Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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sich dein überstürztes Handeln. Hättest du nicht warten können mit einem Kind? Dann wäre alles in Ordnung.“

      „Es ist alles in Ordnung, Mutter. Davon abgesehen waren mein Mann und ich uns einig. Also hör endlich damit auf, mich alleine dafür verantwortlich zu machen. Und was deinen Wahn betrifft, dass Luc in Henriette …“, sie konnte es nicht aussprechen. Zu fern lag dieser Gedanke. „Egal, was du dir einbildest, er ist Henriettes Bruder. Damit ist er aufgewachsen. Glaubst du im Ernst, dass er diese Grenze je überschreiten würde? Ich habe meinen Sohn zu einem anständigen Jungen erzogen. Deswegen lege ich für ihn die Hand ins Feuer.“

      Das mitleidige Lächeln der Mutter jagte ihr Angst ein. „Du und ich, Babette, wir wissen um die Leidenschaft. Davon, wie sie von einem Besitz nehmen kann. Meine große Liebe war der Bruder deines Vaters. Ja, sieh mich nur überrascht an und freue dich, ich vertraue dir ein weiteres Geheimnis an. Das Geheimnis meiner großen Liebe. Nie zuvor und nie danach habe ich je wieder so viel für einen Mann empfunden. Doch wir mussten uns trennen, weil dein Onkel den polnischen Thron bestieg, wie du weißt.“ Leiser fuhr sie fort und auf einmal war ihr Zorn wie weggeblasen: „Obwohl er mittlerweile viele Jahre tot ist, vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Damals hätte ich alles für ihn getan. Alles! Und würde man mir sagen, dass ich für einen einzigen Tag mit ihm meine Familie aufgeben müsste, würde ich es tun. So sehr habe ich ihn geliebt und ich tue es bis heute.“

      Babette war geschockt über dieses Geständnis. Über die Qual, die aus ihren Worten sprach. Vor allem über die Aussage. „Egal wie sehr ich lieben würde, meine Familie steht immer an erster Stelle.“

      „Das sagst du jetzt. Aber vielleicht kommt der Tag, an dem du dich entscheiden musst. So wie ich, denn mittlerweile muss ich zugeben, dass mir Léon immer wichtiger wird.“

      „Was soll das heißen? Dass du auch ihn dem Wohl deiner Familie vorziehen würdest?“

      „Wenn es nötig ist, ja. Liebe ist nicht selbstverständlich.“

      Babette konnte es nicht glauben. „In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns gänzlich, Mutter. Einerlei, welcher Mann in mein Leben treten würde, meine Meinung wird sich nie ändern. Doch was hat das Ganze mit Luc zu tun?“

      „Ich wollte dir nur veranschaulichen, wie kopflos einen die Liebe machen kann. Vor allem wird sie stärker und stärker, wenn sie aussichtslos scheint. Kein Charakterzug eines Menschen ist ausgeprägter als der, genau das haben zu wollen, das man nicht haben darf.“

      „Du denkst tatsächlich, dass Luc …“

      Plötzlich klatschte jemand hinter ihnen. „Bravo!“

      Entsetzt fuhren Babette und ihre Mutter herum. „Was tust du hier, Françoise?“, entfuhr es Lotti, die sich an die Brust griff.

      Der Applaus endete. „Deine Frage sollte eher lauten: Wie viel hast du gehört?“ Françoise schob die Tür zur Gänze auf und grinste falsch. „Solche Gespräche sollte man nicht bei halbgeschlossener Tür führen, seid ihr nicht auch meiner Meinung? Nicht auszudenken, kämen Geheimnisse zutage, die eine Familie gesellschaftlich ruinieren könnten.“ Mit Nachdruck schloss sie die Tür. „Übrigens bin ich in euer Gespräch geplatzt, als ihr über den Marquis geplaudert habt.“ Sie hob mahnend den Zeigefinger. „Du hast es ja faustdick hinter den Ohren, Poupette.“

      „Du weißt genau, dass ich diesen Spitznamen hasse!“, zischte Babettes Mutter.

      „Die Höflinge haben ihn dir verpasst. Kein Grund, auf mich böse zu sein, Püppchen.“

      „Was willst du von mir?“, stieß Lotti aus und tastete sich mit fahrigen Fingern über das Haar.

      Françoise hielt dicht vor Babettes Mutter ein. Ihr fettleibiger Körper war förmlich in das rote Kleid gepresst. In den Achselhöhlen zeigten sich Schweißflecken. „Von dir will ich nichts, Schwester.“

      „Von wem dann?“ Babette hielt die zitternden Hände eng an den Körper gedrückt.

      „Von deiner Tochter.“

      „Henriette?“

      „Ja, ich glaube, so heißt das vorlaute Ding“, machte sich Françoise lustig. „Weißt du, ich suche händeringend eine Braut für meinen Neffen Philippe. Keine will ihn, was du sicher am besten verstehen kannst, Babette. Immerhin sieht er deinem verstorbenen Mann verdammt ähnlich und ist hässlich wie die Nacht.“ Sie warf Lotti einen höhnischen Seitenblick zu. „Das sind die Gene. Der eine hat sie, der andere nicht.“

      „Meine Tochter hat die Schule nicht beendet und außerdem ist sie erst sechzehn“, wehrte sich Babette gegen das Unvermeidliche.

      „Also im besten Alter, um zu heiraten.“

      „Der Herzog von Penthiévre bemüht sich bereits um sie. Henriette weiß darüber Bescheid. Wie soll ich ihr unseren Sinneswandel erklären?“

      „Der Herzog ist einer von vielen Anwärtern und bestimmt nicht deine erste Wahl. So schlau ist deine Tochter vermutlich auch. Insofern kann bis zum Ende ihrer Schule viel geschehen. Manch einer ändert seine Meinung sogar von heute auf morgen. Wollt du und Léon eigentlich heiraten?“, wandte sie sich jäh an Lotti, die ihre Lippen zu einem schmalen Strich zog. „Dann eben nicht. Allerdings solltest du ihn weiterhin versteckt halten. Allerorts nennt man den Marquis einen ´Don Juanˋ. Sich diesen Mann ins Bett zu holen, ist ziemlich wagemutig. Wer weiß, welche Krankheiten man sich bei dem holt. Nicht, dass du Henriettes Hochzeit versäumst.“

      Babette hatte das Gefühl, dass ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Jeder bei Hofe und weit darüber hinaus hatte schon von Philippe I. de Bourbon, dem Herzog von Chartres, gehört. Vor allem, da sich sein Vater oft über ihn beklagte. Umso schlechter war Philippes Ruf. Er galt als äußerst jähzornig und war für seine schlagenden Argumente bekannt. Besonders den Frauen gegenüber. Sie hatte am eigenen Leib erlebt, was das hieß. So etwas konnte sie ihrer Tochter unmöglich antun!

      „Ich sehe Widerwillen in deinem Gesicht, Babette. Nun, dann zeig mir den Weg zu Lucs Zimmer.“ Françoise runzelte die Stirn. „Er sollte wissen, dass seine Mutter eine Hure ist.“ Sie zog einen Schmollmund. „Oder lebt die Arme nicht mehr? Wie heißt eigentlich die Mutter des – wie sagtest du vorhin so schön, Lotti – Bastards?“

      „Wir werden sehen, was wir tun können“, kam Lotti Babette zuvor, die ohnehin kein Wort herausgebracht hätte.

      Françoise setzte ein triumphierendes Lächeln auf. „Ich wusste, dass wir uns einig werden, liebste Schwester. Natürlich wieder zu meinem Vorteil, doch daran wirst du dich inzwischen gewöhnt haben.“ Sie hob ihr Kleid an. „Meine Damen, ich darf mich empfehlen. Wir werden alles Weitere besprechen sobald Henriette gelernt hat, wie man zur willigen Gattin und Hausfrau wird.“

      Bis zum Winterende im Mai fegten Schneestürme über ganz Europa, aber auch Wellen der Empörung durch Frankreich. Ludwig hatte damit begonnen, den amerikanischen Siedlern in den ehemaligen französischen Kolonien dabei zu helfen, sich gegen die Engländer zu wehren und ließ viele Waffen dorthin verschiffen. Einst hatte Frankreich in Nordamerika ein riesiges Territorium besessen, aber nach Ludwigs erfolgloser Teilnahme am Siebenjährigen Krieg war davon kaum etwas übriggeblieben wie auch in Indien, wo lediglich ein paar Bauten an die französische Vorherrschaft erinnerten sowie einige Handelsabkommen. Henriettes Cousin war vielen Unkenrufen ausgesetzt. Noch dazu hatten die Wenigsten vergessen, dass er Fleury viel zu viel Einfluss gewährt hatte und nach dessen Tod war Ludwig angreifbarer denn je. Das rief vor allem die Prinzen auf den Plan, die zu einer immer stärker werdenden Opposition wurden. Ludwig hatte alle Hände voll damit zu tun, sie in Schach zu halten.

      „Ich bin fertig, Mademoiselle de Conti“, sagte Benedikta und blickte auf das viele Gepäck. Morgen würden sie endlich zum Schloss Ussé aufbrechen. Nach den harten Wochen in der Klosterschule freute sich Henriette sehr darauf. „Braucht Ihr noch etwas?“

      „Nein, du kannst gehen, Benedikta. Es ist ohnehin schon spät.“

      „Habt Dank.“

      Henriette