Katja Piel

Vampire Island - Die dunkle Seite des Mondes (Band 1)


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mal an die frische Luft gehen?« Gordon nickte, stand auf und nahm ihre Hand. »Ich begleite Sie, damit Sie nicht wieder Ärger bekommen«, grinste er.

      »Oh vielen Dank.« Ohne Widerrede folgte sie nach draußen. Auf bequemen Lounge-Möbeln lümmelten sich nur einige wenige Gäste. Die meisten waren im Club und warteten auf die Show.

      »Möchten Sie ein Wasser?«

      »Nein danke, ich … möchte lieber noch ein bisschen Ihre Gesellschaft.« Ihr Herz raste, er konnte es hören. Es klang wie Musik in seinen Ohren. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen.

      »Sehr gerne, Cassandra. Sie brauchen aber keine Angst zu haben. In meiner Nähe sind Sie in Sicherheit.« Ja, das war sie.

      »Ich habe keine Angst. Komisch, aber ich habe keine Angst, obwohl Sie eine … fast hypnotische Wirkung auf mich haben.« Sie legte die Hand auf den Mund. »Oh Gott. Habe ich das laut gesagt?« Gordon schmunzelte und nickte. »Ja, haben Sie.«

      »Das ist mir unendlich peinlich. Verzeihen Sie bitte.«

      »Das muss Ihnen doch nicht peinlich sein.« Er bugsierte sie in eine stille Ecke, ließ sie sich zuerst setzen und nahm anschließend direkt neben ihr Platz. Sie schien sich überhaupt nicht unwohl zu fühlen, nur ihr Herz klopfte bedenklich schnell. Ob das doch an ihm lag? Oder an dem betrunkenen Engländer? Sie war so zart. So unschuldig. Wie sie neben ihm saß, ihn nicht ansah, sondern einen kleinen Kaktus fixierte, der als Deko auf dem Tisch stand. Er betrachtete ihre weiche Haut. Sie war nicht so gekleidet und gerundet wie seine Tänzerinnen, aber sie war etwas Besonderes. Alleine wegen der Tatsache, dass ihr seine Fähigkeiten offensichtlich nichts anhaben konnten.

      »Ich begehre Sie.« Die Worte sprudelten aus ihm heraus, sie hingegen sah so aus, als bräuchte sie Zeit, um den Sinn zu verstehen. Mit großen Augen sah sie ihn an, die Lippen leicht geöffnet.

      »Entschuldigung, was …«

      Unverwandt schaute er sie an. »Ich will Sie.«

      »Aber das … geht doch nicht.«

      »Und ob es geht.«

      »Wir kennen uns nicht mal«, hauchte sie. Sie schien mit sich zu kämpfen. Er rückte näher, bis sich ihre Knie berührten. Schließlich beugte Gordon sich zu ihr. Dass sie nicht zurückwich, war ihm Einladung genug. Er hob die Hand, fuhr durch ihr seidiges Haar und zog ihren Kopf zu sich. Ganz langsam küsste er sie, hielt sein Verlangen im Zaum. Kein Zungenkuss, nur seine Lippen auf ihren, die viel wärmer und weicher waren, als er sie sich vorgestellt hatte. Dann öffnete er seine Lippen ein wenig und intensivierte den Kuss. Schon spürte er ihre Zunge, die mit seiner spielte. Sie schmeckte wundervoll. Nicht nach Gummibärchen oder kaltem Rauch. Ihre Lippen waren für ihn geschaffen, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Sie passten so perfekt zusammen, dass er sich für einen Moment in seiner Lust verlor und sich nahm, wonach er sich, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, gesehnt hatte: einen tiefen, leidenschaftlichen, nicht enden wollenden Kuss.

      In dem Moment klingelte sein Handy. Mit einem Ruck war er wieder in der realen Welt. Vor ihm saß diese wunderschöne Frau, und er hatte eine Erektion, die schmerzte.

      »Ich bin … das war«, flüsterte sie dicht an seiner Haut, und wieder erschauderte er.

      »Cassandra …«

      »Mmh?«

      »Bitte, wir müssen damit aufhören.« Das Klingeln war verstummt, nur um wenige Sekunden danach erneut zu stören.

      Wieder küsste er sie, doch dieses Mal hart und rücksichtslos. Und dann stand er hastig auf, griff nach seinem Handy und schaute sie nicht einmal mehr an. Dieser Kuss. Diese Frau. Was war bloß los mit ihm? Musste er erst tausend Jahre alt werden, um den größten Fehler seines Lebens zu begehen?

      Gordon nahm das Gespräch entgegen, lauschte und schwankte entsetzt.

      Kapitel 11

      »Was zur Hölle tust du hier?«

      Victor hatte in der Halle gesessen, Selma war eben zu Bett gegangen. Lautlos hatte sich der ungebetene Gast Zutritt zum Haus verschafft, stand nun mit einem höhnischen Grinsen vor ihm, blickte auf ihn hinab.

      »Über was denkst du nach, alter Mann?«

      Viktor wollte aufstehen, aber der andere Vampir legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte ihn nach unten. »Was soll das. Was willst du? Bist du geschickt worden? Sollst du mir eine Nachricht überbringen?«

      »Nicht ganz. Eure Zeit ist abgelaufen.«

      »Wessen Zeit? Wovon redest du überhaupt?«

      Der Vampir bleckte die Zähne, so dass seine Fänge zu sehen waren, neigte den Kopf hinab und griff sich an den Rücken. Er bewegte sich zu schnell. Victor hatte keine Zeit, zu reagieren.

      Kapitel 12

      Gordon musste sich zusammenreißen, um nicht ohne ein Wort des Abschiedes aus der Lounge zu verschwinden. In seinem Kopf herrschten Nebel und tiefste Finsternis.

      »Ist alles in Ordnung?«

      Cassandra. Bevor das Telefon geklingelt hatte, ja bevor seine Welt sich von einer Sekunde auf die nächste verändert hatte, war er mit seinen Gedanken nur bei ihr gewesen. Hatte von ihren Lippen gekostet, sie geschmeckt. Sich gleichzeitig gefragt, was er da tat. Doch jetzt war alles anders. Alles. Mit größter Bemühung wandte er sich ihr zu, was ein Fehler war. Denn nun sah er in ihr besorgtes Gesicht. Warum zum Henker scherte es sie, was mit ihm war?

      »Es tut mir leid. Es ist etwas passiert. Ich muss sofort los.«

      »Oh mein Gott. Kann ich Ihnen helfen, Gordon?« Für einen langen Augenblick sagte er gar nichts. Starrte sie einfach nur an. Dann fasste er sich wieder.

      »Nein, vielen Dank. Soll ich Sie wieder an Ihren Tisch bringen?«

      »Brauchen Sie nicht. Ich finde den Weg. Offensichtlich ist etwas Schreckliches passiert. Kümmern Sie sich jetzt bitte um Ihre Angelegenheiten.«

      Wo kam bloß so viel Verständnis her? Er hätte sie gerne eingeweiht, sie mitgenommen. Doch das war verboten. Gegen die Regeln.

      Ohne ein Wort des Abschieds hastete Gordon davon. Erst als er aus dem Club war, machte er sich seine Fähigkeit zunutze und war schnell wie der Blitz auf dem Anwesen seines Vaters in der Nähe von Benirras, der nördlichsten Spitze Ibizas.

      Patriz hatte ihm bereits am Telefon mitgeteilt, was passiert war. Dennoch war er auf den Anblick nicht vorbereitet. Sein Vater saß zusammengesunken auf einem Stuhl in der Halle. Es sah beinahe so aus, als würde er entspannt dort sitzen und lesen. Allerdings fehlte ihm der Kopf. Zu seinen Füßen hatte sich eine Blutlache gebildet. Blutspritzer wiesen den Weg zu seinem Kopf, der bis zu einer Kommode gerollt und mit dem Gesicht nach oben liegengeblieben war. Langsam ging Gordon auf seinen toten Vater zu, kniete sich vor ihn in das Blut und legte seinen Kopf in seinen Schoß.

      »Wo ist Mutter?«

      »Im Schlafzimmer. Sie war nicht dabei, als er umkam. Ihr ging es nicht gut, und sie hatte sich schon zur Ruhe gelegt«, antwortete Patriz, der ihm die Tür geöffnet hatte und nun diskret im Hintergrund stand. »Sie steht unter Schock. Bitte geh zu ihr.«

      »Was ist mit Shane?«

      »Er ist unterwegs. Er müsste jeden Moment hier sein.«

      Gordon stand auf, warf noch einen letzten Blick auf das Gesicht seines Vaters.

      »Bereite alles vor für die Verbrennung. Ich sehe nach Mutter.«

      Gordon eilte die Treppe hinauf. Als er die Tür zum Schlafzimmer öffnete, raschelte ein Stück Papier im Luftzug. Mit gefühllosen Fingern klaubte er es auf, aber er warf keinen Blick darauf.

      Im Bett lag seine Mutter. Tot. Ihre Kehle war durchgeschnitten. Er vergrub das Gesicht in seinen Händen, biss die Zähne zusammen und trat durch die sperrangelweit geöffnete Terrassentür nach draußen.

      Shane