Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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überlassen sollen?“

      „Du tust gerade so, als wüsste sich die Kleine nicht zu helfen.“ Louis zog sich die dunkle Jacke enger um die Brust. Seine Wangen waren gerötet. „Euretwegen riskiere ich wieder Großmutter Lottis Unmut. Von Françoise ganz zu schweigen.“

      „Wovor hast du Angst?“, erkundigte sich Luc mit leisem Spott, der seinen Bruder um einen Kopf überragte. Er war zwanzig Jahre alt und seine ehemals schmächtige Statur war um einiges männlicher geworden, seitdem er Unterricht im Schwertkampf bekam. „Man muss sich nicht alles gefallen lassen, Louis.“

      „Wenn man etwas erreichen möchte, sollte man aber im richtigen Moment die Klappe halten. Vielleicht beherzigst du das in Zukunft.“ Louis stapfte los. Henriette und Luc folgten ihm. „Unser Großonkel war Regent von Frankreich. Davon profitieren auch wir. Außerdem kennt ihr Mutters Pläne. Ich soll Diana heiraten, aber Großtante Françoise hat mehr als einmal damit gedroht, dass ich das vergessen kann, wenn ich weiterhin bei ihr in Ungnade falle. Dabei wäre das Einheiraten in das mächtige Haus Orléans ein Segen für unsere Familie.“

      „Du hast wohl nur deine Karriere im Kopf“, schimpfte Luc mit seinem achtzehnjährigen Bruder. „Davon abgesehen hat dich keiner von uns dazu gezwungen, mitzukommen.“

      „Auch ich brauche dann und wann frische Luft.“

      Henriette und Luc schauten sich grinsend an. Louis und seine Wut. Das kam häufig vor und meistens bekamen sie alles ab. Vor allem Luc. Es verging kein Tag, an dem sich die beiden nicht stritten. Doch das war kein Wunder. Henriettes Brüder waren so verschieden wie Tag und Nacht.

      „Wieso sind dir Macht und Ansehen eigentlich so wichtig?“, ergründete Luc.

      „Weil ich es im Leben weiter bringen will als du.“

      „Aha.“

      „Aha“, äffte Louis ihn nach. „Von euch lasse ich mir nichts kaputt machen. Deswegen war es heute das letzte Mal, dass ich mit euch gegangen bin. Fragt mich nie wieder, verstanden?“ Er sprach in einem Ton mit ihnen, als hätten sie ihn tatsächlich gegen seinen Willen zum Labyrinth mitgeschliffen.

      „Langsam regst du mich auf, Louis. Du musst endlich lernen, zu den Dingen zu stehen, die du machst. Anderen dafür die Schuld zu geben ist unfair. Ansonsten lass lieber die Finger davon.“

      „Luc hat recht“, sagte Henriette und schloss die obersten Knöpfe ihres Mantels. Erst jetzt spürte sie die Kälte. Ihre Hände und Füße fühlten sich taub an. Über ihnen verdunkelte sich der Himmel. Vereinzelt wirbelten Schneeflocken auf sie herab.

      „Das musste ja jetzt kommen.“ Louis beschleunigte seine Schritte. „Ihr beide seid sowieso immer einer Meinung.“

      „Was dir zu denken geben sollte“, konterte Luc. „Jedenfalls müssen wir nicht zu Intrigen greifen, um uns vor anderen zu profilieren.“

      „Jeder muss sehen, wo er bleibt. Meine Zukunft ist mir eben wichtig.“

      „Du bist jünger als ich“, wurde Luc ungehalten. „Also mäßige deinen Ton!“

      „Vor dir habe ich keinen Respekt“, zeigte sich Louis ungerührt.

      Henriette konnte mit ihrem jüngeren Bruder kaum Schritt halten, was Luc sicher leichter fiel. Doch er blieb wie üblich an ihrer Seite. Was war sie froh, wenigstens einen Bruder zu haben, auf den Verlass war. Der sie nicht auslachte, wenn sie sich wehtat. Oder verriet, wenn es zum eigenen Nutzen war. Natürlich, sie mochte Louis, aber er war kalt, engstirnig und ziemlich schroff. Luc hingegen war voller Wärme und wann immer sie ein Problem hatte, konnte sie damit zu ihm kommen. Er hörte ihr geduldig zu, tröstete sie oder nahm sie einfach in die Arme. Deshalb war er nicht nur ihr Bruder, sondern auch ihr allerbester Freund.

      „Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?“ Wie aus dem Nichts stand plötzlich Großmutter Lotti vor ihnen, stemmte die Hände in die Hüften und zog die rechte Augenbraue hoch. Eine Geste, die niemand besser beherrschte.

      Alle drei waren abrupt stehengeblieben. Louis mit gesenktem Kopf.

      „Tut mir leid, Großmutter“, erwiderte er mit weinerlichem Ton und zeigte mit dem Daumen hinter sich. „Die zwei sind schuld. Sie haben auf mich eingeredet, bis ich mit ihnen hergekommen bin. Du kennst ja Luc. Außerdem hat er mir Schläge angedroht.“

      „Hör auf zu lügen, Louis!“, ergriff Henriette Partei für Luc.

      „Lüge hin oder her, ihr dürftet gar nicht hier sein!“ Lottis strafender Blick wechselte zwischen Henriette und Luc hin und her. Gleichzeitig zog sie Louis zu sich. Ihr erklärter Liebling, der auch noch schadenfroh grinste! Aber wie üblich entging der Großmutter diese Gehässigkeit oder sie übersah sie geflissentlich. „Ihr beiden macht mich langsam wahnsinnig“, polterte sie los und war so laut, dass man sie bestimmt bis zum Schloss hören konnte. „Meine Schwester hat genaue Anweisungen gegeben und ich finde es äußerst undankbar von euch, dass ihr dem nicht Folge leistet. Immerhin dürfen wir auf Versailles wohnen.“

      „Das ist nicht Françoises Verdienst“, entgegnete Luc gleichbleibend freundlich. „Auch du bist eine legitimierte Tochter des verstorbenen Königs und hast genauso viele Rechte wie sie, hier zu sein, was uns miteinschließt. Bloß, weil dein Schwager ein paar Jahre Frankreich regiert hat, lasse ich mir von Françoise noch lange nichts sagen. Sie ist weder Königin noch bekleidet sie sonst ein hohes Amt. Deshalb gibt es nur einen, der mir etwas verbieten oder erlauben kann und das ist mein Cousin Ludwig.“

      „Mit König Ludwig hast du so wenig zu tun wie …“ Lotti unterbrach sich. „Außerdem: Wie sprichst du eigentlich mit mir?“

      „Ja, wie sprichst du mit unserer Großmutter?“, mischte sich Louis ein und erntete dafür Lottis wohlwollendes Lächeln. Manchmal war er an Falschheit nicht zu überbieten!

      „Luc hat nur die Wahrheit gesagt.“ Henriette ergriff Lucs Hand. Lottis Gesicht verfinsterte sich. „Im Übrigen magst du deine Schwester Françoise genauso wenig wie wir, Großmutter.“ Eigentlich war das harmlos ausgedrückt. Zwischen den beiden Töchtern des Sonnenkönigs und seiner Mätresse Madame de Montespan herrschte regelrecht Krieg. „Das hast du oft genug betont. Wieso stellst du dich plötzlich vor sie?“

      „Weil ich mich Louis zuliebe zusammenreiße und wenn das heißt, dass ich mich nach ihren Wünschen richten muss, beiße ich eben in den sauren Apfel. Soll Françoise meinetwegen glauben, die Oberhand zu haben. Immerhin ist die Hochzeit mit Diana eine große Chance für deinen Bruder und spült ordentlich Geld in die Familienkasse. Bis alles über die Bühne ist, werde ich also gute Miene zum bösen Spiel machen. Dasselbe erwarte ich von euch.“ Die Großmutter trat vor Luc und Henriette. Mit einer groben Bewegung trennte sie ihre Hände. „Müsst ihr euch eigentlich bei jeder Gelegenheit an den Händen halten? Ihr seid doch keine kleinen Kinder mehr. Vor allem du nicht, Luc.“

      Seine Augen funkelten zornig. „Henriette ist meine Schwester und ich …“

      „Schweig!“ Sie runzelte die Stirn. „Du wirst immer rebellischer und das gefällt mir gar nicht, denn es hat Einfluss auf deine … auf Henriette und Louis. Ich will nicht, dass du die beiden verdirbst.“

      Verletzt schaute Luc zu ihr auf. „Verderben? Was mache ich denn?“

      „Das ist mir zu blöd. Ich gehe ins Schloss“, ließ Louis verlauten und eilte los.

      „Louis hat recht. Lasst uns ins Schloss gehen, mir ist ohnehin kalt.“ Die Großmutter zog sich das Tuch enger um die schmalen Schultern.

      „Warum tust du das?“, fragte Luc leise.

      „Was denn?“ Die Großmutter wandte sich zum Gehen.

      „Mich behandeln, als würde ich nicht zur Familie gehören. Schon Vater hat mich kaum eines Blickes gewürdigt. Mutter scheint die Einzige zu sein, die mich aufrichtig liebt.“

      „Nun, das nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit. Sie kümmert sich mehr um dich und ich mache dasselbe mit Henriette und Louis.“

      „Du