Sheyla McLane

Die Sonne über Seynako


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Meister.“

      Zwei Wölfe, kurz vor dem Kampf und das einzige Stück Fleisch. Ausgehungert, kampfeslustig, jeder noch so verkümmerte Muskel aufs Äußerste gespannt. Alefes tat ihnen den Gefallen und flüsterte die Worte, auf die sie gewartet hatten: „Die dunkle Macht ist in euch. Kämpft!“

      Zufrieden gewahrte er, wie Enya ihre Fäuste gegen Phelans Brust schlug, sodass dieser nach hinten stürzte und beide zu Boden gingen. Trotz ihrer dürren Statur wohnte ihr eine ungeheure Kraft inne.

      Er packte ihre Handgelenke, die knackten, als ob sie unter seinem festen Griff aufschreien würden, zog sie auseinander, worauf sie den Halt verlor und vornüberkippte. Das nutzte er aus, um ihr eine kräftige Kopfnuss zu verpassen. Benommen ließ sie sich auf den Rücken rollen. Phelan saß nun auf ihr und schlug gnadenlos auf sie ein. Die Schläge waren zielgerichtet und wuchtig. Alefes sah ihnen noch eine Weile zu, wie sie sich gegenseitig drangsalierten, austeilten, einsteckten und immer wilder wurden, anstatt zu ermüden.

      Schließlich sprang Enya ihren einstigen Geliebten an, klammerte sich mit Armen und Beinen an ihn und biss ihn so heftig in die Schulter, dass er vor Schmerz aufjaulte. Blind vor Zorn rammte er sie gegen die Gitterstäbe seines Käfigs. Sie ließ von seiner Schulter ab, nun ihrerseits schreiend, die Zähne rot vom Blut ihres Gegners. Immer wieder rannte Phelan gegen die Stäbe, doch sie ließ nicht eher von ihm ab, als bis der Käfig verbeult und ihr Rückenmark zu Matsch geschlagen war. Erst dann lockerte sich ihr Griff und sie sackte zu Boden, kaum noch fähig, die Glieder zu rühren. Um sicherzugehen, dass sie nicht wieder aufstehen würde, versetzte Phelan ihr einen Tritt gegen die Schläfe. Schwer atmend, die Hand an der verletzten Schulter, wandte er sich zu seinem Meister um. „Seid Ihr zufrieden mit mir, Meis…“

      „Warum hat das so lange gedauert?“

      „Verzeiht mir.“

      „Du bist dein Futter nicht wert. So schlecht, wie du gekämpft hast, verdienst du es nicht. Aber weil ich heute in gnädiger Stimmung bin, sollst du das Essen bekommen.“ Alefes warf ihm eine rohe Keule zu.

      Während Phelan sich über die Henkersmahlzeit hermachte, wandte der Halbgott sich Enya zu. Er kniete sich neben sie und strich mit spitzen Fingern eine Strähne von ihrer schmutzigen, blutigen Stirn. Sie hatte gekämpft wie zehn Männer. Aber Phelan war stärker gewesen. Zauberformeln flüsternd streckte er seine Hand über ihr aus, setzte die gebrochenen Knochen und gerissenen Sehnen in ihr zusammen. Heilungszauber waren zwar nicht seine Spezialität, da er sie eigentlich nie verwendete, aber verfehlten sie dennoch nicht ihre Wirkung. Ohne sie zu berühren, rückte Alefes die Wirbel zurecht und ließ die Organe wieder ihre zugedachte Funktion aufnehmen. Der Körper des Mädchens verdrehte sich krampfartig, begleitet von unnatürlichem Knacken. Er hörte erst auf, als die Wunde an Enyas blasser Schläfe sich schloss. „Leg ihr wieder Fesseln an und bring sie in ihren Käfig.“, befahl er Phelan.

      „Wie Ihr wünscht, Meister. Das nächste Mal mache ich Euch ganz gewiss stolz. Das schwöre ich.“

      „Pst, Mädchen. Hier bin ich. Hallo.“

      Azur blieb stehen und lauschte. Die leise Stimme hallte in dem langen, möbellosen Gang wieder. Links führte er zu den Stallungen, wo sie beabsichtigte, Doodle einen Besuch abzustatten. Rechterhand ging er in die königliche Küche.

      „Hey!“

      Erschrocken wirbelte Azur herum und presste eine Hand auf ihr rasendes Herz.

      „Ich bin es. Tut mir leid, wenn ich dich überrascht habe.“, sagte Neal und zauberte ein Bündel hinter seinem Rücken hervor. „Weißt du, ich habe hier ein Stück wunderbares, zartes Rindfleisch. Und ich dachte – weil du praktisch hier zu wohnen scheinst, warum auch immer, also… vielleicht wäre es dir möglich, den Koch zu fragen, ob er es mit einer guten Rosmarinsoße zubereitet, und es mir dann zu bringen?“ Neal drückte ihr das eingewickelte Stück Fleisch in die Hand. „Danke, das ist lieb von dir. Ich warte bei deinem Pony auf dich.“ Und weg war er.

      Zerstreut schüttelte Azur den Kopf. Was sollte sie nur mit dem Rindfleisch machen? In die Küche bringen konnte sie es nicht, doch wegwerfen wollte sie es ebenso wenig. Außerdem würde Neal morgen noch in Doodles Stall sitzen, wenn sie nicht kam. Seufzend wählte sie den rechten Gang.

      In der Küche war es angenehm warm und es roch köstlich nach Gewürzen. Der Koch war alles andere als erfreut über ihren Besuch und die Mägde musterten sie argwöhnisch, aber da sie ein Gast Seiner Majestät war, trauten sie sich nicht, Azur vor die Tür zu setzen. Zaghaft drückte sie dem Koch das eingewickelte Fleisch in die Hand, zeigte auf ein Bündel Rosmarin, das auf dem Tisch lag, und setzte ein bittendes Lächeln hinzu.

      „Hat das junge Edelfräulein sonst noch Anliegen?“, echauffierte sich der Mann mit erhobener Stimme und die Mägde kicherten schadenfroh. „Wie habt Ihr euch das vorgestellt? Ich bereite das Essen für Seine Majestät, seine Berater, die Wachen, das Gesinde und, seit Ihr da seid, auch noch für Euch und den alten Schwachkopf zu. Könnt Ihr mir verraten, woher ich die Zeit nehmen soll, Eure Extrawünsche zu erfüllen?“

      Auf einmal löste sich eine Frau aus der feixenden Menge und streckte bittend eine Hand nach dem Bündel aus. „Wenn Ihr erlaubt, bereite ich es für Euch zu. Ich kann eine vortreffliche Rosmarinsoße dazu machen.“

      „Tu was du nicht lassen kannst, Eva. Aber lass es dir bloß nicht einfallen, deine anderen Aufgaben dafür zu vernachlässigen.“ Warnend erhob der Koch einen Finger und wandte sich wieder seinen Töpfen zu.

      Die Magd nickte vergnügt und straffte die Schleife ihrer Schürze. „Ich weiß schon, wo Neal steckt.“, flüsterte sie. „Er ist ein alberner Schelm, aber ich mag ihn sehr.“ Dann vollführte sie einen eleganten Knicks und ging an die Arbeit.

      Die anderen Mädchen tuschelten, stießen sich gegenseitig an und kicherten. „Schaut sie euch an, die Auserwählte. Gestern war sie noch eine von uns und heute trägt sie den edelsten Zwirn auf.“, sagte eine. „Was meint ihr, ob Prinz Alec mich auch so nett behandelt, wenn ich mir etwas Blaubeersaft in die Haare schmiere?“, eine andere. Entweder glaubten sie, dass Azur es nicht hörte, oder es war ihnen gleichgültig.

      Eiligen Schrittes kehrte sie den Lästerbälgern den Rücken zu und ließ den Flur hinter sich, durch den sie gekommen war. Ärgerlich wischte sie eine Träne fort, die sie nicht hatte zurückhalten können. Vielleicht würden die Mägde nicht so hämisch über sie reden, wenn sie ahnten, dass Azur alles dafür gegeben hätte, um mit ihnen zu tauschen. Sollte doch eine von ihnen die Last der Prophezeiung auf ihren Schultern tragen, anstatt nur Körbe voller Kohl und Kartoffeln. Die waren leicht gegen das, was Azur aufgebürdet war.

      Auf der Treppe lief sie Allan in die Arme, der, behände für sein Alter, die Stufen erklomm. „Gut, dass ich dich treffe, Azur. Du wirst verlangt. Ein junges Mädchen ist verschwunden, aus einem Dorf nahe der Nordgrenze Seynakos.“

      Selbstsicher lehnte Alefes sich auf seinem Thron zurück. Der Saal füllte sich langsam, die edelsten und einflussreichsten Männer des ritterlichen Clans kamen auf seinen Befehl hin zur Tafelrunde.

      Blair hatte einen der hinteren Plätze erwählt. Sein Argwohn stand ihm offen ins Gesicht geschrieben. Alefes lächelte milde in sich hinein. Die Menschen waren sich ihrer Sehnsüchte nicht bewusst, keiner von ihnen. Blair wollte Freiheit. Und um ihretwillen würde er nicht davor zurückschrecken, seinen Herren zu verraten, wenn sich ihm die Gelegenheit bot. Wieso hatte er Blair den Oberbefehl über den Clan zugestanden? Er konnte sich nicht erinnern, es lag Jahre zurück und er pflegte, Unwesentliches aus seinem Gedächtnis zu streichen. So, wie die lächerliche Prophezeiung.

      Bei dem Gedanken daran fiel Alefes wieder ein, wieso er ausgerechnet Blair den Vorzug vor allen anderen gegeben hatte. Nicht, weil er der Stärkste, der Klügste oder gar der Geachtetste gewesen war. Blair erhob die Stimme auch dann, wenn ihm nach Schweigen zumute war. Er straffte entschlossen die Schultern, wenn seine dunklen Augen unruhig waren. Er zwang sich selbst, die Hand ans Schwert zu legen, obwohl Gewalt ihm zuwider war. Wenngleich er kein Krieger war, kämpfte er gut. Er verleugnete sich selbst, um seinem Clan zu dienen. Jeder Tag, an dem er vor Alefes knien musste, an dem es galt, Würde