Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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Henriette wie eine Frau! Eine Tatsache, die sich nicht länger leugnen ließ.

      Luc unterdrückte ein Aufschluchzen. Grob wischte er sich über die Augen.

      „Was ist mit dir, mein Sohn?“ Er schreckte hoch. Seine Mutter stand im Türrahmen ihres Schlafgemachs neben dem Waschzimmer und musterte ihn mit gerunzelter Stirn. „Du siehst blass aus.“ Im Nu war sie bei ihm und befühlte seine Stirn. „Fieber scheinst du keins zu haben, aber vielleicht hast du dich verkühlt. Ihr seid ja völlig durchnässt nach Hause gekommen.“

      Luc schob ihre Hand weg, weil er keine Berührung ertragen konnte. „Mir fehlt nichts, außer dass ich Hunger habe.“ Eine Lüge führte zur nächsten.

      „Worauf?“ Zu seinem Entsetzen stand Lotti plötzlich am Treppenabsatz und zeigte zum Waschzimmer. „Darauf?“, fragte sie gedämpft und mit einer Zornesfalte zwischen den Augen. „Ich habe dich beobachtet. Komm in den Salon hinunter. Sofort! Und du auch, Babette.“

      Luc hatte das Gefühl zu ersticken, während er seiner Mutter über die Treppe folgte und erschrak regelrecht, als Lotti kurz danach die Salontür lautstark ins Schloss warf.

      „Was hast du dir bloß dabei gedacht?“, kam die Großmutter ohne Umschweife und mit nach wie vor mühsam beherrschter Stimme zum Thema.

      „Wobei?“ Die Mutter stand zwischen ihnen und blickte verwirrt zu Lotti. „Was hast du denn?“

      „Ich habe nichts. Aber dein Sohn“, Lotti machte ein angewidertes Gesicht. „Er hat Henriette gerade im Waschraum heimlich beobachtet.“

      „Wie bitte?“

      „Du hast schon richtig gehört. Und, Luc? Hat dir gefallen, was du gesehen hast?“, forschte sie mit beißendem Ton nach. „War Henriette sogar nackt? Ah, sieh an. Dein Sohn bekommt etwas Farbe im Gesicht.“

      Die Mutter schaute Luc fassungslos an. „Stimmt das? Hast du Henriette …?“

      „Ja“, bekannte er und ließ sich auf den Stuhl neben sich sinken, weil sonst seine Beine nachgegeben hätten. Nicht genug, dass er von sich selbst entsetzt war, nun musste er auch noch seiner Familie Rede und Antwort stehen. Doch was hätte ein Abstreiten geholfen? Allen voran sich selbst gegenüber? Es war wie es war und nun musste er zusehen, wie er diesen Empfindungen entgegentreten konnte. Vielleicht war es sogar besser, dass seine Mutter und Lotti eingeweiht waren. Er wusste sich ohnehin keinen Rat. Womöglich blickten sie mit ihrer Lebenserfahrung eher durch das wirre Dickicht seiner Gefühlslage.

      „Aber warum, mein Sohn. Wieso hast du Henriette beobachtet?“

      „Eine dümmere Frage könntest du wohl nicht stellen, Babette“, fuhr Lotti ihr über den Mund. „Dein Sohn liebt deine Tochter. Ich habe dich immer gewarnt, aber du musstest ja weiterhin Scheuklappen aufsetzen. Nun hast du den Salat.“

      „Ich bitte dich!“, herrschte seine Mutter Lotti an, „Luc wird das sofort aufklären.“ Sie kniete sich zu ihm und nahm seine Hände so fest in ihre beiden, dass es beinahe schmerzte. Die Verzweiflung stand seiner Mutter förmlich ins Gesicht geschrieben und das war alles seine Schuld! „Lotti sieht mal wieder Gespenster, nicht wahr, Luc? Du und deine Schwester, ihr habt früher oft gemeinsam gebadet. Daran hast du vermutlich gedacht, als du sie … war die Tür offen? Henriette lässt sie ständig offen und Benedikta ist in dieser Hinsicht leider auch äußerst nachlässig.“ Wie hoffnungsvoll sie sich anhörte. „Sag doch etwas, Luc, bitte! Dann kann deine Großmutter beruhigt sein und morgen lachen wir alle gemeinsam darüber.“

      Luc blickte hoch. Lotti schaute ihn hasserfüllt an. Hatte sie ihn deshalb ständig gemieden? Weil sie schon lange etwas dergleichen geahnt hatte? Noch lange, bevor er es selbst merkte? „Großmutter hat leider recht“, entgegnete er tonlos, „ich empfinde etwas für Henriette, das ich niemals empfinden dürfte.“

      Mit einem Ruck ließ die Mutter seine Hände los, erhob sich und ging einige Schritte hin und her. „Das darf nicht wahr sein“, jammerte sie mit weinerlicher Stimme. „Niemals!.“ Sie wirbelte herum und schaute ihn durchdringend an. „Diese Gefühle bildest du dir ein.“

      „Ich wünschte, es wäre so, Mutter.“

      „Siehst du?“ Lotti drehte sie an den Schultern zu sich herum. „Ein Problem führt zum nächsten mit diesem Burschen. Er muss fort. Heute noch! Ansonsten werden wir unseres Lebens nicht mehr froh.“

      Die Mutter schluchzte auf. „Ich will nicht, dass mein Sohn geht.“

      „Dir wird nichts anderes übrigbleiben. Oder willst du ihn länger unter deinem Dach haben? Ständig mit der Angst vor Augen, dass er sich Henriette unsittlich nähert?“

      „Das würde ich niemals tun!“ Luc schoss in die Höhe.

      „Dir traue ich alles zu“, wetterte die Großmutter schrill.

      „Hast du das nicht schon immer getan?“

      „Mag sein, aber wie wir alle merken, war mein Gefühl goldrichtig. Du bist eine Schande für unsere Familie. Das warst du schon immer.“

      Luc fühlte sich zutiefst verletzt und gedemütigt. „Keine Angst, morgen früh bin ich fort.“

      Seine Mutter machte sich unwirsch von Lotti los. „Aber wo willst du hin?“

      „Ist das nicht egal?“ Die Großmutter fuhr sich über die Stirn. „Hauptsache, er kommt nie wieder zurück.

      „Hör endlich auf, so zu reden!“, brüllte die Mutter plötzlich. Tränen liefen über ihre Wangen.

      Auf einmal wurde die Tür aufgerissen. „Was ist denn mit euch los?“ Henriette trat mit wächserner Miene ein und trug lediglich ihren Morgenmantel. Sie suchte Lucs Blick, doch er schaute demonstrativ weg.

      „Eine kleine Meinungsverschiedenheit“, erklärte Babette.

      „Das scheint mir aber nicht so“, ließ sich Henriette nicht beirren. „Du weinst, Mutter. Lotti sieht aus wie ein Racheengel und Luc traut sich nicht, mir in die Augen zu sehen. Also, was wird hier gespielt?“

      „Das geht nur uns etwas an“, kanzelte die Großmutter seine Schwester ab. „Geh in dein Zimmer oder in den Bergfried. Hauptsache, du lässt uns allein.“

      „Aber ich …“

      „Geh, hab ich gesagt!“

      Das Zuziehen der Tür durchbrach die Totenstille, die auf einmal herrschte. Keiner sprach mehr, als wäre alles gesagt. Im Grunde war es auch so.

      „Ich gehe zu Bett“, teilte Luc ihnen mit und straffte die Schultern. „Es tut mir leid, was ich euch angetan habe. Aber glaubt mir, ich habe das zuletzt gewollt. Trotzdem kann ich es nicht ändern.“

      „Vielleicht ist es tatsächlich besser, wenn du eine Weile fortgehst“, sprach die Mutter leise auf ihn ein. „Mit etwas Abstand siehst du die Dinge vielleicht etwas anders. Denn nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass du einfach nur verwirrt bist. So etwas geschieht, geht jedoch wieder vorbei.“ Luc fing ihren Blick auf. „Wenn du wiederkommst – und das wirst du – geht sicher alles wieder seinen gewohnten Gang.“

      Leise knarrte die Tür, als Henriette in Lucs Zimmer huschte. Es roch nach Iris. Die Kerze auf dem Nachttisch erhellte den Raum, die Flamme flackerte und malte dunkle Schatten an die Wände. Lucs zerknitterte Kleidung verstreute sich über den verblichenen Gobelin, der fast das ganze Zimmer einnahm. Die rote Tagesdecke mit weißem Lilienmuster umwickelte seine muskulösen Beine und hing über den Rand des Bettes. Die nachlässig zugezogenen Brokatvorhänge reihten sich in die Unordnung ein und durch den breiten Spalt konnte man den sternenklaren Nachthimmel sehen. Lucs Lider flatterten unruhig. Er stöhnte, als würde er ebenso schlecht träumen wie Henriette es getan hatte.

      „Luc?“, flüsterte sie. Vorsichtig tapste sie näher und unterdrückte einen Schmerzenslaut, weil sie auf einen spitzen Gegenstand gestiegen war. Innerlich fluchend bückte sie sich, massierte die pochende Stelle am Fuß und schaute gleichzeitig prüfend über den Boden. Doch