Jürgen H. Ruhr

Das RFID Komplott


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seine guten Gründe. Nach reiflicher Überlegung war er zu dem Entschluss gelangt, die Postkarte zu suchen. Und jetzt, hier beim letzten von ihm durchwühlten Mülleimer, musste ihn Lydia ausgerechnet erwischen.

      „Ich suche die verdammte Postkarte“, knurrte er und rieb sich die schmerzende Stelle am Kopf. „Du hast sie ja weggeworfen, aber wohin?“ - „Deine Postkarte muss dir ja sehr wichtig sein. Stimmt denn irgendetwas mit Dr. Schwenker nicht? Sag‘s mir, mein Lieber.“

      Der Tonfall erinnerte Frank plötzlich an diesen unsympathischen McDagon, den er auf der Party letztens kennengelernt hatte. „Verdammt, Lydia, wo ist die Karte. Mach‘ es mir doch nicht so schwer!“

      „Na, der Herr verlegt sich jetzt aufs fluchen! Verdammt, verdammt Lydia“, äffte sie ihn nach. „Aber damit du zufrieden bist: Ich habe die Karte zerrissen und draußen in den Mülleimer geworfen. Eine Suche erübrigt sich damit wohl. Und jetzt gute Nacht. Schlaf‘ doch diese Nacht mal auf der Couch. Und in Zukunft möchte ich von solchen Kinkerlitzchen nichts mehr hören!“

      Frank hob den Zeigefinger: „Kinkerlitzchen“

      „Was?“

      „Kinkerlitzchen, es heißt Kinkerlitzchen.“

      Wutschnaubend verließ Lydia die Küche. Verdammt, was war bloß in die Frau gefahren? Warum spielte die Postkarte eine so große Rolle, dass Lydia sich jetzt so aufführte? Frank konnte sich keinen Reim darauf machen. Sicher, Lydia war oft aufbrausend, teilweise unberechenbar und auch rechthaberisch. Aber das hatte er immer auf ihr osteuropäisches Temperament geschoben.

      Dr. Frank Rudak wachte wie gerädert auf. Eine Nacht auf der Couch war wirklich nicht das Wahre. Er musste mit Lydia wieder ins Reine kommen. Allein schon, um seinen Platz im Bett zurückzuerhalten. Mit steifen Gelenken schlurfte er die Treppe zum Schlafzimmer hoch. Aber Lydia war nicht da. War sie schon aufgestanden und machte Frühstück? Er hatte sie doch gar nicht gehört. Frank machte kehrt und schlich in die Küche. Aber auch hier keine Lydia. Dann suchte er sie im Wintergarten. Nichts. Lydia hatte wohl das Haus verlassen. Keine Nachricht, nichts. Frank sah auf die Uhr. Verd... - nein, kein Fluchen mehr. Es wurde Zeit zur Arbeit zu fahren. Er würde heute ohnehin zu spät kommen. Lydia ging ihm nicht aus dem Kopf.

      Im Ärztezimmer rasierte er sich noch schnell und machte sich ein wenig frisch. Schon nahm ihn der Tagesablauf wieder voll in Anspruch. Die Probleme mit Lydia gerieten in den Hintergrund. Das ließe sich doch bestimmt heute Abend klären.

      Aber Dr. Frank Rudak war unruhig. Irgendetwas stimmte nicht. Sein Unterbewusstsein ließ ihm keine Ruhe, immer wieder kreisten seine Gedanken um die Postkarte. Frank beschloss in der Mittagspause ein paar Worte mit Dr. Grander zu wechseln. Was hatte noch genau auf dessen Postkarte gestanden?

      Aber aus seiner Mittagspause wurde nichts. Ein Notfall nahm sie alle in Beschlag. Bis zum Abend fand Frank keine Zeit für andere Gedanken, als die an seine Arbeit. Dafür ließ ihn der Zufall mit Dr. Grander im Parkhaus zusammentreffen. „Dr. Grander, welch seltener Zufall!“

      „Hallo, Dr. Rudak. Wie geht es denn so? Was machen die Kinderchen auf ihrer Station?“

      „Alles bestens. Ich wollte mit ihnen noch einmal über die Postkarte von Dr. Schwenker sprechen.“

      „Ja, die Karte ist verschwunden. Ich hatte sie in der Küche zu meiner übrigen Post gelegt. Plötzlich war sie nicht mehr da.“

      „Hmm, können sie sich erinnern, was genau auf der Karte stand? Wissen sie noch den genauen Wortlaut?“

      „Dr. Rudak, ich habe zwar ein hervorragendes Gedächtnis, aber an solche Kleinigkeiten kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich solle sie grüßen. Das war soweit eigentlich alles. Ein wenig merkwürdig, nicht?“

      „Ja, ein wenig merkwürdig ist es schon.“ Frank wollte Dr. Grander von Lydias Verhalten erzählen, unterließ es dann aber doch. „Naja, dann einen schönen Abend, Dr. Grander. Man sieht sich.“ Frank wandte sich ab.

      „Bis dann, Dr. Rudak. Gut, dass ich wenigstens die Briefmarke verwahrt habe.“ Dr. Grander ging weiter.

      Frank blieb mitten im Schritt wie versteinert stehen. Dann drehte er sich blitzschnell um und jagte hinter Grander her. „Dr. Grander. Moment mal.“ Keuchend holte er Grander ein. Verdammt, ein wenig Sport könnte ihm auch nicht schaden. Er war zu bequem geworden. Schon so kleine Sprints strengten ihn viel zu sehr an. Dabei predigte er seinen Patienten immer, mehr Sport zu treiben. „Können sie das noch einmal wiederholen?“

      „Bis dann, habe ich gesagt.“

      „Nein, das danach.“

      „Sie meinen, dass ich die Briefmarke verwahrt habe? Nun, ich bin passionierter Briefmarkensammler und diese Marke ist etwas außergewöhnlich. Normalerweise genügt die holländische 29 Cent Marke für eine Postkarte. Aber Dr. Schwenker hatte wohl keine andere Marke zur Hand, so dass er eine 39 plus 19 Cent Sondermarke aus der Serie ‚Voor het kind‘ benutzte. Kam mir für meine Sammlung gerade recht.“

      Frank sah Dr. Grander an. „Würden sie mir die Marke zeigen, Dr. Grander?“ - „Natürlich, gerne.“

      Frank sah Grander die Freude darüber an, dass sich jemand für sein Hobby interessierte.

      „Ich zeige ihnen meine Sammlung gerne. Sagen wir am Wochenende?“ Dann überlegte er kurz und korrigierte sich: „Ach nein, ich kann ja erst wieder in zwei Wochen. Lassen sie uns doch den Termin direkt festmachen, sonst kommt wieder etwas dazwischen!“

      Frank schüttelte den Kopf. „Nein, nicht in zwei Wochen. Jetzt direkt. Ich fahre mit ihnen nach Hause und sie zeigen mir die Marke. Ich fahre direkt hinter ihnen her.“ Grander blickte seinen Kollegen verwundert an. „Jetzt direkt? Hören sie, ich habe - und ich nehme an, sie auch - einen anstrengenden Dienst hinter mir. Duschen, etwas essen und den Abend gemütlich ausklingen lassen, das sind meine Pläne für heute. Wir können uns doch in vierzehn Tagen die Sammlung in aller Ruhe anschauen.“ Frank ließ nicht locker. Er selbst wusste nicht warum, aber plötzlich erschien ihm die Marke enorm wichtig.

      „Nein, Dr. Grander. Mir liegt viel daran, die Briefmarke heute noch zu sehen. Gerne schaue ich mir einmal ihre Sammlung an, aber heute muss ich diese eine Marke von der Postkarte Dr. Schwenkers sehen. Nur einen Blick! Ich werde sie auch nicht aufhalten oder stören und danach sofort verlassen.“

      „Na, anscheinend liegt ihnen aber eine Menge an dieser Marke. Ist aber auch ein außergewöhnlich schönes Stück. Gut, dann fahren sie hinter mir her. Sie wissen doch noch, wo ich wohne?“

      Frank reichte Dr. Grander dankbar die Hand. „Sie haben mir sehr geholfen.“

      „Nun warten sie erst einmal ab, noch habe ich ihnen ja nicht geholfen, Dr. Rudak.“ Grander kam das Verhalten doch ein wenig merkwürdig vor. Ja spielten denn alle in Bezug auf diese dämliche Postkarte verrückt? Selbst Professor Brenzal hatte ihn letztens noch quasi ‚ausgequetscht‘ und alle möglichen Fragen zu dieser Postkarte gestellt.

      Frank blieb immer dicht hinter Dr. Grander und achtete darauf, ihn auch ja nicht aus den Augen zu verlieren. Er kannte zwar die Adresse des Kollegen, würde aber den Weg zu dessen Haus nicht so ohne weiteres finden. Schließlich parkte er seinen Wagen direkt vor der Garage Dr. Granders.

      Lächelnd öffnete Granders Frau die Haustür. „Besuch Liebster? Ist das nicht Dr. Rudak? Wir kennen uns von unserer kleinen Feier her. Kommen sie doch herein. Gibt es einen besonderen Grund für ihren Besuch?“ Granders Frau spielte die perfekte Gastgeberin.

      „Dr. Rudak möchte sich nur kurz meine Briefmarkensammlung ansehen, Schatz.“ Grander hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Wange. „Warte bitte noch ein paar Minuten mit dem Essen auf mich. Dr. Rudak wird nicht lange bleiben.“

      Grander ließ sich durchaus anmerken, dass ihm dieser abendliche Überfall nicht passte: „Kommen sie, Dr. Rudak, gehen wir in mein Arbeitszimmer und bringen die Sache hinter uns.“

      Der Raum war mit Büchern vollgestopft. Auf dem riesigen Schreibtisch, der eindeutig das Zimmer dominierte, stand ein älterer