Sheyla McLane

Die Sonne über Seynako


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die höchste Position bekleidete, war er doch nicht der mit dem stärksten Charakter. Vielleicht beschämten die Worte seines Freundes ihn deswegen, weil er wusste, dass Ivar sich dessen gewiss war, und er ihn trotzdem verehrte. „Du hast Recht. Ich sollte… ich werde es versuchen.“

      Die Kleine sah nicht so armselig aus, wie er angenommen hatte, das musste Alefes zugeben. Jetzt, da sie gebadet, gekämmt und ihr Gesicht gepudert war, wirkte sie viel gesünder und rosiger. Der Kontrast ihrer blonden Haare zu dem schwarzen Kleid, das sie trug, war ein ungewohnter Augenschmaus für ihn.

      „Mehr Wein?“, fragte er und ließ eine Bedienstete nachschenken, obwohl bereits eine heitere Röte Irinas Gesicht überzog. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und seufzte wohlgefällig. „Genießt du den Überfluss, den ich dir biete?“

      „Ich genieße nur Eure Anwesenheit, Meister.“, erwiderte sie und lächelte zurückhaltend. „Meister, darf ich Euch eine Frage stellen?“

      „Ich verabscheue Fragen. Doch zur Belohnung für deine Dienste darfst du mir heute eine stellen.“

      „Diese vielen Männer, wer waren sie und woher kamen sie?“

      „Das waren gleich zwei Fragen auf einmal.“

      „Verzeiht mir meine Neugier, Meister.“

      Alefes erhob sich und trat an das offene Fenster. „Der Himmel ist heute von ausgesuchter Klarheit. Komm und bewundere mit mir die Schönheit der Nacht.“

      Gehorsam stand Irina auf, ergriff seine ausgestreckte Hand und hob ihre glänzenden Kulleraugen zum nächtlichen Himmel.

      Der Halbgott trat noch näher an sie heran. „Diese Männer kamen aus deinem Land, Irina, aus Seynako. Sie sind den ganzen langen Weg geritten, um dich zurückzuholen. Möchtest du zurück?“ Das Mädchen schüttelte heftig mit dem Kopf, sodass ihre blonden Locken sein Kinn streiften. „Siehst du, es war gut von dir, sie zu töten.“

      Nur einen hatte sie am Leben gelassen. Ein Mann reichte aus, um König Darius Bericht zu erstatten.

      „Ein bisschen fehlt mir meine Mutter.“, sagte das Mädchen mit leiser Stimme. „Aber sie hat ja noch meinen Vater und meinen kleinen Bruder Simon, da muss sie sich nicht einsam fühlen.“, fügte sie schnell hinzu. Ihre Gedanken standen gänzlich unter seiner Kontrolle. Wenn er ihnen Freiraum gab, dann nur, um sich nicht dabei zu langweilen, immer das aus ihrem Mund hören zu müssen, was er hineingelegt hatte.

      „Weißt du, ich interessiere mich sehr für dein altes Zuhause. Sag, was erzählt man sich über mich in Seynako?“

      Irina kicherte. „Die Menschen sprechen von Eurer Grausamkeit.“ Alefes nickte zufrieden. „Und manche behaupten, dass es Euch gar nicht gebe, sondern dass Ihr ein Vorwand des Clans der Ritter von Donovon seid, um Eure Untertanen beherrschen zu können.“

      „Ach ja?“ Er wusste nicht, ob er lachen oder Ärger verspüren sollte. „Und der König? Wie denkt der König über das Reich des Nordens?“

      Unbekümmert zuckte Irina mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Aber ich denke, er muss große Angst vor Euch haben, wenn er sich sogar den Seher ins Schloss holt. Den, der prophezeit hat, dass...“

      „Das ist mir nicht neu.“

      „Dann wisst Ihr auch, welche geheimnisvolle Waffe das Mädchen mit dem blauen Haupte besitzt, die Euch zu besiegen vermag?“, fragte Irina und wandte sich erstmals während ihres bisherigen Gesprächs ihm zu, um ihn anzusehen.

      „Ich habe dir nicht gestattet, mir weitere Fragen zu stellen.“, zischte Alefes unwillig, denn ihm war aufgefallen, dass er sie nicht zu beantworten vermochte. Es klang hohl und absurd in seinen Ohren – eine Waffe, die ihn zu besiegen vermochte. Niemand, kein Wesen, das auf Erden weilte, hatte magische Kräfte, die mit den seinen vergleichbar waren. Eine Menschenfrau brauchte er von allen möglichen Widersachern am wenigsten zu fürchten. Und dennoch erahnte er eine Bedrohung. Ein Windhauch nur, der den unbezwingbaren Felsen streichelte. Eine harmlose Brise oder aber der Vorbote eines apokalyptischen Unwetters.

      Nachdem Allan die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ er sich ächzend auf einen Stuhl fallen und tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn. Es war nicht einfach gewesen, dem Soldaten, der den Angriff im Feoras-Gebirge überstanden hatte, eine Schilderung dessen abzuringen, was sich zugetragen hatte. Nur brockenweise war er mit der Sprache herausgerückt. Wahrscheinlich wusste er selbst, dass seine Geschichte unwirklich und nach reiner Einbildung klang.

      „Was hat er gesagt?“, wollte Darius wissen, nachdem er den Seher zu sich beordert hatte.

      Dieser schaute sich um, entdeckte aber zur Rechten des Königs nur den Prinzen. „Wo ist Azur?“, fragte er.

      „Ich hielt es für richtig, sie, was diese Sache betrifft, vorerst nicht unterrichten zu lassen.“, antwortete Darius. „Darüber werde ich nicht mit dir diskutieren. Und nun sag, was du erfahren hast.“

      Allan räusperte sich bedeutungsvoll. „Der Soldat berichtete mir Folgendes: Er und seine Begleiter hatten soeben einen unheimlichen Wald durchquert und rasteten an einem seichten See, als sie plötzlich eine Frau um Hilfe rufen hörten. Drei von ihnen blieben beim Lager. Zwei, darunter unser Soldat, gingen los, um zu erkunden, woher die Schreie kamen. Sie fanden ein Mädchen, das am Boden lag und jammerte, sie sei gestürzt und habe sich dabei den Fuß gebrochen. Das Gelände um den See war karg und steinig, der Untergrund hier und da von Rissen durchsetzt, darum kam es den Männern zunächst nicht verdächtig vor. Als sie sie fragten, ob sie Irina aus Ghabran sei, gab sie es zu. Weil sie über starke Schmerzen klagte, trugen sie sie zum Lager, um dort ihre Verletzung zu versorgen.

      Aber dort angekommen sprang sie auf, stahl einem der Männer seine Klinge und griff an. Sie muss gekämpft haben wie eine Naturgewalt.“ Allan schüttelte sich bei der Vorstellung. „Dann hat sie den armen Kerl gezwungen, seinem eigenen Landsmann die Kehle durchzuschneiden, bevor sie auf ein Pferd stief und damit verschwand. Nach Norden.“

      Einen Moment lang herrschte betroffenes Schweigen. „Unglaublich.“, murmelte der König. „Dazu kann das Gör unmöglich in der Lage gewesen sein, man sagte mir, sie sei noch keine siebzehn Jahre alt.“

      Allan blickte nachdenklich auf seine Schuhspitze und sprach, als ob er mehr mit ihr, denn mit Darius reden würde: „Ich habe ihre Mutter befragt und dabei herausgefunden, dass Irina kurz vor ihrem Verschwinden urplötzlich anfing, von einem Meister zu schwafeln. Ähnlich wie ihre Großmutter. Nehmen wir an, diesen Meister gäbe es wirklich.“ Er blickte auf, seine alten Augen waren vollkommen klar. „Wenn es ihn gibt, dann muss Irina das Feoras-Gebirge durchqueren, um zu ihm zu gelangen. Hierfür und auch für den hinterlistigen Überfall auf die Gesandten ist eine ungeheure Kraft vonnöten, die ein Mädchen unmöglich von selbst hätte aufbringen können. Ebenso wenig wie eine gebrechliche Großmutter in der Lage gewesen wäre, drei Männer in ihrem besten Alter tödlich zu verletzen.“

      Alec sprang auf und schnippte mit den Fingern, als ob ihm eine Eingebung zuteil geworden wäre. „Vater, was ist mit den Versen, die die Alte unten im Kerker gesungen hat? Darin ist von einer dunklen Macht die Rede, von einer erfüllenden Kraft, die der Meister mit ihr teilte.“

      Allan nickte abwesend. In Gedanken war er schon dabei, den Faden weiter zu spinnen. „Dieser Jemand gibt seinen Opfern also für eine gewisse Zeit einen Teil seiner Macht und ich wage die Theorie aufzustellen, dass er diese erst mit dem Tod der betreffenden Person wieder zurückerlangt, sonst hätte er sich nicht die Mühe machen müssen, der Frau im Kerker das Leben zu nehmen.“

      „Du willst sagen, dass an jenem Tag unten im Gefängnis wirklich jemand war, den wir nicht sehen konnten?“, hakte Darius nach.

      „Azur hat seine Anwesenheit gespürt.“, erwiderte Allan selbstsicher. „Und wenn dieser jemand nicht körperlich zugegen war, dann ein Teil seiner Energie. Er scheint uneingeschränkten Zugriff auf seine Opfer zu haben und sich ihrer bedienen zu können, wie es ihm passt.“

      „Ein Übel wird auf unser Land zukommen, das wir nicht bekämpfen können, weil wir