Matthias Hahn

Cristos' Himmelfahrt


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      Matthias Hahn

      Cristos' Himmelfahrt

      Roman

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       PRAELUDIUM

       INTERLUDIUM I

       INTERLUDIUM II

       INTERLUDIUM III

       INTERLUDIUM IV

       INTERLUDIUM V

       POSTLUDIUM

       Impressum neobooks

      PRAELUDIUM

       Der Engel breitete die Flügel aus. Er ließ sich treiben im warmen Wind, der verspielt an seinen Federn zupfte, leicht wie ein Schmetterling glitt er über die wirbelnde Wolke. Die Hosianna-Gesänge der Seraphim drangen an sein Ohr, fuhren durch seinen ätherischen Körper und lösten unbekannte Hochgefühle in ihm aus, jenseits aller Vorstellungskraft. Er legte die Flügel an, wurde schneller, zog eine elegante Kurve um die wogenden Türme seiner Wolke, überschlug sich in unbeschreiblicher Glückseligkeit und trudelte in jauchzende Höhen. Ja, das war Freiheit, unendliche, bedingungslose Freiheit, nach der er sich kaum zu sehnen gewagt hatte, als sein Körper aus Fleisch ihn noch an die Niederungen des irdischen Lebens gebunden hatte. Doch nun war er hier, für ewig, für alle Zeit, und jeder seiner Sinne sang von beständiger Freude.

       Nun schwebte er am Rand seiner Wolke entlang, folgte ihren verzwickten Windungen, warf einen Blick hinunter auf die ferne Erde. Drunten im blauen Dunst erstreckten sich Wüsten und Wälder, Meere brandeten an die Ufer des Festlandes, sanfte Strömungen kräuselten die Oberflächen stiller grüner Seen. Er sah die Schwärme der Fische in ihren Tiefen, erblickte die zahllosen Tiere, die großen wie die kleinen, Ameisen, die über den Waldboden wuselten, stachlige Igel, die sich zu Kugeln rollten, Hirsche, Rehe, Enten, Füchse … die ganze herrliche Schöpfung des Herrn breitete sich vor seinen Augen aus, und er jubelte vor Glück.

       Äcker trieben in seinen Blick, riesige Monokulturen aus Weizen, Mais und Kartoffeln. In ihrer einfachen Geradheit wirkten sie beinahe wie Fehler in Gottes ansonsten so organisch-vollendetem Bauwerk. Dann wieder ein Wald, doch dieses Mal keine wilde, vielgestaltige Natur aus Buchen, Eichen, Pappeln und zahllosen weiteren Arten von Bäumen und Büschen, nein, geordnet in Reih und Glied reckten gleichförmige Fichten ihre Wipfel zum Himmel empor, wie eine baumgewordene Anklage gegen die natürliche Ordnung.

       Und dann erblickte er das Geschwür.

       Unbeirrt schwebte die Wolke auf die offene Wunde zu, auf graue Häuser, Industrieanlagen, Straßen, Flughäfen, Fabriken, ewig hastende Männer und Frauen in ihren mobilen Käfigen aus Blech, und alles überspannte eine hässliche graubraune Glocke aus gottlosem Dunst, ein einziger in Materie gewandelter Aufschrei gegen den Willen des Herrn.

       Der Engel spürte die Feindseligkeit des Ortes. Erfüllt mit innerem Abscheu stieg er höher, näher an die schützende Wolke. Und doch spürte er eine seltsame Anziehungskraft, die von dem widerwärtigen Gebilde auf der Erde ausging, ein Ziehen und Zerren an den Federn, ein Reißen an seinem Körper, das sich stetig verstärkte, je länger er die Metropole beobachtete. Dort unten musste der Teufel wohnen, der Antichrist, der große letzte Feind des Herrn. Irgendetwas in des Engels Geist akzeptierte diese Wahrheit mit einem merkwürdigen Anflug von perverser Freude, war begierig, herauszufinden, welche Verderbnisse, welche unaussprechlichen Qualen die Hölle unter ihm für seine geläuterte Seele bereithalten mochte.

       Rasch, bevor der Sog des Bösen zu stark für seinen Willen wurde, schwang er sich mit kräftigem Flügelschlag auf die sichere, watteweiche Fläche der Wolke zurück, schloss die Stadt mit all ihren gefahrvollen Versuchungen aus seiner Wahrnehmung aus und lauschte, um seine Seele zu heilen, den heiligen Seraphim, den Weisen unter den Engeln, wie sie das ewige Lob des Allmächtigen verkündeten.

       Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke.

       Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke,

       Wie du warst vor aller Zeit, so dein Ruhm in Ewigkeit.

       Unter dem Einfluss des Gesanges beruhigte sich der Engel und vertrieb das Böse, das nach ihm gegriffen hatte, aus seinem Herzen. Von neuem erfüllte ihn himmlische Verzückung und Glückseligkeit.

      *

      Es war die Hölle.

      Die Wüste empfing sie mit einer Ladung Sand, als sie aus dem Leihwagen ausstieg, der heiße Wind blies ihr die Körner unbarmherzig ins Gesicht. Schnell rückte sie die schützende Sonnenbrille zurecht und band sich ein Tuch um Mund und Nase, dann ließ sie ihre Augen umherschweifen. Man konnte sich nur schwer einen abgeschiedeneren Ort vorstellen als diese Wüste. Sand, Steine, Sonne, vor Hitze flimmernde Luft, und so weit die Augen blickten, die majestätischen, ewig wandernden Dünen, die alles Lebendige unter sich begruben und ebenso alles, was jemals lebendig gewesen war. Dazu das ewige Heulen des Windes, das geradezu eifersüchtig kein anderes Geräusch an die Ohren dringen lassen wollte … der perfekte Ort für die ewige Ruhe. Und doch, manchmal grub der Wind auch Dinge wieder aus, die besser noch einige Zeitalter verborgen geblieben wären.

      Kriminalkommissarin Emma Lind nahm den Tatort in Augenschein. Acht bis zur Unkenntlichkeit verformte Skelette hatten die Helfer bisher aus dem feinen Sand gebuddelt, und keiner konnte wissen, wie viele Leichenreste noch unter den Dünen auf ihre Entdeckung warteten.

      „Das waren Profis“, murmelte ein hagerer Mann im mittleren Alter, anscheinend der Leiter des Bergungsteams. Eine auf seiner Jacke aufgeklebte Plakette wies ihn als Hauptwachtmeister des regionalen Polizeidienstes aus. Er zeigte auf zwei Gestalten im weißen Schutzanzug, die zwischen den Leichenresten herumturnten und Proben nahmen.

      „Ich glaube nicht, dass unsere Spurenfuzzis was finden“,

       erklärte der Hauptwachtmeister. „Alles schön säuberlich mit Flugbenzin übergossen und verbrannt. Keine Fingerabdrücke, keine Augenscans, noch nicht mal intakte DNA. Das waren echte Profis.“

      Er wandte sich der Kommissarin zu.

      „Ach ja, ich heiße Rabe. Wie der arktische Vogel.“

      „Emma Lind.“

      „Freut mich. – Etwa die Emma Lind, die den Rekombinanten geschnappt hat?“

      „Ist schon ewig her“, wiegelte Emma ab und deutete auf die Skelette. „Waren ja gut versteckt, diese Leichen.“

      „Ein Riesenzufall, dass wir sie überhaupt entdeckt haben. Liegen wahrscheinlich schon Jahre unter der Düne, zumindest einige von ihnen. Wenn der Sandsturm vorgestern nicht gewesen wäre, würden sie vermutlich jetzt noch hier ruhen. Wär vielleicht auch besser so.“

      Emma beschloss, kein Mitgefühl für den Hauptwachtmeister zu empfinden. Verstehen konnte sie ihn zwar, ein Fall dieses Ausmaßes mitten in der fränkischen Wüste, da war für Polizisten nicht viel zu holen außer