Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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Nachttisch. An Schlaf war kaum zu denken. In ihrem Bauch kribbelte es, als würden hundert Schmetterlinge mit ihren Flügeln schlagen. Ob sie etwas lesen sollte?

      Es klopfte.

      „Ja?“

      Die Tür öffnete sich einen Spalt. „Schläfst du schon?“ Lächelnd trat ihre Mutter ein.

      „Ach Maman, du stellst Fragen.“ Auch Henriette lächelte. Sie konnte sich an keine Nacht erinnern, in der ihre Mutter nicht zu ihr gekommen war, um ihr vor dem Schlafengehen einen Gutenachtkuss zu geben. Manchmal plauderten sie sogar bis in die tiefe Nacht hinein. Manchmal schlief sie schon. Doch die Mutter weckte sie immer kurz, weil Henriette sie darum gebeten hatte. Eine Nacht wäre keine gute Nacht, wenn sie das tägliche Ritual versäumen würde. „Bist du auch so aufgeregt wie ich?“

      Die Mutter ließ sich auf das breite Himmelbett sinken. „Ich war zu oft auf dem Schloss. Aber als ich so jung war wie du, ist es mir ähnlich ergangen.“ Kurz strahlten ihre Augen und sie lächelte, als würden ihr angenehme Gedanken durch den Kopf gehen. Doch so schnell die Regung kam, verschwand sie wieder. Umso sorgenvoller betrachtete Henriette ihre Mutter, die seit einiger Zeit wirkte, als würde sie eine schwere Last auf den Schultern tragen. „Du siehst schon wieder so bekümmert aus. Ist etwas mit dir?“

      „Nein, nein“, kam es wie aus der Pistole geschossen. „Ich bin nur müde. Die letzten Monate waren hektisch. Eine Hochzeit plant sich eben nicht von selbst und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich irgendetwas vergessen habe. Dabei gehe ich die Liste beinahe jeden Tag durch.“

      Henriette setzte sich zu ihr. „Du machst dir wie immer viel zu viele Gedanken.“

      „Kann sein. Aber nun erzähl. Du bist seit zwei Tagen zurück und ich hatte keine Gelegenheit, dich nach deiner Zeit im Kloster zu fragen. War es schön?“

      „Na ja, langweilig würde es besser beschreiben. Tagein, tagaus diese Gehorsamkeit, die man auch seinem zukünftigen Mann gegenüber an den Tag legen soll. Mir will einfach nicht in den Kopf, wieso Frauen wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Wir sind doch genauso Geschöpfe Gottes. Trotzdem haben wir kein Stimmrecht, sollen uns nicht weiterbilden und müssen unsere Ansichten für uns behalten, um nicht negativ aufzufallen. Als wären wir reine Gebärmaschinen ohne jegliche Intelligenz.“

      „Du liebe Zeit“, rief die Mutter aus, „was ist denn mit dir passiert? Du sprichst wie eine dieser neuen Frauenrechtlerinnen.“

      „Stimmst du dem etwa nicht zu?“

      „Recht haben und recht bekommen sind zwei Paar Schuhe, Henriette. Leider gelten wir Frauen als das schwächere Geschlecht und das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Aber sag, wem habe ich diesen Floh zu verdanken, den man dir ins Ohr gesetzt hat?“

      „Eine junge Frau hat mit ihrem Verlobten die Mutter Oberin besucht. Sie ist die Tante des Mannes und stell dir vor, zum ersten Mal habe ich unsere Mutter Oberin lächeln gesehen.“ Henriette grinste kurz. „Da ich für die Gäste eingeteilt war, kam ich mit dem Pärchen ins Gespräch. Vor allem mit der Frau. Sie heißt Jeanne Antoinette Poisson.“

      „Ist sie aus Paris?“

      „Ja. Sie wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder bei einem reichen Bankier namens Charles François Paul Le Normant de Tournehem.“

      „Ach du liebes bisschen, jetzt weiß ich, wer sie ist. Ihr Vater soll über zweihunderttausend Livres veruntreut haben. Allerdings entging er seiner Strafe, indem er geflüchtet ist. Ganz Paris hat davon gesprochen.“

      „Davon hat Jeanne gar nichts erzählt.“

      „Das denke ich mir. Ich an ihrer Stelle würde das auch verschweigen, obwohl er angeblich unschuldig war. Zumindest wurde das kurz vor seinem Tod erzählt. Dennoch blieben seine Hinterbliebenen das Gespött der Leute.“

      Henriette starrte zu ihrer Schatztruhe unter dem Fenster. Darin befand sich alles, was ihr lieb und teuer war. Da sich im Laufe der Jahre jede Menge angesammelt hatte, war die Kiste beinahe so groß wie die Kleidertruhen. „Ich mochte Jeanne auf Anhieb.“ Henriette suchte den Blick der Mutter. „Für die Umstände kann sie nichts und sollte nicht darunter leiden müssen.“

      Ihre Mutter strich sich glättend über das weinrote Seidenkleid. „Menschen neigen leider dazu, alles in einen Topf zu werfen. Aber ich pflichte dir bei. Jeder hat eine Chance verdient. Wie ist sie denn so?“

      „Wunderschön“, geriet Henriette ins Schwärmen, „nett, gebildet, fröhlich und sehr direkt. Ich glaube, dass ich eine neue Freundin habe.“

      „Nach so kurzer Zeit?“

      „Sie hat ihren Verlobten gebeten, die Mutter Oberin zu überreden, dass sie mich während des Aufenthaltes von den anderen Diensten entbindet, damit ich nur für sie da sein kann. Die beiden blieben fast eine Woche. Genug Zeit, um sich kennenzulernen und anzufreunden.“

      „Von wegen langweilig“, stellte die Mutter schmunzelnd fest.

      „Das war es ja auch, ausgenommen die Woche mit Jeanne.“

      „Also hast du die neuen Ansichten von ihr?“

      „Sozusagen. Allerdings habe ich mir ähnliche Gedanken gemacht. Es war wirklich seltsam. Ich hatte das Gefühl, als würden wir uns schon ewig kennen.“

      „Du kannst sie ja zum Sommerball auf Ussé einladen, wenn du möchtest.“

      „Das habe ich schon getan“, antwortete Henriette kleinlaut. „Leider sind die beiden verplant. Aber vielleicht klappt es im nächsten Jahr.“

      „Was klappt im nächsten Jahr?“ Luc kam mit zwei dampfenden Tassen herein und trug noch seine Uniform. Er wirkte sehr männlich.

      „Wir sprechen gerade über Henriettes neue Freundin Jeanne Antoinette Poisson.“

      „Aha.“ Luc hielt ihnen die Tassen hin. „Ich dachte, ihr würdet gerne Tee zum Plauderstündchen haben. Man hört euch bis in den Salon.“

      „Oh, tut mir leid. Hast du gearbeitet?“ Die Mutter und Henriette nahmen ihm jeweils eine Tasse aus der Hand.

      „Gearbeitet wäre zu viel gesagt“, erwiderte Luc. „Aber ich habe endlich den Brief an Marschall Hermann Moritz von Sachsen verfasst.“

      „Also wird es ernst?“, erkundigte sich die Mutter, hob die Tasse zum Mund und blies hinein. „Hast du dir das auch gut überlegt?“

      „Wovon redet ihr?“ Henriette blickte von der Mutter zu Luc, der sich auf ihre Schatztruhe setzte und geheimnisvoll lächelte.

      „Richtig. Du weißt ja noch nichts davon.“ Die Mutter nippte an der Tasse. „Erzähl du es ihr, Luc.“

      „Ich möchte in das Regiment des Marschalls“, platzte er mit der Neuigkeit sofort heraus, als hätte er nur darauf gewartet, sie endlich loszuwerden.

      „Wer immer dieser Hermann Moritz soundso ist, ich mag ihn schon jetzt nicht“, maulte Henriette. „Regiment klingt nach Krieg, und Krieg nach Tod.“

      „Das wird das Schicksal entscheiden.“ Luc öffnete die zwei obersten Knöpfe der Uniformjacke. „Wenigstens sterbe ich einen heldenhaften Tod.“ Sein Grinsen regte Henriette auf. Fand er das etwa lustig? „Außerdem war es schon länger mein Traum, diesen Mann kennenzulernen. Bis heute hat er jede Schlacht siegreich für sich entschieden und ist bereits zu Lebzeiten ein Mythos. Seine ´Volontaires de Saxeˋ sind in aller Munde und legendär.“

      „Und wenn schon. Die Kuchen der Köchin sind auch legendär. Trotzdem möchte ich ihr nicht beim Backen helfen.“ Henriette beugte sich nach hinten und stellte die Tasse auf den Nachttisch. Als sie sich wieder umdrehte, merkte sie, dass Lucs Blick kurz über ihren Körper glitt. Verlegen zog sie den Morgenmantel enger. In den vergangenen Monaten waren ihre Brüste gewachsen und sie musste sich selbst erst damit anfreunden, dass sie langsam zur Frau reifte.

      „Der Vergleich hinkt“, warf die Mutter zögernd ein und musterte Luc. „Backen ist nicht lebensgefährlich