Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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scheinbar angesteckt hatte.

      „Ich hätte auch nie gedacht, dass es so kommen würde, aber es ist wie es ist.“ Ludwig trank einen Schluck und schaute zum Fenster hinaus. Blitze zuckten über den dunklen Nachthimmel. In der Ferne grollte es. Wind fuhr heulend um die Mauern.

      Luc musterte seinen Cousin, der in sich gekehrt wirkte. Das Leben als König fiel ihm schwer, denn er war kein Mann für öffentliche Auftritte und hasste Menschenansammlungen. Wie anders war Ludwig jedoch, sobald es zur Jagd ging. Mutig, selbstbewusst, mit sich und der Welt im Reinen. Was ihn jedoch auszeichnete, war seine unabdingbare Treue. Wenn Ludwig jemanden mochte, konnte man sich hundertprozentig auf seine Loyalität verlassen. Das galt anscheinend auch für seine Mätressen. Louise Julie de Mailly–Nesle, Comtesse de Mailly, war seine erste Mätresse gewesen. Ein unscheinbares und zurückhaltendes Mädchen, das aus einer verarmten Adelsfamilie stammte und verheiratet war. Allerdings hatte ihr Ehegatte mittlerweile zugestimmt, dass sie Ludwigs Mätresse sein durfte. Vor einigen Monaten hatte sie jedoch ihre jüngere Schwester Pauline–Félicité nach Versailles eingeladen, die Ludwigs Herz im Sturm erobert hatte. „Die jüngere der Mailly Schwestern soll ziemlich ehrgeizig sein“, riss Luc seinen Cousin aus den Gedanken, der sich ihm zuwandte. „Pass bloß auf, dass du dir nicht die Finger verbrennst.“

      „Es stimmt, dass sie völlig anders ist als Julie, aber ich habe mich Hals über Kopf in sie verliebt“, gab Ludwig mit verlegenem Grinsen zu und warf einen kurzen Blick auf die Wanduhr, deren Ticken einige Momente den Raum beherrschte. „Vor einigen Wochen habe ich ihr das Schloss Choisy gekauft und freue mich darauf, mit den Schwestern und einigen Freunden dort Zeit zu verbringen.“

      „Hast du nicht gerade eine Lustreise hinter dir?“, wunderte sich Luc.

      „In dieser Hinsicht bin ich unverbesserlich.“ Jetzt grinste Ludwig. „Frauen sind mein Leben.“

      „Mir schwant Böses“, scherzte Luc. „Die beiden haben noch drei Schwestern!“

      „Gute Nacht, Maman.“ Henriette beugte sich herab und gab Babette einen Kuss auf die Wange.

      „Schlaf schön, mein Kind.“ Sie lächelte. „Ich schaue später noch einmal nach dir.“

      „Mach das.“ Ihre Tochter zeigte auf die Briefe, die sich auf dem Tisch stapelten. „Schreibst du wieder deinen Geschwistern?“

      „Es ist lange her seit dem letzten Mal.“

      Henriette zog den Gürtel ihres braunen Morgenmantels enger. „Und? Hat sich einer von ihnen jemals bei dir gemeldet?“

      „Deine Tante Alexandrine.“

      „Sie ist seit Jahren die Einzige. Ich an deiner Stelle würde niemandem mehr schreiben.“

      „Es sind meine Geschwister und im Gegensatz zu mir haben sie viel zu tun.“

      „Sicher, Maman. Du bist einfach viel zu gut für diese Welt.“

      „Ja, ja“, sie tätschelte ihre Tochter am Arm. „Sieh zu, dass du ins Bett kommst. Es ist schon neun Uhr.“ Kaum ausgesprochen, war Henriette bereits aus der Tür des Blauen Salons.

      Babette wandte sich wieder dem leeren Bogen Papier zu, der vor ihr lag, und nahm die Schreibfeder zur Hand. Doch im nächsten Augenblick legte sie sie ab, verließ ihren Platz und stellte sich vor das Fenster.

      Dichter Schneefall herrschte vor. Einige der beleuchteten Schlossfenster waren beschlagen. Dahinter bewegten sich Schatten. Es war kaum zu glauben, wie viele Menschen hier Tür an Tür mit ihnen wohnten und trotzdem kannte sie kaum die Hälfte. Aber eigentlich war ihr das egal. Ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter, die förmlich Kontakt zu anderen suchte, das Leben in vollen Zügen genoss und jeden Ball besuchte, der sich ihr bot.

      Babettes Blick glitt zum Marmorhof hinunter, der wie leergefegt war. Nur eine Kutsche stand einsam und verlassen da. Dort in der Ecke, versteckt hinter der großen Herkulesstatue, hatte sie vor vielen Jahren Marschall Philippe Charles de la Fare geküsst. Er galt als einer der schönsten Männer bei Hofe, und das war er auch gewesen. Seinen Tod hatte sie bis heute nicht verwunden. Den ihres Mannes hingegen schon längst vergessen, denn das Leben an der Seite des Prinzen de Conti war schwierig gewesen, obwohl sie versuchte, sich mit ihm und den Gegebenheiten zu arrangieren. Zu allem Übel war sie jedoch vor und sogar während ihrer Ehe verspottet worden und musste zugeben, dass auch sie selbst zutiefst erschrocken war, als sie ihren Mann zum ersten Mal gesehen hatte. Bereits in jungen Jahren hatte er einen Buckel gehabt. Noch dazu war sein Gesicht stark behaart gewesen, was beinahe animalisch wirkte. Man konnte es nicht anders sagen: Er sah aus wie ein Werwolf. Aber nach ihrer Erkrankung durfte sie als Letzte über Äußerlichkeiten richten.

      Mit zwanzig Jahren hatte sie ihren siebzehnjährigen Cousin 1. Grades geheiratet. Einen Mann mit mehreren Gesichtern, der ständig zwischen Himmel und Erde jonglierte. Mal war er blendend gelaunt, mal zu Tode betrübt oder er hatte einen Wutausbruch. Hinzu kam die Kinderlosigkeit. Mehr und mehr setzte ihm dieser Umstand zu, weil er sich nicht wie ein ganzer Mann fühlte. Also beschlossen sie, so zu tun, als wäre sie schwanger. In diesen neun Monaten hatte sie ihn zum ersten Mal glücklich erlebt, weil ihn viele plötzlich wahrnahmen. Zumindest in seiner Welt. In ihrer Realität wurde hinter vorgehaltener Hand darüber getuschelt, welches Monster sie im Bauch tragen würde.

      Anfang Dezember fuhren sie dann offiziell für einige Wochen zum Château ihres Mannes, suchten jedoch bei Nacht und Nebel die stadtbekannte Hurenmutter Gourdan auf. Eine berechnende und kalte Frau. Am liebsten wäre sie sofort wieder gefahren. Doch als ihnen die Gourdan den drei Tage alten Säugling gezeigt hatte, war für einen Moment die Welt stehen geblieben und am Morgen danach war alles anders gewesen. Luc wurde zu ihrem Sohn. Die nächsten zwei Jahre ging alles gut und es hatte den Anschein gehabt, als wäre ihr Mann mit der Situation zufrieden. Bis zu ihrer Schwangerschaft, die sie förmlich überrollt hatte. Ab da änderte sich ihr Mann. Luc und auch ihr gegenüber. Er wurde abweisend und musterte sie manchmal, als wäre sie eine der Huren, die auf dem Landsitz der Gourdan ihre Kinder zur Welt brachten, die dann gewinnbringend verkauft wurden.

      Als ihr Mann schließlich an Pocken erkrankte, hatte sie ihn trotz allem rund um die Uhr gepflegt und sich wirklich Sorgen gemacht. Danach war sie krank geworden, doch er hatte nicht einmal den Leibarzt rufen lassen. Das musste sie selbst veranlassen. Im Grunde war das der Anfang vom Ende gewesen, denn nach ihrer Genesung fing er an, sie zu schlagen. Immer wieder war sie zu ihrer Mutter geflüchtet. Einmal blieb sie sogar wochenlang mit den Kindern in einem Kloster in Paris. Aber letztendlich war sie seine Ehefrau und musste zu ihm zurückkehren.

      Dann trat der schöne Marschall in ihr Leben. Zu diesem Zeitpunkt war sie innerlich so gebrochen gewesen, dass sie keinen Selbstwert mehr hatte und sich alles andere als attraktiv fühlte. Deshalb wollte sie nicht am Sommerball auf Schloss Ussé teilnehmen, doch ihre Mutter kannte kein Pardon. Im Nachhinein sollte es wohl so sein, denn mitten unter den Gästen sah sie ihn. Ein Blick in seine braunen Augen hatte genügt, um sich unsterblich zu verlieben. Und das, obwohl sie bereits mit Henriette schwanger gewesen war. Umso weniger hatte sie damit gerechnet, dass ihre Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruhen würde und doch war es genauso gewesen. Er, der schöne Marschall und sie, die von einer Krankheit gezeichnete Prinzessin, begannen eine Affäre, die sie auch nach Henriettes Geburt weiterführten. Seine Nähe, Liebe und Fürsorge hatten ihr unsagbar gutgetan. Endlich war sie jemandem wichtig. Jemandem, der als oberflächlich diffamiert wurde, aber das genaue Gegenteil war. Er liebte sie um ihrer Selbstwillen und hatte ihr Worte zugeflüstert, die sie bis heute tief in ihrem Herzen bewahrte. Von seiner Zärtlichkeit ganz zu schweigen. Doch leider sollte ihr Glück nicht von langer Dauer sein.

      Babette bekam eine Gänsehaut und rieb sich die Arme.

      Eines Abends kam sie nichtsahnend nach Hause. Ihr Mann schlug sie sofort mit der Faust ins Gesicht, kaum dass sie die Tür ihres Stadtpalais hinter sich zugezogen hatte. Diesem Übergriff folgte eine Brutalität, die Todesangst in ihr ausgelöst hatte. Nur mit letzter Kraft hatte sie es zu einem Arzt geschafft, nachdem er endlich von ihr abließ. Wohlweislich hatte ihr Mann dem Hausmädchen Benedikta sowie dem restlichen Dienstpersonal freigegeben.

      Sie war blutüberströmt gewesen