Matthias Hahn

Cristos' Himmelfahrt


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er ihr nicht genug Nachhilfe gegeben, damit sie die Prüfung überhaupt bestand?

      In diesem Moment lachte Carlita, und Cristos fühlte, wie all sein Ärger verflog, wie jedes Mal, wenn sie auf diese nette Art ihre strahlend weißen Zähne präsentierte. Der dicke Sven und der doofe Olli lachten mit, Cristos glaubte, von irgendwoher seinen Namen zu hören, und dann sah er, wie der dicke Sven seine Pranke auf Carlitas Schenkel platzierte. Carlita ließ es sich gefallen, und Cristos richtete sich ein wenig auf, um die Szene besser beobachten zu können.

      „Herr Mandrakos?“ Die Stimme des Direktors riss ihn aus seinen Betrachtungen.

      „Was?“ Cristos wandte sich zu seinen Tischgenossen. „Entschuldigen Sie, Herr Direktor, ich war gerade in Gedanken.“

      „Kann ich gut verstehen, Junge, wäre ich auch, wenn ich in die Fußstapfen der großen Ruthlene Handsome treten dürfte.“

      „Ja, es ist ein großes Glück“, fügte des Direktors Gattin hinzu, „dass Sie diese Stelle bekommen haben, bei der Lage heutzutage.“

      „Der Herr Direktor hat dich gerade gefragt, was für dich an der Arbeit im Himmel am interessantesten ist“, klärte Cristos’ Mutter ihren Sohn auf.

      „Dass ich mir dabei gleich mit anschauen kann, wo ich später mal lebe“, antwortete Cristos.

      „Das ist eben das Schöne an einer solchen Position“,

      mischte sich die Direktorengattin ein. „Sie gehören bald zu den Gutverdienern, zumindest falls Sie sich bewähren, und sie können sich, ihrer Lebenspartnerin und wenn sie möchten auch noch ihrer Mutter einen schönen gemütlichen Platz da oben bezahlen. Viele andere können das nicht.“

      „Berta!“, beschwerte sich ihr Mann.

      „Die müssen nehmen, was sie kriegen können“, fuhr die Frau ungerührt fort. Cristos erinnerte sich, dass der Direktor irgendwann einmal erwähnt hatte, sie wäre ein hohes Tier in irgendeiner Arbeitergewerkschaft.

      „Alle haben es gut dort oben, Berta“, warf der Direktor ein.

      „Aber einige haben es besser.“

      „So ist nun mal die Welt. Musst du denn dieses schöne Fest durch diese dumme gesellschaftspolitische Diskussion verderben?“

      „Also bitte, man wird doch wohl noch was sagen dürfen“, zischte die Frau.

      „Also ich werde für meine Mutter nur den besten Platz aussuchen“, versuchte Cristos die Auseinandersetzung zu entschärfen.

      „Ist er nicht ein guter Sohn?“, bedankte sich Frau Mandrakos mit einem herzlichen Lächeln, das jedoch schnell wieder den Sorgenfalten Platz machte, die ihr Gesicht verunziert hatten, seit das Gespräch auf den Himmel gekommen war. Cristos fiel dieser Umstand nicht auf, seine Gedanken kreisten wieder um Carlita, darum, ob er auch sie mit in den Himmel nehmen würde, und er riskierte einen kleinen Seitenblick. Der dicke Sven flüsterte Carlita gerade ein paar Worte ins Ohr, was diese zu einem heftigen Gackern veranlasste.

      Na dann nicht, fluchte Cristos innerlich. Er nahm sich ganz fest vor, Carlita später zu fragen, seit wann sie einen so schlechten Geschmack an den Tag legte, und wandte sich wieder dem Tischgespräch zu, wo die Frau Direktor sich gerade an ihren wohlformulierten Argumenten berauschte.

      „Großräumige Wohnungen, Musikfeste, Vernissagen oder, für die ganz Reichen, sogar persönliche Engel und Appartements mit realem Erdblick. Das können sich die Otto Normal­verdiener nicht leisten. Was meinen Sie, Frau Mandrakos?

      „Ja, ja, aber es ist ja trotzdem gut, wenn man im Alter da oben ist.“

      „Gut?“

      „Eine Freundin von mir hat neulich ihre Arbeit verloren, einen Lebenspartner hat sie auch nicht, oder reiche Verwandte.“

      „Mami!“, zischte Cristos leise. Er konnte es überhaupt nicht ertragen, wenn seine Mutter ihn hier vor diesen wichtigen Leuten mit Arme-Leute-Geschichten blamierte.

      „Sie wird niemals in den Himmel kommen“, fuhr Frau Mandrakos fort. „Ich habe schreckliche Dinge gehört über die armen Menschen, die hier unten bleiben müssen, wenn sie alt werden. Niemand kümmert sich um sie, sie sitzen auf der Straße und leben vom Betteln, und wenn sie krank werden, dann sind sie ganz schnell …“

      „Ich bin mir sicher, sie wird wieder eine Arbeit finden“,

      trös­tete der Direktor sie knapp, doch Cristos konnte in der Miene des Schulleiters die Irritation darüber lesen, dass seine Mutter Freunde hatte, die in die Unterschicht abzurutschen drohten.

      „Ja, das ist die Kehrseite unseres kapitalistischen Systems“, mischte sich des Direktors Gattin streitlustig ein.

      „Berta!“

      „Vielen Menschen, die ihr ganzes bisheriges Leben hart gearbeitet und am Rande des Existenzminimums gelebt haben, um ihre Altersvorsorge bezahlen zu können, stehen plötzlich vor dem Aus, nur damit die reichen Aktionäre noch mehr Geld scheffeln können.“

      „Berta, bitte!“

      „Ihnen geht es nicht besser als den Massen, die in den Slums rund um unsere Städte dahinvegetieren.“

      „Nur dass die in den Slums wenigstens nicht ihr Leben lang geschuftet haben“, warf Cristos’ Mutter ein. „Und außerdem hört man immer wieder, dass sich dort draußen noch die Familien um die Senioren kümmern.“

      „Womit denn?“, entgegnete Berta. „Laut Statistik jedenfalls liegt die mittlere Lebenserwartung für die Slummies etwa 25 Jahre unter der von uns Städtern. Ein Sechzigjähriger kann im Himmel durchaus noch mit weiteren fünfzehn Jahren rechnen, in einem Slum, wo sowieso nur wenige sechzig werden, vielleicht noch mit fünfzehn Monaten.“

      „Berta! Wir sind hier nicht auf einer Wahlkampfveranstaltung“, wies ihr Mann sie zurecht. „Und überhaupt: Was machen wir uns eigentlich so viele Sorgen um diese Slummies? Sind doch selbst daran schuld. Die wollen es doch gar nicht anders. Die sind doch glücklich, so wie sie sind, die sind ja glücklicher als wir.“

      „Schönrederei!“

      „Ach, was für uns zählt, ist doch einzig und allein Leistung. Wir leisten etwas, und dafür werden wir belohnt. So funktioniert unsere Gesellschaft. Wer ein wenig leistet, bekommt ein wenig, wer mehr leistet, mehr. Und nur wer wirklich viel leistet, bekommt die höchste Belohnung, die es auf dieser Welt gibt: dass er anderen helfen kann, dass er sehen kann, wie sich andere zu guten Menschen entwickeln, zu Leistungsträgern in unserer Gesellschaft.“

      „Warum hilfst du statt deinen Eliteschülern nicht auch mal den Slummies?“

      „Weil die eben nichts leisten wollen. Eugene Worthy hat einmal gesagt …“

      „Ach komm, jedes Mal, wenn du nicht mehr weiterweißt, kommst du mir mit deinem Eugene Worthy!“

      Die Gattin des Direktors deutete sarkastisch nach oben, auf das überdimensionale Gesicht des berühmten Mannes. Anlass genug für den Direktor, zu einem längeren Vortrag anzusetzen.

      „Berta, bitte! Eugene Worthy ist der größte Mann, der jemals hier auf der Erde lebte. Er kam aus dem Nichts. Und was hat er nicht alles erreicht? Er hat sich hochgearbeitet, Stufe für Stufe, bis er schließlich ein großes, funktionierendes Firmenkonsortium als Haupteigner übernahm. Und aus diesem hat er dann den größten Konzern des Planeten gemacht. Fast elf Pro­zent des jährlichen Geldumsatzes auf der ganzen Welt laufen über die Heaven Corp oder eines ihrer Subunternehmen. Ohne ihn gäbe es keinen Himmel. Damals, als der Big Elevator, der große Fahrstuhl in den Weltraum, seinen ursprünglichen Zweck erfüllt hatte und rapide an Wert verlor, hat er ohne zu zögern die Gunst der Stunde genutzt, all sein Vermögen riskiert und den Fahrstuhl aufgekauft. Und dann hat er dort oben den Himmel gebaut, peu à peu den alten Menschen wieder eine Zukunft gegeben und der Menschheit eine Perspektive.“

      „Leider nur einem kleinen Teil der Menschheit“, warf des Direktors Gattin ein.

      „Schön,