Sheyla McLane

Die Sonne über Seynako


Скачать книгу

von Rührung zu sprechen. Er wusste, dass er sich auf Blair verlassen konnte – was ihn wiederum nicht darüber hinwegtäuschte, dass er dem Ritter sein Vertrauen eines Tages, wenn der richtige Augenblick gekommen war, wieder entziehen musste.

      Der Meister erhob sich und schlagartig wurde es still. Er ließ den Blick von Mann zu Mann wandern. Sie begegneten ihm mit gemischten Gefühlen, manche mit geziertem Stolz, andere in angespannter Erwartung. Alefes breitete die Arme aus. „Meine tapferen Ritter von Donovon!“, begann er. „Seit vielen Jahren nimmt euer Clan nun seinen festen Platz in der Regentschaft von Peiramos ein. Ihr herrscht seit hunderten von Jahren über das große Reich des Nordens. Durch mich. Ich habe eure Vorgänger zu mächtigen Männern gemacht. Sie schworen mir Loyalität und Treue, ich mehrte ihren Wohlstand. Und den übertrugen sie auf euch, indem sie euch zu ihren Nachfolgern erwählten.

      Wenn ich euch anschaue, sehe ich mutige, ehrenvolle Männer, deren Kraft und Ehrgeiz ich stets gewürdigt habe. Lasst mich euch sagen: Bald werdet ihr noch reicher und mächtiger sein, als es eure Vorfahren jemals waren. Ich werde euch alle zu Königen machen! Vielleicht hat sich manch einer gefragt, warum ich Jahrzehnte hier in dieser Burg zugebracht und mich nie meinem, will sagen unserem Volk gezeigt habe? Zweifelt nicht daran edle Ritter, dass ich es für euch tat. Ich habe alles für einen Angriff auf Seynako vorbereitet und gedenke, ihn bald durchzuführen. Es wird schneller gehen, als eine Ernte einzuholen, und wir werden keine Verluste dabei erleiden, das garantiere ich euch.

      Hört mich nun an, tapfere Ritter von Donovon. Die Göttin Trivia hat mich zu einer Gabe befähigt, die ich im Laufe der Jahre getestet und perfektioniert habe, sodass ich als ihr direkter Nachfahre mit meinen magischen Fähigkeiten in der Lage bin, das Land einzunehmen.“

      Erregtes Raunen brandete auf.

      Alefes klatschte in die Hände. Die Tür öffnete sich und ein Mädchen trat ein. Sie war dünn und ihr Kleid, das verriet, dass sie aus einfachen Verhältnissen stammte, stand vor Dreck. Am Saum hing es in Fetzen und manche glaubten, Reste von Blut darauf zu erkennen. Auch ihre bloßen Füße waren schmutzig, ihr Gesicht gerötet. Entsetzen breitete sich unter den Männern aus. „Seht ihr das? Das ist blondes Haar.“, flüsterten sie sich zu.

      Da erblickte sie Alefes. Ihre Miene erhellte sich und sie flog strahlend auf ihn zu. „Meister!“, jubelte sie und er umschloss sie sanft, als sie sich ihm in die Arme warf.

      „Ja, Irina, ich bin es. Wie ich sehe bist du meiner Einladung gefolgt. War der Weg weit?“

      „Ich habe das gesamte Feoras-Gebirge durchquert, um bei Euch zu sein, Meister.“

      Diese Worte brachten die Ritter vollends aus der Fassung. Schließlich stand einer von ihnen auf, schlug mit der Faust auf den Tisch, um sich Gehör zu verschaffen und rief: „Dieses kleine Mädchen kann niemals den weiten Weg aus Seynako allein hinter sich gebracht haben! Mit Verlaub, aber ich glaube, Ihr spielt uns hier etwas vor!“

      Irina wandte sich zu ihm um und zischte: „Ich trage einen Teil der Kraft des Meisters in mir. Seine dunkle Macht hat mich geführt.“

      Kennan schwankte leicht, gab sich aber nicht überzeugt. „Das ist völlig unmöglich.“, urteilte er.

      „Wenn Ihr an meiner Glaubwürdigkeit zweifelt, dann tretet vor und überzeugt Euch selbst. Ich wette, dieses Mädchen hat die Kraft, Euch in die Knie zu zwingen.“, sagte Alefes ruhig.

      „Lächerlich!“, höhnte Kennan. Zwar war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher wie am Anfang, doch er wollte sich nicht die Blöße geben, von seinem Standpunkt zurückzutreten und damit kampflos vor einem kleinen Mädchen zu kapitulieren. Darum trat er vor und baute sich neben Irina auf. Einige schlugen auf den Tisch und stampften, um ihn anzufeuern, doch die Mehrheit der Männer hielt den Atem an.

      Alefes schloss für einen Moment die Augen und täuschte einen Zustand intensivster Konzentration vor, obwohl er Irina mit Leichtigkeit beeinflussen konnte, aber das Ganze sollte schließlich Eindruck auf seine Zuschauer machen.

      Entschlossen trat Irina endlich dem Ritter, der gut zwei Köpfe größer als sie, muskelbepackt und bewaffnet war, gegenüber. „Zieht euer Schwert!“, forderte sie.

      „Ich werde keine Waffe gegen eine wehrlose Jungfer erheben.“, erwiderte der Angesprochene und setzte mit einem überheblichen Grinsen hinzu: „Genauso wenig braucht ein Löwe einen Waffenrock, wenn er einem Lamm gegenübertritt.“ Vereinzelt war höhnisches Lachen aus den Reihen der Männer zu vernehmen.

      Kaum hatte der Halbgott Irina in Gedanken den Befehl zum Angriff gegeben, da stürmte das schmächtige Lämmchen auch schon auf den vermeintlichen Löwen zu und schlug seine winzige Faust gegen den Brustpanzer des Ritters. Kennan hatte den Angriff kommen sehen, es aber nicht für nötig gehalten, zu reagieren, da er glaubte, die Kleine werde sich an seiner Rüstung höchstens die Hand brechen. Dementsprechend unerwartet traf ihn die Wucht des Schlages, der ihn umwarf, als sei er mit einem wildgewordenen Stier kollidiert. Er ruderte mit den Armen und ging scheppernd zu Boden.

      Blair war entsetzt aufgesprungen und starrte den wie ein Käfer auf dem Rücken liegenden Mann bestürzt an. Er glaubte, auf dessen Brustpanzer eine Delle oder zumindest eine leichte Wölbung zu erkennen.

      Irina schwitzte nicht einmal. Die Blicke der Männer sprangen von ihm zu ihr und dann zu Alefes, der die Szene beobachtete, ohne eine Regung zu zeigen. Inzwischen hatte es Kennan geschafft, sich aufzurappeln. Die Ritter atmeten scharf ein, als er sein Schwert zog und es auf das Mädchen richtete.

      Die eben erlittene Blamage ließ ihn seine Prinzipien vergessen. Mit einem zornigen Aufschrei ging er auf Irina los und alles schien plötzlich in Zeitlupe abzulaufen. Sie duckte sich vor einem kraftvollen, zielsicheren Schwerthieb. Gleichzeitig machte sie einen Satz nach vorn, griff nach dem Dolch, den der Ritter bei sich trug und zog die Waffe blitzschnell aus seinem Gürtel. Ihr Gegner kam zum Stehen, wandte sich schwerfällig um und stieß noch einmal einen wütenden Schrei aus, bevor er wieder mit vorgestreckter Klinge auf sie zulief. Auch diesem Hieb entwand sich das Mädchen, vollführte eine Drehung und rammte dem Ritter seinen eigenen Dolch in den Rücken.

      Das Schwert fiel scheppernd zu Boden, bevor er keuchend in die Knie ging, eine Hand mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen die Brust gepresst. Irina kniff die Augen zusammen und musterte ihr Opfer mit dem aufmerksamen Blick eines Raubvogels.

      Sie trat hinter ihn, packte die in seinem Rücken steckende Waffe und zog sie mit einem Ruck wieder heraus. Blut tropfte von der Klinge auf den Boden und bildete eine feine, glänzende Spur. Blair und die anderen waren gelähmt angesichts des grauenvollen Anblicks. Selbst dann noch, als Irina den Ritter grob an den Haaren packte, blieb jeder einzelne starr. Sie hatten das Gefühl, als spiele sich alles hinter einer Glaswand ab, die niemand zu durchdringen vermochte. „Nein…“, röchelte Kennan, doch im nächsten Moment sackte sein Körper schon in sich zusammen, während Irina den Kopf noch an den Haaren hielt. Mit einem einzigen, glatten Schnitt hatte sie ihn vom Rumpf getrennt und warf ihn Alefes nun triumphierend vor die Füße.

      „Ich lieh dem Meister mein Gesicht, und seine Kraft erfüllte mich. Die dunkle Macht, er teilt sie gern, drum huldigt unserem neuen Herrn!“

      Kapitel 7

      Erschrocken riss Azur die Augen auf. Ihre Hände suchten vergeblich nach etwas, an dem sie sich festhalten konnte. Durch das kleine Fenster der Kutsche sah sie die Welt in einem flüchtigen Farbenmeer an sich vorbei rasen, der Kutscher auf dem Bock rief den Pferden zu, schneller zu laufen und knallte mit der Peitsche. Da fuhr der Wagen über eine Unebenheit und hüpfte abermals. Alec fluchte auf und ruderte mit den Armen, um nicht gegen Allan geschleudert zu werden.

      Als der Seher von einem „kleinen Ausflug“ gesprochen hatte, war Azur von einer kurzen, gemütlichen Fahrt ausgegangen. Damit hatte diese Raserei allerdings nichts zu tun. Prinz Alec schien ihren Gedankengang zu teilen, denn er fragte: „Beim Sonnengott, Allan! Wann hat das bloß ein Ende!“

      Anstelle einer Erklärung streckte der Seher seinen Kopf durch das kleine Fensterchen und blaffte den Kutscher an: „Schneller! Was trödelt Ihr denn so!“ Vielleicht hätte er noch mehr gesagt, wenn nicht ein tief herabhängender Ast ihn