht lediglich nicht mit, sondern ausschließlich zu. Dem Inhalt seiner Flasche nämlich. Wenn man jedoch die gestörten Bölklaute, die er anfallweise ausstößt (ich meine nicht die Schnarchtöne aus seinem Schlafzimmer unter dem Dach), als Rede verstehen möchte, dann spricht er allerdings auch einfach so.

      Wie auch immer, sein Gebrabbel ist ohne Belang.

      Sie für ihr Teil – redet.

      Mehr noch: Sie unterrichtet.

      Ihr Fach ist die – Menschensprache.

      Mit der Geduld, die sie bereits bei der Perlensortierei unter Beweis stellt, exakt mit derselben Geduld lehrt sie – ihre Hunde.

      Sie bringt ihnen Menschenrede bei.

      Abend für Abend.

      Ihre Schüler sind zahlreich und leben und lernen im Pensionsbetrieb.

      Was genau sie essen, weiß ich nicht, aber einen Großteil davon kotzen sie immer hinter die Hecke. Ganz gewöhnlicher Pensionsbetrieb also.

      Die Namen der Eleven sind durch die Bank VIP.

      Ich kenne nicht die gesamte Klasse, aber die Lieblingsschüler heißen: Cleopatra (genannt Cleo), Brutus (ein fieser Schlachterhund), Hamilton (nach der Geliebten von Admiral Nelson, genannt Emmy), Nelson (nach himself, genannt Nelly), Adolf (eine leicht vermurkste Töle, genannt Oscar).

      Wie gesagt, hier lediglich eine Auswahl.

      Weit mehr Köter müssen es dort sein, die mindestens drei Tage in der Woche jede Aussicht auf ein ruhiges Wohnen gründlich zunichte machen: Ohne die Perlensortiererin bellen die Hunde ununter-brochen und vielstimmig. Einige heulen noch obendrein wie die Wölfe, und ein paar scheinen hand-greiflich zu sein. In den halb verhängten Fenstern erscheinen hin und wieder fletschige Hunde-gesichter, denen Möbelteile aus dem Maul hängen.

      Ich glaube nicht, dass sie staubwischen.

      Und falls doch, dann nur sehr endgültig.

      Keinen von den Schülern der Hunderednerin ließe ich jemals in mein Papphäuslein. No! Meine Bugholztischlein! Meine Bücher! Die Operntäschchensammlung! Meine Marmeladendosen aus Spritzdekorkeramik! Mein Collagenmaterial! Die gepressten Blumen in Wordsworthens Gedichten! Uh!

      Nein! Keine Hunde bei mir! Sportler reichen schon (mit ihren fürchterlichen Kräften...).

      Meine Lieblingsnachbarin muss eine ungewöhnlich mutige Sprachlehrerin sein.

      Couragiert wirft sie sich allabendlich dieser Klasse vor.

      Ich höre es genau, weil sie den klassischen Lehrerfehler macht und mit lauter Stimme zu ihren Schülern spricht. (Man muss böse flüstern, denn das macht einen gefährlichen Eindruck und kann schon mal erreichen, dass wenigstens zwei oder drei Figuren in der Klasse sich fürchten und vorübergehend die Klappe halten.)

      Sie jedoch spricht laut, die Arme.

      Enthusiastisch auch noch! Bereits eingangs überschreit sie den Radau ihrer Klasse mit begrüßendem Lobgehudel:

      „Wo sind denn alle meine Lieblinge, wo, wo?“

      Nun, ich weiß es, aber ich werde nicht gefragt.

      „Was machen denn meine Schätzchen alle, meine Schätzchen, was machen sie denn?“

      Auch das weiß ich.

      (Wieso noch fragen? Sieht man doch, was die Schweinehunde machen! – Ich frage mich, auf was für Stühlen die gute Perlensortiererin sitzt. In was für einem Bettchen mag sie nächtigen, in was für ein kaputten Sesselchen mag die Arme sich allabendlich fallen lassen? – Was die wohl machen? Haha! Machen..? Ha!)

      „Ja, was wollen wir denn heute, meine lieben, lieben Liebchen, was wollen wir denn heute?“

      Weiß ich nicht. Bin ich Hundesprachlehrer?

      „Was wollen wir denn jetzt mal tun, meine Schätzelein, was wollen wir denn jetzt mal tun?“

      Ich möchte es nicht wissen. Nicht!

      (Ansonsten könnte ich schon mal gleich den Fachleiter raushängen und der guten Kollegin da drüben stecken, dass so Unterricht ja mal gar nicht geht. Wo ist die Planung, bitte sehr, wo ist der Plan für diese Lektion? Wieso schleimt sie sich bei ihren Schülern ein, na so was aber auch, warum? Und sie spricht zu laut, die Gute, überspielt die natürliche Angst vor Schülern viel zu plump, viel zu plump! Kann man ja dran fühlen! Und wo ist die Lernzielvorgabe, Kollegin, wo ist die Struktur? Oberstes Lernziel, he, los doch!)

      „Hattet ihr schon eure Leckerlis, meine Schönen, Leckerlis, Leckerlis?“

      Hatten die, und ob.

      (Polsterwatte, Tischbeine, Matratzengummi. Und ob die schon Leckerlis hatten! Und was soll das eigentlich für eine Überprüfung der vorangegangenen Lektion sein? Hallo? Wieso die Belohnung am Anfang der Stunde? Überhaupt: Belohnung? He, hallo, Kollegin, wozu das Bestechungslob?)

      Meine Lieblingsnachbarin steckt offensichtlich noch in den Anfangsgründen ihrer Lehrtätigkeit.

      Sie schleimt.

      Biedert sich an.

      Und alles viel zu laut, viel zu laut.

      Ich höre jeden Ton.

      Ich höre jedes Wort!

      „Dies hier für dich, mein Kleiner, und das für dich, mein Großer, und das noch, und das noch und hier noch und die da noch...“

      Das auch noch.

      (Die fetten Wiesenscheißer! Beetpinkler! Heckenkotzköppe! Noch Munition reinstopfen, was? Noch nachfüllen, wie? Als ob die nicht genug kriegten, die Nimmersatte, die! Denen geht es sowieso viel zu gut! Alles kriegen die! In den Arsch geblasen! Verwöhnt, die Scheißer, verwöhnt bis zum Abwinken!)

      Meine Lieblingsnachbarin muss ein Engel sein.

      Engelsgeduld.

      Nun beginnt sie mit dem motivationellen Einstieg.

      Endlich.

      „