Sheyla McLane

Die Sonne über Seynako


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      „Das gilt nicht!“, schimpfte Allan und fuchtelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. „Es gibt nur Ja oder Nein, also nochmal ganz eindeutig: Magst du die Sonne?“

      Ja.

      „Gibt es in deiner Familie noch jemanden, dessen Haar eine außergewöhnliche Färbung aufweist?“

      Nein.

      „Hattet ihr irgendwann einmal Kontakt zu jemandem aus Peiramos?“ Niemals. Wie hätte das auch vonstattengehen sollen?

      „Hast du besondere Fähigkeiten? Irgendetwas, was normale Leute nicht können?“

      Nein.

      „Kannst du vielleicht mit Tieren sprechen?“

      Nein.

      „Das Pflanzenwachstum beschleunigen?“

      Nein.

      „Oder Gedanken lesen?“

      Ne-ein.

      „Besitzt du überzählige Gliedmaßen? Eine elfte Zehe, oder eine Hundeschnauze am Steiß?“

      Wie bitte? Nein!

      „Träumst du oft?“

      Ja.

      „Hattest du schon einmal eine Vision?“

      Ja… oder doch nicht? Azur zögerte. Ob man das, was unten im Kerker geschehen war und den merkwürdigen Traum, der sie danach heimgesucht hatte, als Vision bezeichnen konnte, war fraglich. Außerdem war sie sowieso nicht in der Lage, zu beschreiben, was sie gesehen hatte.

      Allan kniff die Augen zusammen, unschlüssig, wie er ihre Reaktion zu deuten hatte, kam aber bald zu der Überzeugung, dass Azurs Zögern als zustimmende Antwort gewertet werden durfte. „Wann war das?“

      Sie zeigte zwei Finger.

      „Vor zwei Jahren?“

      Nein!

      „Vor zwei Tagen? Beim mächtigen Sol, warum hast du denn nichts gesagt?“

      Er zog den Schlüssel aus seiner Tasche und schob ihn in das Schloss, für das er geschmiedet war. Man musste ihn unüblicher Weise nach links drehen, um aufzuschließen. Würde ein Unwissender ihn nach rechts drehen, täte sich augenblicklich eine Falltür unter seinen Füßen auf. Ein kompliziertes, mechanisches System machte dies möglich. Alefes war der einzige, der wusste, was sich hinter der Tür befand und das sollte auch so bleiben.

      Er trat ein und schloss hinter sich wieder ab. Dann stieg er die Stufen hinab, die in das Kellergewölbe führten. Dabei vermied er es, diejenigen Stufen zu berühren, die einen weiteren tödlichen Mechanismus ausgelöst hätten. Zwar konnten diese Fallen einem Unsterblichen nichts anhaben, doch Pfeile und Flammenfontänen hätten zumindest die Kraft, ihm ein paar Unannehmlichkeiten zu bescheren.

      Ohne jegliches Zutun seinerseits flammten die Fackeln auf, an denen er vorbeikam und brachten zuckendes Licht ins Dunkel des engen Ganges. Wie alles hier unterlagen auch sie seinem Willen.

      Vor seinen Füßen huschte eine Ratte vorbei. Mit ihren schwarzen Knopfaugen musterte sie ihn einen Herzschlag lang, bevor sie sich durch einen der Risse im Mauerwerk zwängte. Unten erwartete ihn ein Kaminzimmer, in dem er die Aufzeichnungen seiner magischen Studien sammelte, doch er war nicht gekommen, um es sich in einem der schweren Sessel gemütlich zu machen. Die Bücher drehten sich mitsamt der Wand, an der sie aufgereiht waren, um neunzig Grad. Alefes schritt durch den Durchgang, der sich hinter ihm knirschend schloss.

      Er vernahm das Rascheln von Stroh und verängstigtes Winseln. Jemand weinte leise vor sich hin. Einen Moment blieb er im Dunkeln stehen und genoss diese beruhigenden Klänge, als handle es sich um Musik.

      Eine einfache, kaum merkliche Bewegung seiner Rechten erleuchtete das hohe Gewölbe. Die Wände waren unverputzt und da sein Spielzimmer sich tief unter der Erde befand, gab es keine Fenster. Alefes liebte den Keller. Das einzige, was ihn störte, war der Gestank. Aber wenn er daran dachte, welche besonderen, ekstatischen Momente er hier unten erlebt hatte und auch in Zukunft noch erleben würde, konnte er darüber hinwegsehen. Andächtig streichelte er das Tuch aus dickem, dunkelblauem Samt, das über dem ersten Käfig hing. Das Metallgestell erbebte unter seinen Fingern.

      Er ergriff den Stoff und riss ihn mit einer kraftvollen Geste beiseite. Die Gestalt, die darunter zum Vorschein kam, krümmte sich zusammen und schlang ihre Arme schützend um den Kopf. Dabei rasselten die Ketten an Händen und Füßen.

      „Phelan!“, rief Alefes den abgemagerten, jungen Menschen an.

      Ängstlich lugte Phelan zwischen den Fingern, die er vors Gesicht geschlagen hatte, zu ihm hinauf. „Meister, seid Ihr es?“

      „Ja, Phelan. Hast du auf mich gewartet?“

      „Habe ich, Meister. Habe ich. Macht Ihr mir heute die Ketten ab? Bitte, Meister?“

      „Wir werden sehen. Das kommt ganz auf unsere kleine Freundin an...“ Mit diesen Worten befreite er den zweiten Käfig von seinem dunkelblauen Gewandt. Darunter war ein Mädchen verborgen. „Enya.“

      „Meister?“, flüsterte sie, als er sie ansprach. „Ich habe mich nach Euch gesehnt.“ Hilfesuchend streckte sie einen Arm aus, der inzwischen so dünn war, dass er durch die Stäbe passte, und kam Alefes` Umhang damit gefährlich nahe.

      „Wage es nicht!“, schrie dieser erbost. „Niemals dürft ihr mich berühren, niemals! Hast du das noch immer nicht verstanden, Enya? Wenn du so etwas tust, musst du sterben!“

      „Aber ich möchte Euch so gern anfassen…“, flüsterte sie und wischte eine Träne von ihrer Wange. „Ich will Euch nah sein.“

      „Sieh dich an!“, versetzte Alefes. „Willst du meinen Umhang mit deiner unwürdigen Hand beschmutzen?“

      Enya begann herzzerreißend zu weinen und zog sich den viel zu großen Lumpen, den sie trug, bis ans Kinn hinauf. „Verzeiht mir, Meister.“

      „Vielleicht verzeihe ich dir, wenn du dich heute anstrengst und mir keine Schande machst.“ Er beglückwünschte sich selbst zu den Früchten der guten Erziehung, die die beiden durch ihn genossen hatten. Genauer gesagt hatte er sie einer Art Gehirnwäsche unterzogen.

      Phelan und Enya stammten beide aus einer kleinen Stadt, nur etwa eine Tagesreise von hier entfernt. Sie, die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns, hatte sich in den etwas älteren Bäckergesellen verliebt. Eine Verbindung, die der gesellschaftlichen Norm wegen unter keinem guten Stern stand. In einem Ausbruch törichter Verliebtheit waren beide aus der Stadt geflohen. Sie waren schon weit gekommen, als ein schlimmes Unwetter sie überraschte, vor dem sie in der alt ehrwürdigen Kathedrale Schutz suchten, welche Trivia geweiht war.

      Unglücklicherweise hatte sich Alefes kaum eine Stunde zuvor in selbige zurückgezogen, um der Göttin ein Opfer zu bringen. Zuerst hatte er die beiden aus Wut darüber, dass sie ihn bei der Zeremonie gestört hatten, töten wollen, es sich dann aber anders überlegt. Immerhin gaben die beiden ein so hübsches Paar ab, dass er sich gefragt hatte, ob das Band ihrer Liebe, das so unzerstörbar schien, seinen telepathischen Fähigkeiten standhalten würde.

      Wie zu erwarten gewesen war, konnte es sich der Magie des mächtigen Halbgottes nicht erwehren. Ohne großen Aufwand hatte er ihre Erinnerungen gelöscht und sie in Käfige gesperrt wie Vieh, was sie mit hündischer Unterwürfigkeit hinnahmen. Mehr noch. Sie waren ihm dankbar dafür, liebten ihn und buhlten voreinander um seine Gunst.

      Erhaben ließ er sich in seiner persönlichen, kleinen Loge nieder und die Ketten, die Phelan und Enya in Zaum gehalten hatten, fielen von ihnen ab. Im selben Moment öffneten sich auch die Käfige. Ein Vorgang, den beide schon so gut kannten, dass sie nicht mehr erschraken. Ähnlich der Ratte, die Alefes vorher über den Weg gelaufen war, krochen sie heraus und musterten sich gierig.

      „Meister. Ich bin hungrig.“, knurrte Enya und fixierte dabei Phelans Hals, als ob sie ihm die Kehle zerfleischen wolle.

      „Ich werde