Matthias Hahn

Cristos' Himmelfahrt


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Freundlichkeit geronnener Miene. Wie oft hatte dieser Volltrottel, der sich ihr Vorgesetzter nennen durfte, mit seinen ach so unglaublichen Erlebnissen in dieser Plastikstadt geprahlt. „Hat ihm angeblich sehr gefallen“, presste sie zwischen den Lippen hervor.

      „Und jetzt dürfen Sie selbst dorthin“, gratulierte Bruno strahlend. „Ist das Leben nicht wunderbar?“

      INTERLUDIUM I

      

       Herr! Des Himmels heilig Chor, Cherubim und Seraphinen

       Singen dir Loblieder vor, alle Engel, die dir dienen,

       Rufen dir stets ohne Ruh: Heilig, heilig, heilig zu.

       Der Lobgesang der Engel trug ihn empor, über die durchscheinenden Wipfel seiner Wolke hinaus in neue, ihm noch unbekannte Dunstkreise des Äthers. Kaleidoskopeske Luftspiegelungen umflirrten ihn, überirdische Wesen materialisierten sich und verschwanden wieder in der Ewigkeit des Universums. Stufe um Stufe schwebte er höher, durch alle Kreise der niederen und mittleren Engel, der Throne, Mächte und Gewalten, bis die Erde mit all ihren guten und schlechten Werken nur noch als blau-weiße Scheibe unter ihm im Schwarz des Weltalls dahintrieb, während über ihm die Lichter der Sterne sich entzündeten, weiß und rot und blau, je nach der Größe und der Leuchtkraft, die der Herr ihnen zugedacht hatte. Er sah die Wandelsterne über den Himmel ziehen, Merkur, flink, kaum dass er einen Blick auf ihn erhaschen konnte … Venus, der Planet der Liebe, eine schmale Sichel, hell, sanft und warm … Mars in seinem rötlichen Schimmer, er verkörperte Blut und Kampf … der mächtige Jupiter mit seinen Trabanten … Saturn inmitten seiner geheimnisvollen Ringe … Die Erhabenheit der Gestirne weckte Demut in dem Engel, ergeben faltete er die Hände, um Gott für all diese Wunder zu danken, immer und immer wieder.

       Und dann sah er es. Weit, weit, in unendlicher Entfernung, jenseits aller Planeten, Galaxien und Sterne, da schwebte es, sein letztes und endgültiges Ziel, das Höchste allen Strebens. Dort, hinter einem gewaltigen Tor aus schwarzem Diamant, umgeben von einer gewaltigen kosmischen Wolke, oszillierend in vielen hunderttausend Farben, dort thronte der Herr des Himmels und der Erde, der Erschaffer des Lebens und Schöpfer aller Engel, der hohen wie der niederen. Gott!

      *

       Hey, Eugene, wir lieben dich, oh, wir preisen deine Stärke.

       Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke.

       Wie du bist in unsrer Zeit, so dein Ruhm in Ewigkeit.

      Die Stimmen der Schüler hallten durch die nüchtern eingerichtete Aula, nicht alle trafen exakt den Ton. Ob Eugene Worthy, der Schöpfer, dem die sängerischen Bemühungen galten, diese Darbietung für würdig befunden hätte? Eher nicht, vermutete Cristos und sah kurz zu der über den Häuptern der Anwesenden schwebenden Holographie auf. Mit väterlicher Strenge blickte Worthys markantes Gesicht auf seine Schutzbefohlenen hinunter und verzog wie stets keine Miene. Zum Glück hing die Karriere der Schüler nicht von ihren musikalischen Fertigkeiten ab.

       Hast den Himmel uns geschaffen, von der Not uns all befreit,

       Gabst uns allen Arbeitsplätze, wir danken dir in Ewigkeit

       Lasst uns mehren deinen Ruhm; alles ist dein Eigentum.

      Acht lange Jahre hatte Cristos Mandrakos hier auf dieser Schule im warmen Oslo verbracht, der „norway academy of synthetic brain sciences“, wie sich die Anstalt hochtrabend nannte. Seine Mutter war stolz darauf, dass sie ihrem Jungen einen Platz an dieser Eliteschule hatte sichern können. Fast ein Viertel ihres Eugene sei Dank nicht gerade kleinen Gehalts hatte sie für die Zukunft ihres Sohnes geopfert. Nur wenige Alleinerziehende hätten sich das leisten können. Und nun, in diesem Augenblick, konnten einige wenige Worte all ihre Mühen zunichte machen. Das Drama würde seinen Lauf nehmen, unabwendbar, die schwere Stunde, durch die alle Schüler irgendwann einmal hindurchgehen mussten, warf ihre finsteren Schatten voraus. Cristos spürte, wie die Anspannung in ihm wuchs, fast als wartete er auf seine Hinrichtung. Er warf einen Blick in die hinteren Reihen des Publikums, zu seiner Mutter, die das Geschehen mit bangen Augen verfolgte.

       Durch dich steht die Himmelstür allen, die dich preisen, offen.

       Gabst uns eine Zukunft, Herr, die wir nicht gewagt zu hoffen;

       Machst unser Leben lebenswert, unser Lied dich ewig ehrt.

      Direktor Klein trat an das Rednerpult. Mit strenger Miene sah er sich um, bis auch das letzte aufgeregte Tuscheln verklungen war. Tief atmete er durch, ordnete seine Notizzettel, räusperte sich und begann mit seinem Vortrag.

      „Liebe Schüler …“ – sein Blick schweifte genüsslich über die Menschenmenge – „… liebe Eltern und Kollegen, es ist mir eine besondere Freude, in diesem Jahr 2088 die Abschlussrede vor unseren Absolventen halten zu dürfen.“

      Ein netter Beginn, dachte Cristos, aber das hatte nicht viel zu bedeuten.

      „Was wir sind“, fuhr der Schulleiter fort, „verdanken wir einem einzigen Mann: Eugene Worthy, in dessen Schuld wir alle für immer stehen.“

      Ja, natürlich, zuerst musste Worthys Name fallen. Immer musste zuerst Worthys Name fallen.

      „Dieser große Mann hat nicht nur die ,Heaven Corporation‘ gegründet, den Himmel gebaut, hunderttausende stabiler Arbeitsplätze auf der ganzen Welt geschaffen und allein mit seinen Firmengründungen das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren um durchschnittlich 5,5 Prozent erhöht, nein, was oft vergessen wird: Eugene Worthy ist ebenso verantwortlich für die qualifizierte Ausbildung von fünfzehntausend jungen Menschen in insgesamt 82 Fachschulen auf der ganzen Welt, nicht zuletzt in unserer Anstalt hier, der, so darf ich mit Fug und Recht behaupten, angesehensten Eliteschule in diesem Land, vielleicht sogar der angesehensten Schule im gesamten Süden des bewohnten Teils Europas. Stets hat Worthy großen Wert darauf gelegt, den wissenschaftlichen Nachwuchs umgehend und nachhaltig zu fördern.“

      Laber, laber, laber … wann kam der Herr Direktor denn nun endlich zur Sache?

      „Unserer Einrichtung hat es daher nie an Mitteln gefehlt, wofür wir neben dem großen Worthy auch Pataya Kahn und Cha Il Kim, den ausführenden Vorständen der Heaven Corp. in aller Bescheidenheit danken wollen sowie nicht zuletzt Ruthlene Handsome, der Bereichsleiterin für das südliche Europa. Schließlich liegt die Förderung unserer Einrichtung gerade Ruthlene Handsome wie keiner anderen am Herzen, hat sie doch auf den Tag genau vor fünfzehn Jahren ihr Reife­zeugnis eben hier an dieser unserer Schule erworben.“

      „Die Arme“, flüsterte die neben ihm stehende Carlita in Cristos’ Ohr.

      „Psst!“

      Es war unpassend, über Halbgöttinnen wie Pataya Kahn oder Ruthlene Handsome Witze zu reißen, über diese überirdischen Gestalten, so fern von der Welt der Normalsterblichen, die sie verehrten, dass sie genauso gut hätten tot sein können. Christos warf einen gespielt strengen Blick auf das dunkelhaarige Mädchen neben ihm, schmunzelte dann aber doch. Innerlich verbrannte er beinahe vor Liebe, wenn er sie betrachtete. Sogar in der hässlichen Schuluniform schaffte sie es noch, einfach nur hinreißend auszusehen.

      „Wir alle dürfen stolz darauf sein“, lenkte die Stimme des Schulleiters Cristos’ Gedanken wieder auf die unerbittliche Realität des Augenblicks, „dass wir dazu auserwählt wurden, an dieser unserer Schule lernen oder sogar lehren zu dürfen, und ich will Ihnen nun von einer außergewöhnlichen Tatsache berichten. Vielleicht haben Sie es ja schon geahnt, aber nun ist es zur Gewissheit geworden: Wir Lehrenden dürfen diesmal besonders stolz auf uns sein. Denn unser diesjähriger Absolventenjahrgang hat – vielleicht auch ein wenig dank unserer Hilfe – die beste Durchschnittspunktzahl in einer Abschlussprüfung erreicht, und zwar seit der Gründung dieser unserer Schule.“

      Allgemeiner