Christina Hupfer

Götter, Gipfel und Gefahr


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Er lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand, seinen Beutel fest umkrampft, während ich mir unter dem dünnen Strahl schnell das Salz aus den Haaren und vom Körper wusch.

      Als ich ihm die Reste seines T-Shirts über den Kopf zog, schrie er kurz auf und ich sog scharf die Luft ein. „Wer hat Dir denn das angetan?” Das grünblaue Streifenmuster auf dem schmalen Rücken war sicher kein Liebesbeweis.

      Behutsam wusch ich ihm das vor Schmutz starrende Haar und den wunden Rücken. Als er danach sich selbst einseifte, sammelte ich unsere Habseligkeiten ein und wickelte mich in meinen Pareo. Ein Blick um die Ecke zeigte mir Sylvie, die bereits frisch gestylt vor dem Wohnwagen saß, während sich Jonas mit dem Nachbarn gegenüber unterhielt. Unsere Parzellen lagen genau am linken Rand des Campingplatzes, der von einer lichten Hecke begrenzt wurde. Der kümmerliche Zaun dahinter wies einige Schlupflöcher auf, durch die die Angler ohne Umwege über einen schmalen Weg durch den Schilfgürtel zum dahinter liegenden Bachbett gelangen konnten. Links von meinem Iglu hinter rosa blühendem Oleander stand der Wohnwagen meiner Freunde. Rechts, zwischen mir und dem Meer wuchsen nur ein paar kleinere Büsche und dahinter auf dem Logenplatz prunkte das Wohnmobil der Familie Schnauz und Kläff. Diesen Titel hatten sie von uns nicht nur wegen ihrer Töle, die sich ausgerechnet mein Zelt als bevorzugten Pinkelplatz auserkoren hatte, erhalten. Herrchen und Frauchen standen in Ihrer Lautstärke seinem Gekläff in nichts nach. Da dort gerade himmlische Ruhe herrschte – vermutlich waren sie auf ihrem abendlichen Rundgang und ihr „Schnucki” wässerte gerade andere Zelte – konnten wir ungesehen von hinten in mein Iglu gelangen.

      „Sei leise und schlafe ein wenig. Ich komme später auch und dann rufen wir deinen Onkel an”, signalisierte ich ihm und huschte dann wieder davon.

      Ich hätte dringend ein Stündchen gebraucht, um einen klaren Gedanken zu fassen, aber als ich zu meinen ahnungslosen Mitreisenden stieß, wartete dort auch noch der Campingnachbar, der mit uns zum Essen gehen wollte. Meine Überlegungen, doch noch meine Taten zu beichten und Rat zu holen, waren somit vom Tisch.

      „Wo warst du denn soooo lange?”, fragte mich Sylvie und kam mir mit ihrem Drink entgegen. „Fast hätten wir einen Suchtrupp losgeschickt.”

      Puh, das hätte noch gefehlt...

      „Wir haben uns schon Sorgen gemacht”, bestätigte Jonas und holte auch für mich ein Glas aus dem Wohnwagen.

      „Oh, ich habe mich am Strand mit einem sehr netten jungen Mann unterhalten (was nicht gelogen war). Es tut mir schrecklich leid, dass ich die Zeit komplett aus den Augen verloren habe.”

      „In diesem Fall bist du entschuldigt!” Sylvies Augen glänzten gleichzeitig aufrichtig erfreut und dabei sehr neugierig. „Ist er auch auf unserem Platz – und siehst Du ihn morgen wieder?”

      „Ich weiß nicht genau – vielleicht...”

      „Es ist zu schade, dass wir morgen abreisen. Wo gerade jetzt gleich zwei Männer um Dich rum streichen.” Sie wies mit dem Kinn kichernd zu dem sehr struppigen Nachbarn, der sich nun auf dem Platz gegenüber häuslich eingerichtet hatte. „Der hat so ganz auffallend beiläufig auch schon nach Dir gefragt. Auf jeden Fall will er uns, na ja, eher dir, heute Abend Gesellschaft leisten.”

      „Das fehlt mir gerade noch.” Ich unterdrückte ein abgrundtiefes Seufzen. „Er ist ja ganz unterhaltsam, aber Männer mit Matratze im Gesicht standen auf meiner Skala der Vorlieben schon immer ganz, ganz weit unten!”

      Dieser bärtige Mann war gestern mit einem VW Caddy angereist und hatte sich, noch bevor wir „Halt” rufen konnten, beim Rückwärtseinparken mit dem alten Olivenbaum neben uns ein Gefecht geliefert. Der Olivenbaum hatte gewonnen. Und nun zierte eine ordentliche Delle das hübsche blaue Fahrzeug. So waren wir ins Gespräch gekommen, hatten ihn bedauert und seinen Wagen bewundert, den er selbst für seine Reise ausgebaut hatte: Ein schmales Bett links zum Hochklappen – wie ein Mann von seiner Größe, schätzungsweise 1,80m, da wohl Platz fand? darunter Stauraum, rechts ein Klapptischchen, ein Einbauschränkchen, ein Leselicht, gespeist von einer Solarzelle, ein kleiner Kocher zum Herausnehmen und sogar ein Mülleimer mit eingeklemmtem Sack.

      Er war schon seit vier Wochen unterwegs, das offensichtlich in ein und denselben Klamotten – musste der nicht arbeiten? – und hatte genau wie wir viel zu erzählen.

      „Immerhin scheint er sich wohl frisch gewaschen zu haben”, lachte Sylvie. „Du müsstest vielleicht noch ein paar Schichten abtragen, aber dann käme, glaube ich, ein ganz passables Exemplar zum Vorschein.”

      „Dazu bin ich heute aber leider viel zu müde”, entgegnete ich trocken und trank mein Glas aus. „Ich zieh mich nur noch schnell an, dann können wir gehen.”

      Schnell rannte ich zu meiner „Höhle” hinter ihrem Wohnwagen. Durch den Zeltstoff hörte ich leises Atmen und als ich vorsichtig den Reißverschluss öffnete, fand ich meinen Schützling zusammengerollt schlafend neben der Matratze, in sein Handtuch und meine sandige Picknickdecke gewickelt. Behutsam hievte ich ihn auf mein weiches Bett. Natürlich erwachte er trotzdem starr vor Schreck. Aber als er mich erkannte, glätteten sich seine Gesichtszüge und sofort fielen seine Augen wieder zu. Dunkle Wimpern lagen wie kleine Monde auf den zarten, olivfarbenen Wangen und der magere Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Und immer wieder zuckten seine Glieder. Was für Träume dieses arme Kind wohl quälten?

      Ich deckte ihn behutsam mit meinem Schlafsack zu, suchte mir dann schnell irgendein Kleid heraus und verrenkte mich fast beim Anziehen, um ihn ja nicht zu stören.

      Mit einem Blick zurück verließ ich zögernd mein Zelt und ging zu meinen Freunden, um in der Taverne unseren letzten Abend zu „genießen”.

      * 4 *

      Die Tische auf der Terrasse vor dem dunklen, samtenen Abendhimmel wurden durch dutzende Kerzenstummel beleuchtet. Ein köstlicher Geruch wehte aus der Küche herüber, in einfachen Gläsern leuchtete rot der Wein und aus der Ferne grüssten die glitzernden Lichter der großen Hafenstadt.

      Normalerweise hätte ich das alles und auch das kurzweilige Gespräch sehr genossen. Wir, das hieß in diesem Moment nur Sylvie und Jonas, hatten ja viel zu erzählen und auch Mark – so hieß der Rübezahl, aus dessen Gesichtsbehaarung ein paar vergnügte blaue Augen blickten – hatte einiges zum Gespräch beizutragen, so dass es nicht auffiel, dass ich ziemlich wortkarg dabei saß. Aber so verschwand ich nach der Bestellung erst mal auf der Toilette.

      „Ich muss mal – ich glaube, ich habe heute irgendetwas Komisches erwischt”, sagte ich und dachte: Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was! Dort saß ich erst mal fünf Minuten – hier hatten sie immerhin eine normale und auch sehr saubere Toilettenschüssel, Standard schwäbische Hausfrau – und sortierte meine Gedanken.

      Erstens: Riki hatte definitiv nichts Gestohlenes dabei. Aus diesem Grund wurde er also sicher nicht gesucht.

      Zweitens: Ich habe ihn schließlich nicht entführt. Ich habe ihm nur geholfen.

      Drittens: Ich fühlte mich, obwohl ich nach gegenteiligen Argumenten suchte, für ihn verantwortlich.

      Viertens: Ich wusste eigentlich genau, was man eigentlich tun müsste und was Jonas ganz bestimmt tun würde, wenn ich ihn einweihte: Den nächsten Polizeiposten aufsuchen und Riki den Beamten dort anzuvertrauen. Aber der nächste Polizeiposten wäre wahrscheinlich in Patras...

      Fünftens: Ich werde nachher nochmals einen Toilettengang vorschützen und den Onkel anrufen. Und dann werde ich weitersehen.

      „Geht es wieder?”, fragte mich Sylvie mitleidig, als sie sah, wie ich mir demonstrativ den Bauch hielt, als ich zurückkam.

      „Wird schon werden.” Es war mir gar nicht recht, sie so anzulügen. „Es zwickt nur noch ein wenig.”

      Ich setzte mich und griff nach dem herrlich kühlen, milchigen Ouzo. „Der wird mir schon helfen.”

      „Ich habe Mark gerade von deiner Beobachtung heute Mittag im Hafen erzählt.

      „Oh,