Jürgen H. Ruhr

Das RFID Komplott


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Boot. Kam das etwa genau auf ihn zu?

      1. Heile Welt

      „Hallo, Schatz. Ich bin zu Hause!“ Dr. Frank Rudak warf die Eingangstür des Reihenhauses mit Schwung hinter sich zu. Dann sah er sich suchend um. Nanu, sonst begrüßte ihn doch seine Frau immer schon in der Diele.

      „Hallo, jemand da?“ - „Hier bin ich Schatz, im Schlafzimmer!“

      Frank Rudak streifte schnell seine Schuhe ab. Das hörte sich vielversprechend an. Auch wenn sie schon zwei Jahre verheiratet waren, so freute er sich doch auf jeden Moment, den er mit seiner Frau zusammen verbringen konnte. Und wenn diese gemeinsame Zeit im Schlafzimmer stattfand ... Umso besser! Auf Socken stieg er die schmale Treppe zum Schlafzimmer im ersten Stock hoch.

      „Hallo Lydia mein Schatz!“

      Nackt saß sie vor dem großen Spiegel und kämmte sich ihr schwarzes Haar. Ihre Blicke trafen sich. „Frank, Liebster. Du bist früher da als sonst. Ist alles in Ordnung?“

      Ihr leichter osteuropäischer Akzent faszinierte ihn immer wieder. Lydia war eine ausgesprochene Schönheit: bei ungefähr ein Meter achtzig Körpergröße besaß sie endlos lange Beine. Und obwohl sie sich beim Essen nie zurückhielt, zeigte ihr Körper kein Gramm Fett zu viel. Als Tochter ukrainischer Bauern war sie mit jungen Jahren schon in die große, fremde Stadt Moskau gegangen. Verwandte hatten das Mädchen dort aufgenommen und eine gute Schulbildung ermöglicht. Lydia schaffte es sogar bis zum Studium, das sie aber nach kurzer Zeit wieder abbrach. Warum, hatte sie Frank nie erzählt. Vielleicht würde er dieses Geheimnis eines Tages lüften. Langsam drehte sie sich um und schaute ihn direkt an: „Ist irgendetwas, du guckst so komisch?“

      „Du, du bist so ... schön.“ Frank kam sich wieder einmal vor wie ein Schuljunge. Verdammt, mit dieser Frau war er jetzt seit zwei Jahren verheiratet und ein größeres Glück hätte ihm nie geschehen können. Immer, wenn er sie nackt sah, schwanden ihm die Sinne. Mit ausgestreckten Händen, die eindeutig auf ihre Brüste zielten, kam er auf sie zu.

      „Oh nein, Frank. Jetzt nicht.“ Sie drehte sich leicht zur Seite. „Wir müssen heute Abend zu den Granders. Schon vergessen?“

      Ach ja, die Grillparty. Dr. Dirk Grander feierte heute seine Ernennung zum Leiter der HNO Abteilung im Klinikum. Frank bekam wieder einen klaren Kopf. „Ist Post gekommen? Ich geh‘ mich dann wohl erst einmal frisch machen.“ Trotzdem schaffte er es noch, seine Hände auf die festen Brüste seiner Frau zu legen. Wenn auch etwas ungeschickt und mit leicht verdrehten Handgelenken. Lydia quittierte ihm das aber mit einem saftigen Klaps auf beide Handrücken. Dort zeichneten sich nun zwei kleine rote Stellen ab.

      „Nein, Frank, keinen Sex jetzt, wir haben keine Zeit mehr! Also Finger weg. Außerdem ist da eine Postkarte von eurem Dr. Schwenker gekommen. Wie geht es dem eigentlich?“

      Frank zog seine Hände enttäuscht zurück. „Dr. Schwenker ist immer noch verschwunden. Seit fünf Tagen schon! Es heißt, dass er letztes Wochenende zum Segeln in Holland war, aber am Montag erschien er dann nicht zum Dienst. Na, hoffentlich ist ihm nichts passiert. Dr. Schwenker wollte mich Ende des Jahres in sein Forscherteam holen ...“

      Auf Socken stieg Dr. Frank Rudak wieder die Treppe herunter und ging in die Küche. Die Postkarte von Dr. Schwenker lag mitten auf dem Küchentisch. Irgendein holländisches Kaff an der Küste pries seine günstige Lage in bunten Bildern an. Frank beschlich ein ungutes Gefühl. Unschlüssig drehte er die Karte in seinen Händen. Was sagte ihm Dr. Schwenker vor fast einem Jahr noch? Während der Beerdigung einer jungen Kollegin, die an den Folgen eines Autounfalles gestorben war, hatte ihn der Mediziner zur Seite genommen. Er sprach damals sehr geheimnisvoll und bat ihn eindringlich, ja niemandem etwas von diesem Gespräch zu erzählen.

      2. Die Beerdigung

      Es war kein Tag für eine Beerdigung. Eigentlich ist ja nie ‚ein Tag für eine Beerdigung‘, aber dieser hier eignete sich besonders schlecht. Leichter Nieselregen setzte sich in die Kleidung und durchweichte Haut und Haar und dort, wo sich genügend Tropfen zusammenfanden. Anschließend flossen diese in Kragen und Ärmel.

      Ein Tag fast wie im Winter und doch war es gerade einmal Spätsommer. Aber in diesem Jahr konnte man ja auch nicht von Sommer reden. Nicht eine zusammenhängende Woche Sonnenschein hatte es bisher gegeben. Niemand, aber auch niemand auf dieser Beerdigung trug heute einen Schirm bei sich. War es doch zunächst noch recht trocken gewesen und keine Wetterstation im Radio erwähnte irgendetwas von Regen. Aber Nieselregen fiel wohl nicht unter diese Kategorie.

      Dr. Frank Rudak stand am offenen Grab der jungen Kollegin, die so vorschnell aus dem Leben geschieden war. Keine 24 Jahre alt, gerade das Studium absolviert und als eine der erfolgreichsten Studentinnen ihres Jahrgangs mit Handkuss an der Klinik als Assistenzärztin aufgenommen. Ihrem kometenhaften Aufstieg setzte dann der rätselhafte Autounfall ein abruptes Ende.

      Frank sah sich um. Da standen sie alle: Dr. Klaus Werner Schwenker, sein unmittelbarer Vorgesetzter; Professor Dr. Johann Brenzal, der Leiter der Forschungsabteilung und der Kinderklinik; Karl Hergann, ein guter Bekannter der Verstorbenen und noch Student.

      Viele der Anwesenden kannte Frank Rudak vom Sehen aus der Klinik. Wieder rann ein Schwall kalten Regenwassers seinen Nacken herunter. Warum war er eigentlich hier? Weder, dass er die junge Frau gekannt hätte, noch gab es eine berufliche Übereinstimmung irgendeiner Art. Aber Dr. Schwenker hatte ihn ‚gebeten‘ teilzunehmen und dieser ‚Bitte‘ hatte er Folge zu leisten, wollte Frank seinen Chef nicht verärgern.

      Professor Brenzal starrte mit gewohnt missmutigem Blick auf den Sarg. Frank konnte sich nicht erinnern, den Professor jemals mit einem anderen Gesichtsausdruck gesehen zu haben. Brenzal selbst war vor einigen Jahren dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen, nachdem die Bruchlandung eines gecharterten Flugzeuges halbwegs glimpflich abgelaufen war. Danach war der Professor noch verschlossener geworden.

      Verstohlen sah Frank auf seine Uhr. Jetzt musste der Pfarrer aber bald ein Ende finden. Und wirklich, die Anwesenden setzten sich in Bewegung. Eine lange Schlange von Trauernden bekundete den Eltern und Verwandten ihr Beileid.

      Frank und Dr. Schwenker standen dicht beieinander in der Schlange. Mit Genugtuung registrierte er, dass Dr. Schwenker kein bisschen trockener war als er selbst.

      „Dr. Rudak, ich würde gleich mit ihnen gerne ein paar Worte unter vier Augen wechseln. Bitte begleiten sie mich doch zu meinem Wagen.“ Schwenker sprach die Worte leise und gepresst. Sie waren kaum zu verstehen. Frank schüttelte den Verwandten die Hand. „Mein Beileid.“ Dann zog ihn Dr. Schwenker schon zur Seite und auf einen verlassenen Weg.

      „Hören sie, Dr. Rudak, ich habe nicht viel Zeit, mit ihnen zu reden. Dieses Gespräch muss auf jeden Fall unter uns bleiben. Schauen sie mich jetzt nicht an und tun sie so, als wenn wir uns beruflich unterhalten würden. Bitte stellen sie auch keine Fragen. Es bleibt uns nicht viel Zeit! Im Zweifelsfall unterhalten wir uns über den neuen Inkubator.“

      Dr. Schwenker sprach schnell und abgehackt. So hatte Frank ihn noch nicht erlebt, aber er war ja auch mit seinem Kollegen und Vorgesetzten noch nie in solch einer Situation gewesen. Verstohlen sah er sich um. Missmutig blickte ihnen Professor Brenzal hinterher. Irgendwie lag etwas Merkwürdiges im Blick des Professors. Die Eltern der Verstorbenen redeten gerade intensiv auf den Professor ein.

      „Hey Rudak, hören sie mir überhaupt zu? Also, noch einmal. Sie finden in ihrer Manteltasche eine Chipkarte auf der der Chip fehlt. Es handelt sich um einen Miniaturchip, der keine 5 x 5 mm misst. Er kann eindeutig in die Karte eingesetzt werden, da eine Seite abgeflacht ist. Haben sie das verstanden?“

      Schwenker sah Frank eindringlich an. Dann wandte er sich schnell ab und konzentrierte sich auf den vor ihnen liegenden Weg.

      „Ja sicher, aber was hat ...“

      „Gut, hören sie mir nur zu, wir sind gleich beim Wagen: Eines Tages werden sie vielleicht eine Postkarte von mir erhalten. Schenken sie der Briefmarke dann besondere Beachtung. Es handelt sich im Einzelnen